Caspers apokalyptische Todesmelodie

Mit seinem neuen Lied gelingt dem Rapper Casper ein Meisterwerk, das den deutschen HipHop der letzten Jahre weit hinter sich lässt – auch dank eines ehrwürdigen Überraschungsgastes.

Casper am 1. Juli bei einem Festival in St. Gallen/Schweiz.

Die Gänsehaut kommt nach genau drei Minuten und zehn Sekunden. Aus der Leiche kriechen die Heuschrecken, dazu singt Blixa Bargeld und -

Nein, der Reihe nach: Der deutsche Rapper Casper gilt seit seinem Album XOXO, das vor fünf Jahren direkt auf Platz eins der Charts landete, als ganz Großer unter Großen. Für September ist ein neues Album angekündigt, seit wenigen Tagen steht ein Lied daraus im Netz, samt Video. Es heißt »Lang lebe der Tod« und ist, musikalisch wie optisch, ein einziger großartiger, verdammter Wahnsinn.

Das geht los mit dem Text, so weit entfernt von den Klischee-Kraftmeiereien des deutschen HipHop wie nur was. Mit Zeilen wie »Lang, lang lebe der Tod, unser täglich Brot / Alles schon gesehen, alles schon gewohnt / Alles schon erlebt, Unterhaltung, los!« und »Bist du auch so vergnügt? / Oh, wie schön heut das Leben zu uns lügt / Und wie mein Herz vor Liebe fast verglüht«. Ja, das klingt eher nach Rio Reiser oder nach der Lyrik des Expressionismus als nach Yo, Digger. Eher Gedicht als Poptext. Handelt dieses Lied von der Liebe? Oder von der Sensationslust des Menschen? Von Medien? Oder wirklich vom Tod? Nicht leicht zu sagen - und gerade deshalb so stark. Selten traut sich jemand in dieser Ecke der deutschen Popmusik so bildmächtige, freie Texte.

Meistgelesen diese Woche:

Das Video: eine wüste, morbide Schwarz-weiß-Verbeugung vor Michael Haneke und dessen Film Das weiße Band. Im Video wird ein junges Paar verfolgt, der junge Mann wehrt sich, wird von den Verfolgern verprügelt und getötet, ein Mann reißt ihm das Herz aus dem Körper wie in einem rituellen Akt, und aus der Öffnung kriechen schließlich tausende von Heuschrecken, die dann gen Himmel fliegen. Eine apokalyptische Vision, Horror und Romantik zugleich, extrem ungewöhnlich für ein Popvideo.

Die Musik dazu: eine Mischung aus HipHop, Rock, Moritatengesang, Musical, ab der Mitte kommen auch noch Breitwand-Indie-Gitarren und Streicher dazu. Und vor allem lässt Casper überraschende Gäste ans Mikrofon, einen Refrain singt die deutsche Elektropop-Band Sizarr, einen der Schweizer Sänger Dagobert - und für den letzten Refrain konnte Casper tatsächlich Blixa Bargeld, den großen alten Mann, den Sänger der Einstürzenden Neubauten gewinnen. Und wenn Bargelds Stimme plötzlich auftaucht, leise, behutsam, dann transportiert sie - für viele Hörer zumindest - jede Menge Geschichte, den Verweis auf andere Zeiten, auf den Industrielärm der frühen Achtzigerjahre, auf die düsteren Lieder, die Bargeld mit Nick Cave gemacht hat, auf Finsternis und Drogenschwärze. Es ist, als ginge die Tür auf und erlaube mitten im Lied kurz den Blick in eine ganz andere Ära, eine ganz andere Welt.

Ja, und wenn dann also genau in diesem einen Moment, nach drei Minuten und zehn Sekunden, die Horrorvision und die Vergangenheit zusammenfinden; wenn das Toben der Musik sich beruhigt, wenn sich die Heuschrecken aus der Leiche erheben und plötzlich, wie aus dem Hintergrund hereinschwebend, die Versehrten-Stimme von Blixa Bargeld erklingt und fragt, »Bist du auch so verliebt? / Meine Lust will, dass es uns ewig gibt / Und so singt sie ein Lied und noch ein Lied / Auf dass es uns ewig gibt« - dann darf man nichts dagegen haben, dass sich die Nackenhaare aufstellen, dass es einen kurz fröstelt. Und dass man denkt: Wow. Ja. Danke für solch sonderbar schwarze Momente mitten im plastikbunten Hitparadenmainstream.

Erinnert an nicht viel anderes in den aktuellen Charts.
Wer kauft das? Caspers Fans. Hoffentlich.
Was dem Song gut tun würde Er dürfte länger sein. Andererseits - nein, gerade gut, dass er so auf den Punkt kommt.

Foto: DPA