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Schandmaul machen die Musik von Pur, nur mit Schalmeien und Drehleiern. Jetzt stehen sie auf Platz 1 der Charts. Dafür hat unser Kolumnist eine plausible Erklärung.

An der Wand hängen Fußballtrikots, davor sitzen die aktuellen Anführer der Charts auf einer Ledercouch und öffnen einen Sekt. Die Flasche schäumt über, nur ein bisschen, aber die sechs Musiker flippen aus, »Wooaaah«, Gelächter, Gekicher, Klatschen. »Auf die Eins!« – »Danke, liebe Fans, ihr seid großartig.« – »Danke, danke, danke!«

Schandmaul stehen auf Platz 1 der Charts, deshalb hat die Band vor ein paar Tagen das Video auf Facebook gestellt. Es ist sympathisch, aber auch rührend unbeholfen: Sechs Musiker, seit 18 Jahren sehr erfolgreich, sitzen in einem absolut durchschnittlichen Wohnzimmer und brabbeln durcheinander wie ein Haufen absolut durchschnittlicher Deutscher, die ein Geburtstagsvideo für Ralfs Vierzigsten machen. Das ist einerseits absolut unbemüht und total authentisch. Aber schon auch: absolut uncool. Welcher Nummer-eins-Act würde sich am Tag seines größten Erfolgs so präsentieren?

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Schandmaul machen Mittelalter-Folkrock, eine Musikrichtung, die es so nur in Deutschland gibt. Dafür ist die Szene hier ziemlich groß, es gibt dutzende Festivals, auf denen jede Band einen Sackpfeifen- und Flötenspieler hat. Es ist eine Musik, die sehr treue und verschworene Fans hat, weil sie wenig Streuwirkung hat: Wer Mittelalter-Folk mag, hört eher nicht ansonsten noch das neue Beginner-Album.

Nur so ist die offizielle Bandbiografie zu verstehen, in der etwas unvermittelt dieser Satz steht: »Es gibt Menschen, die behaupten, Musik wäre ein Produkt, reine Konsumware, die sich zielgruppenorientiert irgendwelchen Marktanalysen zu beugen hat.« Wer genau das behaupten soll, wird nicht gesagt, aber die Botschaft ist klar: Seelenlose Popmusik? Andere Baustelle. Das hier ist der aufrechte Kern gegen den zielgruppenorientierten Rest.

Genau so sind auch die Songs geschrieben: Es geht um Ehrlichkeit, Mut, Liebe. Um Diebe, Leiermänner, Schneiderlein oder den Teufel. Aber auch um den Kater nach einer durchzechten Nacht, und um die verdammt noch mal dünner werdenden Haare. Große Gefühle und kleine Probleme werden in so schlichtem Pathos erzählt, dass auch ein Zehnjähriger es verstehen und mögen würde. Im Grunde machen Schandmaul die Musik von Pur, nur mit Schalmeien und Drehleiern.

Zur Absage an die Popmusik gehört dann eben auch: die betonte Uncoolness. In Zeiten, wo jeder DJ-Remix ein Hochglanzvideo mit Multi-Channel-Promo-Strategie bekommt, sind Schandmaul mit dem exakten Gegenteil erfolgreich. Ziemlich genial. Denn wahrscheinlich gibt es im Jahr 2016 keinen größeren Mittelfinger an den Pop-Mainstream als ein Video auf der Ledercouch.

Erinnert an: Hartmut Engler
Wer kauft das?
Menschen, die bei Karstadt einkaufen
Was dem Album gut tun würde:
Ein paarmal weniger die Floskel »Tod und Teufel«