"Ich kann doch nicht plötzlich den Pensionisten spielen"

Manche Fehler schmerzen bis heute. Und ja, es gibt immer noch offene Rechnungen. Günther Beckstein war 383 Tage lang Ministerpräsident. Jetzt spricht er über das Leben danach.

Ex-Staatssekretär, Ex-Innenminister, Ex-Ministerpräsident Beckstein

SZ-Magazin: Wie geht es Ihnen, Herr Beckstein?
Günther Beckstein: Gut. Ich nehme jetzt allmählich die positive Seite meiner Niederlage an. An Weihnachten war ich Ski fahren, das erste Mal seit 20 Jahren hat mich kein einziges Mal bei der Abfahrt ein Anruf auf dem Handy gestört. Als ich in die Pension zurückgekommen bin, hab ich nicht einmal gefragt, ob Faxe für mich da sind. Ich habe auch keine Fernsehnachrichten angesehen. Das hört sich jetzt so entspannt an. In den letzten Tagen Ihrer Amtszeit wirkten Sie geradezu versteinert. Ihr Nachfolger Horst Seehofer diktierte schon die neue Linie, Sie waren zum Statisten degradiert.
Ich habe mir in diesem Moment Gefühle verboten und das mit eiserner Disziplin eingehalten. Das fordert einen schon emotional, wenn man am 27. September noch der mächtigste Mann Bayerns ist und am 27. Oktober steht man ohne Amt da.

Wie lange hat es gedauert, bis sich die Versteinerung löste?
Ich habe schon längst wieder Gefühle. Da gibt’s keinen festen Tag, an dem die zurückgekehrt sind. Ich bin nicht nur kopfgesteuert und nehme nicht alles tierisch ernst. Ich wollte möglichst schnell wieder rauskommen aus dem Tal nach der Wahl.

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Und deswegen haben Sie diese Tage des Herbstes 2008 einfach abgekapselt, irgendwo weit hinten im Kopf versteckt?
Ja, zumindest bemühe ich mich, dass es da hinten bleibt. Ich konnte und wollte mir damals keine Emotionen leisten. Und Sie können solche Niederlagen nicht überleben, wenn Sie das ständig drehen und wenden.
Es ist, wie es ist.

Viele halten es nicht aus, ohne Politik zu leben. Die möblieren auch lange nach ihrem Ausscheiden noch die Talkshows und stehen auf dem Presseball herum.
Politik ist eine Droge, von der man schwer loskommt. Aber ich bin auch vom Rauchen losgekommen. Ich schaffe das schon.

Als Horst Seehofer nicht mehr Minister war, hat ihm sein Pförtner nicht mal mehr ein Taxi bestellt. Wie hat sich denn der Pförtner bei Ihnen verhalten?
Der war ganz reizend und wollte mir Zuversicht zusprechen. Auch der Hausmeister und die Boten des Landtags. Aber es gibt auch einzelne Leute, die sich schäbig gezeigt haben. Einen Ministerialbeamten fragte ich am Tag nach meinem Weggang, ob er etwas für mich in Erfahrung bringen könnte. Nichts Großartiges, nur eine kleine Gefälligkeit. Er sagte, er habe leider gar keine Zeit und könne mir nicht helfen. Das war ein Mann, der durch ganz München gelaufen wäre, wenn ich noch Ministerpräsident gewesen wäre. Aber das war wirklich die Ausnahme, die Mehrheit der Leute war wirklich freundlich.

Hat Sie keiner ausgeladen, weil man den Ministerpräsidenten wollte und nicht nur den Beckstein?
Ich habe von mir aus alle Einladungen abgesagt, weil ich den Leuten diese Peinlichkeit ersparen wollte. Aber wer mich trotzdem haben wollte, hat mich auch gekriegt. Die Leute sind dann höchstens erstaunt, wenn ich nicht immer mit dem Dienst-BMW komme, sondern manchmal mit dem Ford Fiesta meiner Tochter.

Sie wollten sich doch ein Auto kaufen?

Es gibt trotz Kurzarbeit Lieferfristen.

Wie weit ist Ihre Resozialisierung im Alltag denn fortgeschritten?
Weit. Wenn auch noch nicht hundertprozentig. Ich war schon mehrmals beim Einkaufen, mit dem Einkaufszettel bei Aldi. Die Leute schauen schon ein bisschen. Gestern Abend habe ich für unsere erwachsenen Kinder Nudeln gekocht. Arrabbiata. Da kann ich mit denen intensive Gespräche führen, die viele Jahre nicht möglich waren. Ich war ja nie zu Hause.

Kommen Sie mit der U-Bahn zurecht?
Ja, natürlich. Mit der bin ich immer gefahren. Auch allein. Ich telefoniere auch wieder selbst.

(Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Günther Beckstein nicht in Pension gehen will.)

2007: Ministerpräsident für ein Jahr: Beckstein bei der Vereidigung.

Die Vorzimmerdame?
Nur noch ein paar Stunden. Die arbeitet sich für mich auf. Aber abends gehe ich sogar selbst zur Pforte und lasse Besucher rein, wenn ich in meinen Räumen im Prinz-Carl-Palais neben der Staatskanzlei ein Gespräch führen will.

Das Austragshäusl für ehemalige Ministerpräsidenten. Sie fühlen sich hier wohl?
Na ja, ein wenig kommt mir das hier schon vor wie im Mausoleum. Ziemlich leer und hallig.

In Ihrem Zimmer hängt wieder die Statue des heiligen Antonius, den hatten Sie auch schon als Innenminister in Ihrem Büro.
Der Antonius hat mich vom ersten Tag an begleitet und deutlich gemacht, dass die Attribute der Macht an der Qualität des Menschen nichts verändern. Das hat mir auch ein gewisses Maß an Selbstdisziplin gegeben.

Wie war das auf dem Neujahrsempfang beim neuen Ministerpräsidenten? Komisches Gefühl
?
Grad das ist ein gutes Beispiel. Letztes Jahr war der Neujahrsempfang eine außerordentliche Anstrengung für mich. Dieses Defilee abzunehmen und dann noch ein bisschen reden mit den Leuten, das war kaum drin. In diesem Jahr konnte ich mich nett unterhalten und sogar was essen. Das ist doch auch was. Und Jammern hilft ja eh nichts.

Andere holen in so einer Situation wieder ihre Modelleisenbahn aus dem Keller und beschäftigen sich damit. Haben Sie Ihre schon ausgemottet? Nein, meine Modelleisenbahn habe ich schon seit zehn Jahren nicht mehr ausgepackt. Mir war von Anfang an klar, dass ich nicht von 200 auf null zurückgehen kann. Ich kann doch nicht plötzlich den Pensionisten spielen. Ich falle nicht in ein Loch. Ich habe in Nürnberg eine Anwaltskanzlei, in der arbeite ich jetzt wieder.

Sie müssten doch nicht mehr arbeiten.

Ich bin 65. Eigentlich kann mir keiner Vorwürfe machen, wenn ich nichts mehr tue.

Noch nicht mal Sie sich selbst?
Das ist es ja. Wenn ich gar nichts täte – ein schlechtes Gewissen hätt’ ich schon.

Außer Ihnen hat in den letzten Monaten noch Andrea Ypsilanti ihre politische Karriere mit Pauken und Trompeten begraben. Haben Sie Mitleid mit ihr?
Warum sollte ich da Mitleid haben? Der Frau ist doch recht geschehen. Sie hat die Quittung für den Bruch eines Wahlversprechens bekommen. Aber wenn man es mal rein sportlich sieht, halte ich die Zähigkeit von Frau Ypsilanti schon für bemerkenswert. Dieser unbedingte Wille, Ministerpräsidentin werden zu wollen.

Warum haben Sie nicht um Ihr Amt gekämpft und so schnell klein beigegeben?

Weil ich mich nicht als Sieger gefühlt habe. Ich habe meine eigene Messlatte gerissen. Ich habe nicht nur die 50-Prozent-Marke verfehlt, sondern auch die absolute Mehrheit nicht gehalten, sodass wir eine Koalition eingehen mussten. Wir sind einfach sehr tief gefallen. Deswegen war es für mich klar, dass ich keinen langen Kampf um das Amt beginne.

Erinnern Sie sich noch an Heide Simonis, wie die sich fünfmal zur Abstimmung als Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein gestellt hat? Und fünfmal versagte ihr einer aus der eigenen Partei die Zustimmung. Das war Kampf bis zur Selbstaufgabe.

Genau diesen Simonis-Effekt wollte ich nicht erleben. Es gab Leute innerhalb der CSU, die einen kompletten Neuanfang wollten und deshalb mit aller Massivität auf meinen Abschied gedrängt haben. Die drohten in der Süddeutschen Zeitung sogar, dass sie es mit mir genauso machen würden, wie es Heide Simonis erlebt hat. So etwas wollte ich weder mir noch meiner Partei antun.

(Lesen Sie auf der nächsten Seite über Becksteins Verhältnis zu Edmund Stoiber - früher und heute.)

2006: Immer-noch-Innenminister Beckstein bei der 60-Jahr-Feier der bayerischen Polizei.

Sie haben im Wahlkampf Einsatz bis an den Rand Ihrer körperlichen Kraft gebracht. Dann kam der Wahltag. Was fühlten Sie?

Nicht Wut, aber natürlich Enttäuschung. Es war für mich das zweite Mal in einem langen Berufsleben, dass ich eine solch schwere Niederlage einstecken musste. Die erste war 1987, als ich in meiner Heimat Nürnberg Oberbürgermeister werden wollte. Damals habe ich ein ganzes Jahr lang gelitten, weil ich es nicht geschafft hatte. Und ich sage Ihnen: Diesen Fehler mache ich kein zweites Mal.

Gab es jemanden, der Ihnen zur Seite gestanden hat in diesen Stunden? Ihre Frau?

Die Entscheidungen muss man schon allein treffen. Ich brauchte keinen Trost.

Das glaube ich Ihnen nicht. Oder hat Ihre Frau wieder mal gesagt: Lass dich nicht so hängen?

Das hat sie früher öfter gesagt. Aber diesmal fiel es ihr genauso schwer wie mir. Sie hat ja auch gekämpft für mich. Da musste eher ich sie trösten.

Haben Sie Ihre politischen Freunde neu kennengelernt?
Ja, viele haben wirklich mit mir gelitten. Es hat natürlich auch welche gegeben, von denen ich mir mehr Loyalität und weniger Angriffe so hinterrücks erwartet hätte.

Wen meinen Sie?
Ich nenne keine Namen. Im engsten Freundeskreis reden wir natürlich sehr oft darüber. Aber man muss auch verzeihen können.

Lernt man in Niederlagen Menschen besser kennen?

Ja. Mehr als bei Siegen. Das habe ich von Helmut Kohl gelernt, der gesagt hat, wenn du beim Siegen bist, dann wird jeder dir gratulieren. Da sollst du aber nicht sonderlich viel drauf geben. Sein Rat war: Wenn ein anderer eine Niederlage erlebt, dann musst du mit dem Kontakt aufnehmen und den stärken, das ist wichtig. Denn das bleibt. So habe ich das auch selber erlebt.

Und wer hat nicht angerufen? Edmund Stoiber?
Ich habe mir vorgenommen, mit all diesen Dingen fertig zu werden. Ich will jetzt nicht irgendjemandem noch Steine nachwerfen, auch wenn ich von dem ein oder anderen mit Steinen beworfen wurde.

Sie haben Edmund Stoiber jahrelang als Ihren Freund betrachtet. Ist er es immer noch?

Ich habe manches darüber gelesen, wie er sich angeblich gegen mich gewendet hat. Aber ich habe mich immer geweigert, mir im Einzelnen darüber Gedanken zu machen.

Kann Freundschaft in der Politik überhaupt bestehen?

Natürlich. Ich habe meinen ärgsten früheren Rivalen Erwin Huber als politischen Freund erlebt. Obwohl wir 2005 einen knallharten Kampf um das Amt des Ministerpräsidenten ausgetragen haben, schafften wir es dann, vertrauensvoll zusammenzuarbeiten. Das ist in der Politik wie im normalen Leben. Wer wie ich in seinem zivilen Beruf Anwalt war, Scheidungen gemacht hat, weiß: Es gibt viele Ehen, die trotz manchen Tiefs langfristig halten.

Fühlen Sie sich mit der Politik verheiratet?

Ja, sehr. Politik hat mein Leben ganz entscheidend geprägt, obwohl ich es mir nicht von Anfang an so vorgestellt habe. Es ist nicht so wie bei Gerd Schröder, der am Zaun des Bundeskanzleramts gerüttelt hat. Ich habe das erste Mal 1970 kandidiert, da eher zufällig und erfolglos. Aber seit 1974 hat die Politik in meinem Leben einen zunehmend größeren Anteil eingenommen.

1988: Staatssekretär Beckstein und Innenminister Edmund Stoiber.

(Lesen Sie auf der nächsten Seite über Becksteins Einstellung zu Stoibers Sturz.)

2002: Innenminister Beckstein, Kanzlerkandidat Stoiber, CDU-Chefin Angela Merkel.

Sie waren 15 Jahre lang erfolgreicher Innenminister und dann ein Jahr erfolgloser Ministerpräsident. War es falsch, diesen Schritt zu tun?
Nein. Ich wäre natürlich lieber längere Zeit im Amt geblieben, sonst hätte ich das Amt nicht übernommen.

Aber im tiefsten Herzen wären Sie doch am liebsten Bundesinnenminister geworden.
Also gut, ich verhehle nicht, dass ich gerne Bundesinnenminister geworden wäre. Aber als ich dann Ministerpräsident wurde, war das eigentlich eine noch bessere Entschädigung. Wenn man die freie Wahl hätte, zehn Jahre Bundesinnenminister oder zehn Jahre Ministerpräsident, dann wären zehn Jahre Ministerpräsident sicher das Schönere.

Aber wenn man die Wahl hat zwischen einer kurzen Zeit als Ministerpräsident oder einer längeren als Bundesinnenminister?

Ach Gott!

War es ein Fehler, Stoiber zu stürzen?

Kreuth 2007 war kein Putsch. Stoiber hat von sich aus den Rückzug angetreten.

Sie gelten trotzdem als Königsmörder.
Es geht hier weder um einen Mörder noch um einen König.

Wo wir gerade beim Absolutismus sind: Hat Sie eigentlich der neue Ministerpräsident je um Rat gefragt?

Horst Seehofer hat mehrfach mit mir gesprochen, ja.

Aber er hört nicht auf Sie.

Nicht wirklich. Das ist auch richtig, denn er trägt die Verantwortung.

Hätten Sie ihm in Sachen Glos einen anderen Rat gegeben?

Vielleicht. Michel Glos war ein Profi, dem die CSU viel verdankt. Er hätte mehr Unterstützung gebraucht, von der Kanzlerin, von der CSU-Spitze, von uns allen.

Treffen Sie im Landtag manchmal noch alte Weggefährten?
Ja, natürlich. Erwin Huber zum Beispiel. Ich sitze ja neben ihm, im Landtag. Wir unterhalten uns oft, ich habe ihn kurz nach Weihnachten nach Hause eingeladen, mit Frau.

Aber anders als Erwin Huber benutzen Sie den Landtag nur noch als politisches Abklingbecken. Er aber arbeitet noch richtig mit.

Was heißt hier Abklingbecken? Da widerspreche ich aber. Ich nehme meine Pflicht als Abgeordneter ernst, sitze mehr im Plenum als in all den vergangenen Jahren und nehme mir Zeit für die Anfragen der Bürger. Ich will mir nur nicht im Innenausschuss von Gabriele Pauli das Wort erteilen lassen.

Fotos: dpa

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