Alles Einbildung

Wie Menschen sich für ihr Facebook-Profil fotografieren, verrät mehr über sie, als sie glauben (und mit der Hoffnung, einzigartig zu sein, sieht es schon mal nicht so gut aus).

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Meine Brille und ich
Die Bilder, die Sie hier sehen, zeigen mehr als nur Menschen mit Sonnenbrillen oder Frauen mit tiefem Ausschnitt – sie sind die populärste Bildsprache unserer Zeit. Profilfotos im Internet, aufgenommen auf der ganzen Welt, immer mit der gleichen Absicht: Man will zeigen, wie man gesehen werden will. Impressionsmanagement nennen Sozialpsychologen das – ein Phänomen, das sich schon in mittelalterlichen Ölgemälden findet. Dort haben sich Leute mit Familienwappen und anderen Statussymbolen in Szene gesetzt. Für den Philosophen Roland Barthes gibt es daher auf Porträts immer zwei Ebenen: das, was man zeigen will, und das, was tatsächlich zu sehen ist. Selbstporträts mit Sonnenbrille sollen Coolness ausdrücken. Aber sie zeigen auch die Einsamkeit, die diese Bilder umgibt: In den Brillengläsern spiegeln sich ein leeres Zimmer und ein Arm, der die Kamera hält.

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Mein Ausschnitt und ich

Weil Maler oder Fotografen jahrhundertelang Männer waren, haben sich für Frauen Rollenbilder etabliert: verrucht oder züchtig, Mutter oder Geliebte, stets aus männlicher Sicht betrachtet. Anders bei den Handy-Selbstporträts: Hier gibt es die Freiheit, selbst über die eigene Wirkung zu entscheiden. Trotzdem sehen viele Bilder dann so aus: Blick von schräg unten in die Kamera, ein bisschen naiv, ein bisschen sexy, das Dekolleté immer voll im Bild. Es scheint für einen männlichen Blick also keine Männer mehr zu brauchen – Frauen fügen sich selbst in eine Rolle. Vielleicht imitieren sie damit die Frauenbilder aus Körperschauen wie der Fernsehsendung Sommermädchen. Oder sie erfüllen das, was Kulturwissenschaftler als Selbstpornografisierung bezeichnen: Verfügbarkeit und Unterwürfigkeit sind so populäre Motive geworden, dass man sie, ohne nachzudenken, einfach nachmacht.

Meine Hände und ich

Die Identität, die man sich im Internet aufbaut, vergleicht der Netztheoretiker Jaron Lanier mit einer behutsam geschriebenen Geschichte. Jedes hochgeladene Bild ist ein neues Kapitel, das sich mit anderen zu einer vollständigen Person zusammenfügt. Und weil Geschichten klare Charaktere brauchen, führt das zu sehr vereinfachten Posen: So wie Frauen sich oft sexy zeigen, lassen Männer den plumpen Maskulinitätsgesten freien Lauf. Zum Beispiel den kruden Handzeichen, die vor Urzeiten mal Codes von Straßengangs waren, dann von Rappern adaptiert wurden und heute höchstens noch ein diffuses Symbol von Härte sind. Da solche Bilder aber allein vorm Spiegel entstehen, gibt es niemanden, der einen auf die Lächerlichkeit solcher Verrenkungen hinweist. Oder der sagt, dass man sich die Fingernägel schneiden sollte, bevor man vor einer Kamera herumhantiert.

Mein Handy und ich

Als Facebook noch neu war, haben viele Leute dort einfach ihre Passbilder hochgeladen. Doch bald wurde klar, dass ein Profilbild eine andere Aufgabe hat, als nur zu zeigen, wie man aussieht: Es ist eine Mischform zwischen privatem und öffentlichem Foto, es soll für Freunde erkennbar, aber nicht für alle Welt identifizierbar sein. Also wurde diese Perspektive populär: Fotos vorm Spiegel, bei denen das Handy einen Teil des Gesichts verdeckt. Das schafft einerseits Distanz zwischen Bild und Betrachter – man präsentiert sich nicht ungeschützt, sondern macht klar, dass man nur einen ausgewählten Teil von sich zeigen will. Andererseits entstehen so auch Sinnbilder für den diffusen Umgang mit Privatsphäre im Netz. Man versteckt sich hinter einer Kamera, nimmt aber den Betrachter sogar in einen der intimsten Räume der Wohnung mit: das Badezimmer.

Mein Haustier und ich

Habseligkeiten mit ins Bild zu nehmen hat bei Selbstporträts Tradition: Für Künstler der Renaissance war es eine Möglichkeit, sich als Individuen darzustellen, vorher galten sie nur als Handwerker. Albrecht Dürer posierte als jesusähnliche Gestalt, eine Art Kunstgott, in der neuesten Mode. Heute zeigen Leute ihre Haustiere bei Facebook, aber der Grund ist ähnlich: Für den Kulturwissenschaftler Steven Connor offenbart sich das Wesen eines Menschen durch das, was ihm wichtig ist. Dass dabei vor allem Tiere viel aussagen können, hat niemand besser beschrieben als Thomas Mann in seiner Erzählung Herr und Hund: Der Mensch wird erst dann zum Menschen, wenn er zeigt, dass er für eine andere Kreatur sorgen kann.

Alle Bilder aus dem Buch Social Network Photography von Laura Piantoni und Sabine Irrgang, Go Fresh Verlag München (erscheint am 1. September)