Hach, junge Liebe! Auf einem Plakat, mit dem die ungarische Regierung für ihre konservative Familienpolitik wirbt, sieht man ein glückliches Paar. Er hält sie im Arm, sie lehnt sich vertrauensvoll an ihn, beide lachen. Aber irgendwoher kennt man die beiden doch? Ihre ärmellose blaue Bluse, sein kariertes Hemd und den unregelmäßigen Bartwuchs…?
Ein Tweet der »Financial Times«-Journalistin Valerie Hopkins bestätigt dieses Gefühl. Von diesem Paar gibt es nämlich noch ein anderes, sehr berühmtes Foto, aus dem vor zwei Jahren das virale »Distracted Boyfriend«-Meme entstand:
Das Stockfoto, auf dem der Mann lüstern einer Frau nachschaut, während seine Freundin ihn deswegen entgeistert anstarrt, stammt von einem spanischen Fotografen. Auf iStock trägt es den Titel »Disloyal man with his girlfriend looking at another girl«. 2017 wurde es zum Meme, mit dem seitdem verschiedenste Formen von Untreue dargestellt werden. Zum mutmaßlich ersten Mal tauchte es in einer türkischen Facebookgruppe auf, wo ein User den Mann als »Phil Collins« labelte, seine Freundin als »Rock« und das Objekt seiner Begierde als »Pop«. Richtig erfolgreich wurde es ein paar Monate später, als jemand es auf Twitter postete und denn Mann als »youth«, seine Freundin als »capitalism« und die Fremde als »socialism« kennzeichnete.
Die Memes waren schon lustig – fast noch lustiger wurde es aber, als jemand herausfand, dass es so viele Symbolfotos mit dem Paar gibt, dass man damit eine ganze, tragische Beziehungsgeschichte erzählen kann: Zusammenkommen, Hochzeit, Kinder, Krankheit, Betrug, Drama, Trennung. Und zum Glück wurde auch das komplett auf Twitter dokumentiert.
Das nun also ausgerechnet mit diesem Paar, das doch so gar nicht für traditionelle Werte und heile Familie steht, nun für frühe Eheschließung und viel Nachwuchs geworben wird, bringt derzeit viele zum Lachen. Eine Twitter-Userin schreibt, der Grafiker habe das womöglich mit Absicht gemacht. Derzeit lässt es sich nicht hundertprozentig überprüfen, ob es das ungarische Plakat wirklich gibt und in welcher Stadt es aktuell zu sehen ist, allerdings haben eine ungarische Tageszeitung, ein ungarischer Blog und Politico bereits darüber berichtet. Die neue Familienpolitik hatte Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán im Februar in seiner Rede zur Lage der Nation angekündigt. Die Fidesz-Regierung will mit dem »Aktionsplan zum Schutz der Familie« die niedrige Geburtenrate des Landes steigern. Dafür schafft sie finanzielle Anreize fürs Kinderkriegen, zum Beispiel hohe Kredite für Frauen, die vor dem 40. Lebensjahr heiraten, und Krediterlass, wenn sie mindestens drei Kinder bekommen. Frauen mit vier oder mehr Kindern sollen gar lebenslang von der Einkommensteuer befreit werden. Darüber hinaus verbindet Orbán das Programm mit einer nationalistischen Botschaft, die zu seiner strikten Anti-Migrations-Politik passt: Der Westen begegne dem Problem des Bevölkerungsschwunds mit Einwanderung, in Ungarn aber setze man auf »ungarische Kinder«. Es gehe darum die »ungarische Identität« und »unser christliches Erbe« zu verteidigen.
Die Familien-Kampagne der Regierung folgt auf eine andere Plakatkampagne, die kürzlich noch für viel mehr Aufsehen gesorgt hat und von der EU scharf kritisiert wurde. Darin unterstellte die Fidesz-Regierung dem EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, Einwanderung zu fördern und so Ungarns Sicherheit zu gefährden. Neben Juncker war George Soros zu sehen. Der ungarischstämmige US-Milliardär und Philantrop wurde von Orbán in den vergangenen Jahren zum Staatsfeind stilisiert, der das Land angeblich mit Flüchtlingen fluten will. Nach der heftigen Kritik an der Kampagne wird die EVP im Europaparlament kommende Woche darüber beraten, ob sie Fidesz aus der konservativen Parteifamilie ausschließen wird. Seit Jahren höhlt Orbán den ungarischen Rechtsstaat aus. In den vergangenen Monaten kam es zu großen Protesten und immer mehr junge, gut ausgebildete Menschen verlassen das Land. Womöglich würden das auch der untreue Freund und seine Freundin tun – wenn sie denn wirklich ein kuschelndes ungarisches Paar wären.