SZ-Magazin: Herr Hillis, macht das Netz die Menschen dümmer, weil es sie dazu verleitet, sinnlos ihre Zeit zu verschwenden?
Daniel Hillis: Mit irgendetwas haben wir immer unsere Zeit verschwendet, ob das nun Fernsehen war oder Höhlenmalerei. Natürlich kann man im Netz viel unnützes Zeug machen, aber man findet dort auch unglaublich viele anspruchsvolle Ideen.
Nicholas Carr sagt, das Internet macht uns dafür dümmer.
Ich glaube, Carr hat einen altmodischen Bildungsbegriff. Im Grunde sagt er nur, wir alle sollten Tolstois Krieg und Frieden lesen. Aber aus dem Internet können die Menschen von heute sicherlich mehr lernen als aus einem alten Buch. Die Art, wie wir lernen und Wissen weitergeben, hat sich in den letzten Jahren stark verändert, und dagegen gibt es viele Vorurteile. Welche Veränderung ist für Sie die einschneidendste?
Unsere Umwelt ist viel komplizierter geworden. Wir müssen also klüger sein, um unser Leben zu meistern. Früher ging es darum, Fakten und Informationen zu lernen, im 21. Jahrhundert brauchen wir eine neue, dynamische Art der Wissensvermittlung, mit deren Hilfe wir genau im richtigen Moment an die richtige Information gelangen. Das geht nur im Netz.
Sie haben vor zehn Jahren die Idee eines "Knowledge Web" formuliert, in dem das gesamte Wissen der Menschheit gespeichert sein solle. Eine Utopie?
Viele Voraussetzungen dafür gibt es bereits, und es würde mich überraschen, wenn meine Idee nicht innerhalb der nächsten zehn Jahre umgesetzt würde. Ein entscheidender Schritt steht aber noch bevor: Heute ist das Netz ein Kommunikationsmittel und ein Speicherplatz für all die Dinge, die Menschen dort hineinstellen. In Zukunft müssen wir einen Weg finden, unser Wissen so ins Netz einzubetten, dass es vom Computer gelesen werden kann. Wenn die Rechner das verstehen, was sich im Netz befindet, werden sie irgendwann selbst neues Wissen erzeugen.
Klingt ein bisschen gruselig. In der Science-Fiction wendet sich die künstliche Intelligenz unweigerlich gegen ihre Erzeuger.
Das Internet verändert uns, aber es ist nicht unser Feind. Es ist der Feind der Menschen, die wir einmal waren. Das mag man als bedrohlich empfinden, denn wir werden auch einige schöne Dinge zurücklassen. Aber bei großen Umwälzungen ist das unvermeidlich. Nicholas Carr und viele andere trauern dem einfachen Leben hinterher, das unsere Vorfahren geführt haben. Ich glaube an den Fortschritt – auch an den moralischen Fortschritt. Die Menschheit ist mit der Zeit besser geworden.
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Daniel Hillis ist ein Computerpionier und Vordenker des Internets. Mit seiner Firma Applied Minds, Inc. arbeitet er heute an so unterschiedlichen Dingen wie Spielzeug, Software und Krebstherapie.
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Illustration: Christoph Niemann