Joseph: »Ich bin keiner, der anderen Arbeit aufbürdet«

Bei ihm dachten alle: der wird Professor in Amerika. Jetzt wird Joseph Schornsteinfeger in Ravensburg. Und übernimmt gern Verantwortung.

Joseph 2011
Zuhause wohnt noch bei seinen Eltern in Ravensburg
Ausbildung/Beruf Abitur / ab September Schornsteinfeger
Liebe derzeit keine
Einkommen verdient im Kaufhaus 400 Euro
Lieblingsessen Spaghetti mit Tomatensauce
Lieblingsstar keiner
Größter Wunsch ewige Gesundheit
Nächster Urlaub Italien – ans Meer

Als ob Joseph es geahnt hätte. Am Freitag sagt er zu einem seiner vielen Brüder: »Eigentlich könnten die mal schreiben, was aus den 13-Jährigen geworden ist!« Und am nächsten Tag, am Samstag, ruft jemand vom SZ-Magazin an und will wissen, was eigentlich aus ihm, dem Joseph, geworden sei in den zurückliegenden Jahren. Da hat er gelacht, am Telefon. Und sich bestätigt gefühlt, dass er ziemlich schlau ist.

Ist er auch. Ein Intelligenztest hat vor vielen Jahren ergeben, dass Joseph auffallend intelligent ist. Ein IQ über 120. Man merkt das sofort. Er hört genau zu, was man ihn fragt. Er schaut immer ein bisschen amüsiert und fragt ein bisschen missbilligend zurück, wenn eine Frage nicht ganz präzise gestellt ist, bevor er antwortet. Man denkt deshalb immer, da müsse jetzt etwas ganz Besonderes, Ausgefallenes als Antwort kommen. Es kommt dann aber meistens etwas ganz Normales.

Auf die Frage: »Und, Joseph, willst du immer noch Kassierer werden?« – »Nö.« »Sondern?« – »Schornsteinfeger.« Oder auf die Frage: »Welche Partei findest du gut?« – »Die CDU.« – »Warum?« – »Weil sich die von der Ravensburger CDU mit den anderen Parteien streiten – aber bereit sind, sofort danach zusammen Bier zu trinken.«

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Joseph hat vor fünf Jahren den Elitezweig seines Gymnasiums besucht, den Zweig für Superschlaue. Und eine Klasse später war er da wieder draußen. Er fühlte sich unwohl in der Gruppe. Er mag keine Streber, er mag »ganz normale Typen« – solche wie seine sieben Brüder und zwei Schwestern, mit denen man vor allem eine Menge Spaß haben kann. Er hatte keine Lust zu lernen. Sein Abiturschnitt: 3,6. Seine Intelligenz bezieht sich nicht so sehr auf Vokabeln und chemische Prozesse, hat er für sich erkannt, sondern auf den Überlebenskampf im Alltag. Da ist er gut. Richtig gut. Wahrscheinlich kann man sagen, dass Joseph so etwas wie die personifizierte soziale Intelligenz ist.

Daran hat sich in den vergangenen Jahren nicht viel geändert. Wenn er Verantwortung bekommt, dann macht er seinen Job wie einer mit langer Berufserfahrung. Damals hat er im Kiosk in einem Freibad gejobbt. Er durfte den Kiosk schon mit 13 allein schmeißen. Heute arbeitet er in einem großen Kaufhaus. Und er ist so etwas wie der Kompagnon der Abteilungsleiterin. Wenn Ferienjobber da sind – nicht selten Freunde Josephs, denen er da hineingeholfen hat –, dann ist er der Chef. Er teilt ein, er organisiert, und er wird besonders dafür geschätzt, dass er keiner Anstrengung ausweicht. »Ich bin keiner, der anderen die Arbeit aufbürdet, die er selbst nicht machen will.«

In der Familie ist Joseph bekannt für sein Gerechtigkeitsgefühl. Und auch so etwas wie die Sozialstation. Er wohnt schon lange in zwei Zimmern im Dachgeschoss, jeder Millimeter ist vollgestopft mit seinen Sachen. Links, wenn man die Treppe raufkommt: das Bett und, überall verstreut, die Klamotten. Rechts: Schreibtisch, Computer, Zeitungen, Schulsachen. Dann wollte sein jüngster Bruder Gottfried, jetzt 13, nicht mehr allein in seinem Zimmer schlafen, weil es so abgelegen in dem riesigen Haus liegt. Er wollte jemanden in der Nähe haben. Und was sagte Joseph? »Mein Gott, zieh halt zu mir.« Übermäßig begeistert war er nicht, aber er räumte das rechte Zimmer und sagt dazu heute knapp: »Ist doch Ehrensache.«

Damals, vor sieben Jahren, dachten alle, die ihn kannten: Der Joseph wird einen ganz eigenen, einen sensationellen Weg gehen. Der wird natürlich nicht Kassierer, was er selbst damals für ein tolles Ziel hielt. Sondern, sagten seine Eltern und Freunde und seine Geschwister: Professor würde er werden. In Hamburg. Oder Harvard. Der Joseph würde eines Tages am weitesten weg vom Rest seiner Familie leben. Und nun? Nun beginnt er im Herbst bei seinem Vater eine Ausbildung zum Schornsteinfeger, genau wie zwei seiner Brüder vor ihm auch schon.

Vielleicht, sagt er, studiert er anschließend. Steuerrecht, weil das so was Ähnliches ist wie Kassierer, auf viel höherem Niveau. Der Studienort muss in Baden-Württemberg sein, Freiburg am besten, damit er möglichst oft nach Hause kann. Und sesshaft werden will er dann irgendwann in: Ravensburg. Da ist seine Heimat. Da will er leben. Immer in Familiennähe. Einer seiner Brüder hat inzwischen vier Kinder. Der kommt oft mit seiner ganzen Schar zu den Eltern nach Hause. Toll, findet Joseph. Vor sieben Jahren hat er noch gesagt: höchstens zwei Kinder. Heute sagt er, nach einer schönen, aber kurzen Beziehung gerade wieder Single: »Wenn ich die passende Frau gefunden habe, kann ich mir viel vorstellen. Sagen wir mal: bis zu sieben Kinder.«

Fotos: Konrad R. Müller