Fatih Akin hat einen Film über den Hamburger Frauenmörder Fritz Honka gedreht, der vor kurzem auf der Berlinale Premiere hatte und diese Woche regulär in die Kinos kommt. Es ist die wahre Geschichte eines Säufers, der Mitte der Siebzigerjahre in einer versifften Hamburger Kneipe namens »Der goldene Handschuh« herumhing, dort Frauen kennenlernte, sie ermorderte und ihre zerstückelten Leichen dann in seiner Wohnung versteckte. Diese Geschichte – der Siff, der Suff, das spritzende Blut, die Schwierigkeiten, mittels Knochensäge Frauenköpfe von Frauenkörpern zu trennen – wird sehr ausführlich und mit viel Liebe zum Detail gezeigt. Ausstattung, Szenenbild, Maske – alle Gewerke des Filmschaffens haben ihr Bestes gegeben, um die schaurige, nikotinstichige Siebzigerjahre-Welt dieses Milieus und die Schwierigkeiten des Serienmörderdaseins originalgetreu abzubilden. Das war sicher kostspielig.
Und nun kommt die Marketingabteilung ins Spiel, denn der Verleiher Warner Brothers hat ja ein Interesse daran, dass viele Menschen den Film im Kino sehen. Normalerweise müsste »der neue Fatih-Akin-Film« ein Selbstläufer an der Kinokasse sein, der Mann ist schließlich ein bekannter Regisseur, aber dennoch: Ein bisschen Social-Media-Content muss her, kurze Filmchen, die von Fans auf Facebook und Twitter geteilt werden und die Lust auf einen Kinoabend mit einem Frauenmörder machen. Schwierig genug bei einem Werk, von dem Filmkritiker*innen berichten, ihnen sei beim Ansehen übel geworden. Also verbreitet Warner Brothers kleine Filmchen mit lustigen Claims zu den urigen Typen, die die Welt von Fritz Honka bevölkert haben. Alles echte Hamburger Originale, wie zum Beispiel Nasen-Herbert, der einen »Riecher für Bier hat«, Soldaten-Norbert, der »zackig auf Schnaps ist« und eben Fritz Honka, der – Achtung, Brüller – einen »Mordsdurst hat«.
Es gibt auch ein mit Anführungszeichen als »Beauty-Tutorial« ironisiertes Filmchen (»So wird man zum Monster«), in dem gezeigt wird, wie Maskenbildnerinnen aus dem hübschen Schauspieler Jonas Dassler den geradezu absurd abstoßenden Honka machen. Auf der Premierenfeier – so lässt uns das Social-Media-Team von Warner Bros wissen – wurden dann zum Glück »nur Korken geköpft« und es wäre interessant, noch mal nachzuschauen, ob bei der Premiere zu Akins vorangegangenem Film, bei dem es um ein rassistisches Bombenattentat ging, von der Produktionsfirma vermeldet wurde, bei der Premiere hätten ausschließlich »die Korken geknallt«. Das wäre dann immerhin die richtige Metapher gewesen, wenn auch genauso geschmacklos.
Warum für einen vermeintlich guten Witz aus der Wortspielhölle anderen wehtun, die schon genug aushalten müssen?
Klar, auch ein Tarantino-Film, in dem traditionell reichlich Blut spritzt, wird mit launigen Werbesprüchen beworben. Aber hier geht es nicht um Fiktion. Es ist eben ein Unterschied, ob man einen Gruselschocker über einen fiktiven Serienmörder dreht, oder ob man aus dem realen Leid von Frauen ein Stück Sankt-Pauli-Folklore macht. Fritz Honka war eine echte Person, seine Opfer waren echte Frauen, und sie wurden auf brutale Art und Weise umgebracht. Nichts daran ist »kultig«, nichts daran sollte für eine schale Pointe herhalten müssen.
Werbung muss Aufmerksamkeit erzeugen, klar, sonst ist sie sinnlos. Aber anstatt dem allerersten Impuls zu folgen und das erstbeste Wortspiel rauszuknallen, könnten sich auch Werbe- und Marketingabteilungen häufiger fragen, auf wessen Kosten da gelacht werden soll. Der Smoothie-Hersteller truefruits beispielsweise hat gerade gezeigt, wie man es vielleicht besser nicht macht. Slogans wie »Noch mehr Flaschen aus dem Ausland« oder »Unser Quotenschwarzer« sind für Menschen, die von Rassismus betroffen sind, keine Schmunzel-Claims. »Abgefüllt und abgeschleppt« ist nicht provokant, sondern ein geschmackloser Vergewaltigungswitz. Säfte, die angeblich mit »autistischer Liebe zum Detail« hergestellt worden sein sollen, spielen mit dem Klischee vom zwanghaft peniblen, gefühlsreduzierten Autisten, dem viele tatsächlich Betroffene täglich etwas entgegensetzen müssen. Und wenn jemand bei einem Produkt, das Chia-Samen enthält, wirklich zu allererst irgendwas mit »Samenstau« und »Oralverkehr« einfällt, sollte diese Person ihr Sexleben überdenken.
Warum für einen vermeintlich guten Witz aus der Wortspielhölle anderen wehtun, die schon genug aushalten müssen? Warum all diese Menschen, die ja auch potentielle Kunden sind, vor den Kopf stoßen? Und sich dann – wenn es deswegen Kritik gibt, wie im Fall des Smoothie-Herstellers – maulig damit herausreden, wer solche Sprüche ernst nehme, sei nur zu doof, den Witz zu verstehen?
Der Literaturwissenschaftler Johannes Franzen hat gerade ein Essay veröffentlicht, in dem er zu einer »Ethik des Nichtlesens« auffordert. Es handelt von all den Büchern, die mit medialer Unterstützung und mit großen Marketingkampagnen zu Events hochgejazzt werden. Nicht wegen ihrer literarischen Qualität, sondern vor allem, weil sie einen Skandal versprechen. Und die man deshalb vielleicht einfach ignorieren sollte, um seine kostbare Lebenszeit anderen Werken zu widmen, solchen nämlich, die trotz ihrer literarischen Qualität ohne gigantische Marketingmaschinerie ihr Publikum finden müssen. Diese These lässt sich problemlos auf viele Bereiche unseres Konsumverhaltens übertragen: Je lauter der Werbe-Krawall, je mehr auf Kosten anderer billige Provokation betrieben wird, umso besser ist man beraten, sein Geld sehr bewusst woanders hinzutragen. Ein Kinoabend, der nicht einem »kultigen Frauenmörder« gewidmet wird, sondern einem mit viel weniger Produktionsbudget und Filmfördermitteln ausgestatteten kleinen Autorinnenfilm, ist ein kleiner Beitrag, solchen Werken zu mehr Geltung und mehr Erfolg zu verhelfen. Magenschonender ist es auch.
Und wenn Werbe- und Marketingfachleute schon keine wirklich lustigen Ideen haben und einfach nur ein bisschen provozieren wollen, könnten sie sich ein Beispiel an jenem Müslihersteller nehmen, der in Radiospots sein Produkt in breitem Schwäbisch bejubeln lässt, weil es so super für die Verdauung ist. Das nervt jeden, funktioniert aber blendend, ohne irgendwem weh zu tun.