Hollywood im Schnelldurchlauf

Millionen von Menschen lieben Kurzzusammenfassungen von Kinofilmen auf Video-Plattformen wie YouTube. Warum machen die hemmungslos spoilernden »Recaps« so süchtig?

Foto: Alistair Matthews

Ein bisschen merkwürdig ist es schon. Vor ungefähr einem Jahr tauchten auf Youtube die ersten dieser Videos auf, inzwischen ist es ein eigenes Genre, die Klicks gehen in die Zigmillionen, und wenn man nicht aufpasst, ist man auch schon fast süchtig danach. Reißerische Titel wie »Ein Superanwalt wird vom Teufel engagiert, ohne es zu bemerken!« Oder: »US-Soldaten entdecken einen milliardenschweren Schatz«. Und: »Eine reiche Familie merkt nicht, dass vier Jahre lang jemand heimlich in ihrem Haus lebt«. Im Original alle auf Englisch, auf jeden Fall immer wild und aufregend. Wenn man sich dann die Videos anschaut, stößt man auf alte Bekannte: Im Auftrag des Teufels mit Keanu Reeves, den George-Clooney-Soldatenfilm Three Kings, den mehr­fachen Oscar-Gewinner Parasite.

Aber die Filme stehen nicht etwa in voller Länge im Internet. Es sind Zusammenfassungen. Jemand hat Ausschnitte zusammenmontiert, dazu gibt eine monotone (oft computergenerierte) Stimme den Inhalt wieder. Zwei Stunden Hollywood, eingedampft auf zehn, 15 Minuten. »Movie Recaps«, Film-Zusammenfassungen, so heißt das ­Genre, und so ähnlich heißen die Youtube-Kanäle – Movie Recaps, Scifi Recapped, Mystery Recapped, Shots Recap, StoryLine Movie.

Ganz Hollywood im Schnelldurchlauf – klick, klick, klick, weiter, weiter, weiter!

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Millionen von Klicks für Kurzfassungen? Mit gesprochener Handlung? Echt jetzt? Ja. Weil sie einen ungeheuren Sog erzeugen, von dem man sich nur schwer wieder lösen kann. Ganz Hollywood im Schnelldurchlauf – klick, klick, klick, weiter, weiter, weiter! Wer die ersten zwei, drei Beispiele durchhat, bleibt dran, hier noch den Film, und da noch, ui, den gibt’s auch, jetzt mal sehen – und ehe man es sich versieht, hat man einen halben Abend voller Recaps hinter sich. Alle Filme der Saw-Reihe im Schnelldurchlauf? Da, bitte. Der ganze Herr der Ringe ohne endlose Schlachtenszenen? Hier entlang. Kuriose B-Movies der letzten zwanzig Jahre, an denen einen nur die Auf­lösung interessiert? Alles vorrätig.

Besonders gern widmen sich die Movie Recapper, also die Zusammenfasser, obskuren Science-Fiction- und Horrorfilmen. Ideal: Genau da möchte man ja oft einfach nur wissen, wie die außerirdischen Glibberzombies am Ende besiegt werden, ohne dass man sich zwei Stunden hanebüchene Handlung aufhalst. Kein Mensch hat Lust, nach einem Videoabend enttäuscht ins Bett zu gehen mit dem Gefühl, na ja, krasse Story, aber wer gibt mir jetzt meine Lebenszeit zurück?

Bleibt die Frage, was das alles soll. Und wer macht das? Die gängigste Theorie besagt, dass sich dahinter Firmen verbergen, deren Auftrag es ist, Klicks zu generieren, egal, wie. Die Recap-Titel sind reißerisch formuliert, und wenn eine Zusammenfassung, sagen wir, drei Millionen Mal aufgerufen wird, lässt sich mit dem automatisch vorgeschalteten Werbespot (»Beugen Sie jetzt der Gürtelrose vor!«) gutes Geld verdienen.

»Als Filmemacher kriegt man da schon ein bisschen Angst«, sagt Philipp Käßbohrer, »man gibt sich so viel Mühe, und am Ende reicht den Menschen die Zusammenfassung.« Käßbohrer hat für Netflix die Erfolgsserien »How to Sell Drugs Online (Fast)« und »King of Stonks« produziert. Wenn man sich mit ihm über das Phänomen der Movie Recaps unterhält, wird aber auch schnell klar: Wer jung genug ist (Käßbohrer ist Jahrgang 1983) und mit dem Internet aufgewachsen, fühlt sich mit dem Format im Grunde durchaus wohl. »Ich nutze Recaps häufig aus professionellen Gründen. Beim Drehbuchschreiben ist es superpraktisch, wenn man sich schnell einen dramaturgischen Kniff vor Augen führen will, den man nur noch vage in Erinnerung hatte.« Dann lacht Käßbohrer und fügt hinzu: »Auch wenn sich das immer ein bisschen wie Mogeln anfühlt.«

Natürlich ist der Erfolg der Recaps auch ein Zeichen der Zeit. Stichwort Aufmerksamkeitsdefizit

Ja, es ist wie in der Schule. Kaum jemand hatte Lust, die Literaturklassiker wirklich zu lesen, die meisten schummelten sich mit ­Reclam-Kurzfassungen durch. Heute schafft man an einem müden Regenabend problemlos zehn Film-Zusammenfassungen und kann im nächsten Gespräch unter Kennern mit Wissen auftrumpfen.

Und natürlich ist der Erfolg der Recaps auch ein Zeichen der Zeit. Stichwort Aufmerksamkeitsdefizit. Die Menschen können sich immer schlechter konzentrieren, das belegen ständig neue Studien. Handynutzung, Info-Geballer, dauernd News, Alerts, Tweets. Wer findet da noch die Ruhe, sich einen ganzen Film anzuschauen? Und wenn überhaupt, schaffen viele es kaum, ohne ständig auf den »Second Screen« zu schielen, also Details über den Film nebenher auf dem Smartphone nachzulesen. Oder halt nur zu schauen, was gleichzeitig so auf Insta­gram los ist. Philipp Käßbohrer sagt: »Es gibt einfach so viel Content, den man konsumieren kann. Die Leute sind vom Angebot über­fordert. Und nur selten bereit, sich auf eine Serie oder einen Film richtig ­einzulassen.«

Da kommt die Zehn-Minuten-Version wie gerufen. So kriegt man jeden Film zwischen zweimal Handy-Checken unter. Und es ist ­natürlich herrlich, dass man endlich im Schnelldurchgang alle ­berühmten Plot Twists wegarbeiten kann, also die überraschenden Wendungen. In »Parasite« wohnt der Mann noch im Keller. In »The Others« sind die Mutter und ihre zwei Kinder die Toten. »The Village« spielt gar nicht in der Vergangenheit, das Dorf steht nur weitab der modernen Zivilisation. Herrlich, schon wieder sechs Stunden Lebenszeit gespart. Ha!­