David Hockney hat ein neues Spielzeug für sich entdeckt: sein iPhone. Er telefoniert nur nicht sehr oft damit. Doch seit Januar dieses Jahres hat Hockney fast täglich darauf gemalt. Es hat ihm ein ganz neues Thema eröffnet. »Noch vor einem Jahr hätte ich es nie für möglich gehalten, dass mich ein Handy dazu bringen könnte, mir den Sonnenaufgang anzuschauen«, sagt Hockney. Manchmal malt er morgens schnell hintereinander mehrere Bilder der Dämmerung; dabei entstehen zarte, rasche Miniaturen, die anders anmuten als alles, was er vorher gemalt hat.
Mit Anfang 70 erlebt Hockney gerade einen erstaunlichen Kreativitätsschub. Fast drei Jahrzehnte lebte er in Los Angeles, wo er noch ein Haus und ein Büro besitzt. Die letzten fünf Jahre aber verbrachte er hauptsächlich in seinem Haus am Strand von Bridlington, einem Seebad an Englands Nordostküste. Damit kehrt er zu seinen Wurzeln zurück – er wurde 1937 in Bradford geboren, einer Industriestadt der gleichen Region. Der Umzug ist aber auch das Ergebnis seiner Hinwendung zur Landschaftsmalerei; Hockney malt jetzt oft draußen in Wald und Feld.
Die Bilder auf dem iPhone dagegen entstehen nicht im Freien, sondern in seinen vier Wänden, oft sogar im Bett. Hockney wacht früh auf, wenn es um sein Haus herum dämmert – was im Hochsommer in Bridlington schon um halb drei oder vier Uhr sein kann. »Ich schlafe abends um zehn ein und wache auf, wenn es allmählich hell wird. Ich lasse nämlich die Vorhänge auf. Wenn der Himmel bewölkt ist, erlebt man ein dramatisches Schauspiel: das Morgenrot in den Wolken und darunter das Tageslicht.«
Oft zeigen die iPhone-Bilder das, was Hockney von seinem Bett aus sieht: den Blick aus dem Fenster, die Jalousien oder die Blumensträuße, die Hockneys Lebensgefährte John ins Zimmer stellt. »Ich male jeden Tag Blumen und verschicke sie an meine Freunde, damit sie jeden Morgen einen frischen Strauß haben. Und meine Sträuße halten.«
Hockney malt auch Kerzen und Lampen, es geht immer wieder um Licht. Er zeichnet mit allen Fingern der Hand auf dem kleinen Bildschirm, der nur wenige Zentimeter groß ist, wozu es offensichtlich einiges Geschick braucht. »Es dauerte eine Weile, bis ich es heraushatte«, räumt Hockney ein, »zum Beispiel, wie man damit dickere und dünnere Striche zeichnet, wie man Transparenz und weiche Konturen hinbekommt. Aber mir wurde bald klar, was für interessante Vorteile es bietet.«
Einer dieser Vorteile ist, dass er praktisch im Dunkeln arbeiten kann. Und dass Hockney sich einen ganz neuen, ungewohnten Strich aneignet.
»Ich habe mir die vergrößerten iPhone-Bilder auf einer riesigen Leinwand angeschaut und war begeistert, weil es keine Farbverluste gab und es so aussieht, als hätte ich sie mit wilden Armschwüngen gemalt statt nur mit dem Finger. Das wird sich auf die Art, wie ich male, auswirken.«
Es bleibt abzuwarten, wie diese Technik seine Kunst tatsächlich verändern wird. Bis dahin finden seine Freunde jeden Morgen, wenn sie aufwachen, auf ihren Computern und Handys einen neuen Hockney.
Autor Martin Gayford, Kunstkritiker aus England, war der Mittelsmann, der den legendären Pop-Art-Künstler David Hockney überredete, eine Auswahl seiner iPhone-Bilder bei uns zu veröffentlichen. Die exklusiven Arbeiten erreichten uns nicht per Kurier, wie sonst bei Kunstwerken üblich, sondern per MMS. Wenn Sie lieber großformatige Arbeiten von Hockney sehen wollen: Die Kunsthalle Würth in Schwäbisch Hall zeigt bis zum 27. September eine Ausstellung seiner neueren Landschaftsgemälde.
Brushes heißt das iPhone-Programm, mit dem David Hockney diese Bilder malte.
Es hat eine Farbpalette, verschiedene Strichstärken und eine Zoomfunktion. www.brushesapp.com
Zeichnungen: David Hockney