Auf die schiefe Bahn

Immer ausgefeiltere Maschinen wollen uns das Rasenmähen abnehmen, aber da haben sie sich geschnitten. Denn die Königsdisziplin der Gartenarbeit dürfen wir auf keinen Fall anderen überlassen. Ein Plädoyer.

Anders als noch vor Kurzem prophezeit, haben Roboter die Menschheit bisher nicht zu unterjochen vermocht. Nur bei sehr wenigen, durchaus exotischen Erledigungen – der Erkundung des Mars oder des Inneren der Cheopspyramide – waren Maschinen dem Menschen überlegen. Das ändert sich jetzt, und die Folgen werden weitreichend sein.

Roboter sind nämlich gerade dabei, mit frisch gewetzten Messern und surrenden Elektromotoren in eine der ureigensten Domänen des Mannes einzubrechen: das Rasenmähen. Die Geräte heißen Automower oder Robomow und sind seit einigen Jahren auf dem Markt. Sie sehen aus wie Riesenschildkröten auf Rädern und läuten, wie der Hersteller Husqvarna zutreffend feststellt, ein »neues Zeitalter« der Rasenpflege ein.

Selbstständig verlassen sie ihre Ladestation und rollen mähend und mulchend übers Gras, aufgehalten nur von der Betriebsdauer des Akkus und einem an den Rändern des Mähbereichs verlegten Begrenzungsdraht, dessen unhörbares Signal sie kehrtmachen lässt. Die Mähroboter sind nicht die künstliche Intelligenz, welche die Science-Fiction-Literatur einst ausmalte; unwahrscheinlich, dass ein Hausbesitzer seinen Robomow irgendwann auf dem Sofa sitzend vorfinden wird, mit einer Flasche Bier in den Schermessern.

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Doch es sind technisch ausgereifte Maschinen, die vor allem durch ihre Einsatzfreude überzeugen: Ohne zu murren, mähen die Roboter jeden Tag von morgens bis abends (und bei entsprechender Programmierung auch die Nacht hindurch). Nicht einmal der engagierteste Hobbygärtner kann da mithalten, und weil tägliches Mähen gut für den Rasen ist, muss man die Sachlage ohne Umschweife beim Namen nennen: Die Maschinen können das besser als wir.
Nun könnte man sich über diese technische Neuerung freuen; allenfalls beklagen, dass der hohe Preis der Mähroboter (von tausend Euro aufwärts) momentan noch verhindert, dass sie zum Massenprodukt werden. Bei genauerer Betrachtung stellt sich jedoch ein ungutes Gefühl ein.

Klar, Mähen ist schweißtreibend und lästig – nicht nur dann, wenn der Nachbar am Samstagmorgen um sieben mit hämischem Knattern seinen Rasentraktor startet. Aber ist das Mähen nicht auch eine alte Kulturtechnik, die, wenn man sie beherrscht, zu großer Befriedigung führen kann?

So wie Sisyphos bestimmt ist, seinen Stein ein ums andere Mal den Berg hinaufzurollen, findet der Gärtner seine schicksalhafte Erfüllung in der alle sieben Tage wiederkehrenden Aufgabe, das Gras auf vier Zentimeter zu kürzen. Was sind wir im Begriff aufzugeben? Was wird verloren gehen, wenn Maschinen in Zukunft den Rasen ohne unser Zutun beschneiden?

Lange hatte das Mähen einen denkbar schlechten Ruf. Der Schnitter, der Sensenmann – das war der Tod. Oder zumindest ein armer Knecht, der ständig in Gefahr stand, sich mit der Sense, einem hochgefährlichen Arbeitsgerät, ins Bein zu säbeln. Von diesem Stigma befreite das Mähen erst der Engländer Edwin Beard Budding, als er um 1830 den Rasenmäher erfand.

Scharfsinnig sagte Budding bereits in der Patentschrift den Imagewandel voraus, den seine Erfindung dem Mähvorgang bringen werde: »Herren vom Lande werden feststellen, dass der Gebrauch meiner Maschine einen amüsanten, nützlichen und heilsamen Zeitvertreib darstellt.«

Nach 1860 wurden Rasenmäher industriell in großen Stückzahlen hergestellt; nun war es ein Leichtes, in Parks und Sportanlagen den kurz geschnittenen »englischen Rasen« zu züchten. Mit dem Ende des 19. Jahrhunderts und der Flucht des Bürgertums in die Vorstädte begannen auch Privatmänner, die Mäher zu kaufen.

Wie von Budding prophezeit, wurden das Gärtnern und speziell die Pflege eines möglichst perfekten Hausrasens zu einem der wichtigsten Hobbys der Mittelschicht. Kriege und gesellschaftliche Umwälzungen haben daran wenig geändert, und auch der Klimawandel wird die Sehnsucht nach einem grünen Grasteppich – in der Regel bestehend aus den Sorten Wiesenrispe, Weidelgras und Rotschwingel – nicht mindern.

Diese Sehnsucht wurde oft als spießig bezeichnet; Kultursoziologen haben den Zierrasen gern als Machtmittel im nachbarschaftlichen Statuskampf interpretiert. Doch die Sehnsucht nach sattem Grün scheint weit tiefer in der menschlichen Psyche verankert zu sein.

Evolutionspsychologen führen sie auf den Ursprungsort des Homo sapiens zurück, die ostafrikanische Savanne: Als sich die ältesten Vorfahren des Menschen erstmalig auf die Hinterbeine stellten, waren sie von Gras umgeben.

Bis heute lieben viele Gärtner ihren Rasen mehr als ihren Ehepartner. Sie ärgern sich über Schneeschimmel, braune Flecken und Gänseblümchen und verteidigen ihr Grün mit schwerem Geschütz gegen Maulwürfe, Nachbarskinder und streunende Katzen.

In den USA haben viele Kommunen detaillierte Rasenpflegeverordnungen erlassen, die den säumigen Mäher im schlimmsten Fall für 90 Tage ins Gefängnis bringen können. »Die Beziehung zum eigenen Rasen kann sehr emotional werden«, bestätigt Klaus Müller-Beck, Vorsitzender der Deutschen Rasengesellschaft.

»Wenn der Rasen leidet, leidet der Gärtner mit. Aber wenn es dem Rasen gut geht, blüht auch der Gärtner auf.« In Extremsituationen vermag grünes Gras sogar Trost zu spenden. In den Schützengräben des Ersten Weltkriegs züchteten Soldaten winzige Rasenstücke, dasselbe passiert gerade im Irak. US-Medien haben über Armeeangehörige berichtet, die sich aus der Heimat Grassamen und Dünger zu ihren Stützpunkten schicken ließen, um dem Wüstensand mit viel Mühe kleine Grünflächen abzutrotzen.

Da die US-Armee im Irak trotz Kriegskosten von bisher über 500 Milliarden Dollar nicht mit Mähern ausgerüstet ist, wird dieser imperialistische Invasionsrasen allerdings mit der Schere geschnitten. Da war Edwin Beard Budding deutlich weiter. Seine Erfindung, der sogenannte Spindelmäher, entstand zwar schon vor 180 Jahren, das Grundprinzip ist jedoch keineswegs überholt.

An einer rotierenden Walze sind mehrere Messer angebracht, das Gras gelangt zwischen diese sich drehenden Messer und ein fest montiertes Untermesser, dabei wird es wie mit einer Schere gekappt. Obwohl seit Buddings Geniestreich noch andere Mähertypen eingeführt wurden, gilt das Mähbild des Spindelmähers weiterhin als unübertroffen.

»Im Profibereich, beim Sport- oder Golfrasen, werden nahezu ausschließlich Spindelmäher eingesetzt«, erklärt der Rasenexperte Klaus Müller-Beck. »Wegen des Untermessers erzeugen sie den besten Schnitt. Das feinste Profigerät ist ein Grünsmäher für den Golfbereich mit einer elfblättrigen Spindeleinheit.«

Bestseller bei den Geräten für Hobbygärtner ist hingegen der Sichelmäher mit Elektroantrieb. »Davon haben wir schon fünf Millionen Stück verkauft«, sagt Manfred Eckermeier vom Marktführer Wolf-Garten. Bei rund dreißig Millionen Gärten in Deutschland eine beachtliche Zahl.

Am Funktionsprinzip – ein oder mehrere Messer, die sich rasend schnell an der Unterseite des Geräts drehen – hat sich seit der Markteinführung vor rund fünfzig Jahren wenig geändert. Die zahlreichen technischen Neuerungen betreffen eher den Komfort: Radantrieb, Lenksystem »easy move«, Fangsack mit »Füllstandsanzeige«.

Nichts bringt beim Mähen jedoch mehr Lustgewinn und Prestige als der Aufsitzmäher, auch Rasentraktor genannt. Den Käufern scheint es egal zu sein, dass der Rasentraktor keineswegs besser mäht als ein geschobener Mäher und dass die Gefahr von Kollateralschäden an den Blumenrabatten hier wesentlich höher ist als bei herkömmlichen Geräten.

Was zählt, ist der Spaßfaktor. Die Firma Wolf-Garten bewirbt ihr Modell Cart OHV2 ganz ungeniert als das »Funmobil unter den Rasenmähern«, und in der Tat wäre das schnittige 6-PS-Gefährt in Ferrarirot problemlos auch als Beach Buggy einsetzbar.

Der zunehmende Bedienkomfort freut dabei nicht nur den Gärtner, sondern auch den Rasen: Je bequemer das Mähen, desto höher – zumindest theoretisch – die Mähfrequenz. »Regelmäßiges Mähen ist ein Riesenfaktor für einen schönen Rasen«, betont Peter Shaw, Greenkeeper beim exklusiven Golfclub Riedhof unweit vom Starnberger See.

Mit jedem Mähen bilden die Gräser neue Blätter und Seitentriebe, wodurch der Rasen dichter wird. Ganz falsch ist es hingegen, das Gras lang wachsen zu lassen und dann ratzekahl runterzurasieren. »Wenn Sie zu kurz mähen, schneiden Sie nicht die Blätter, sondern die Stämme ab«, erklärt Peter Shaw. »Dann wird das Gras schwach und kann keinen Widerstand mehr gegen Moos und Unkraut leisten.«

Die Greens auf seinem Golfplatz mäht Shaw bis zu dreimal täglich, für den Hausrasen hat er folgende Empfehlung: »Mindestens ein- bis zweimal die Woche, am besten dreimal die Woche.« Die Schnitthöhe sollte je nach Grassorte 3,5 bis 5 Zentimeter betragen, wobei es wichtig ist, im Schatten nicht zu kurz zu mähen.

»Jeder will einen schönen Rasen, aber die meisten sind nicht bereit, genügend Zeit zu investieren«, resümiert Shaw mit vorwurfsvollem Unterton. »Doch ein schöner Rasen ist nun einmal sehr pflegeintensiv!«

Mit der Mähfrequenz steigt allerdings die Gefahr für Leib und Leben. Auch wenn Grashalme einen eher harmlosen Eindruck machen – der Zierrasen muss der Wildnis weiterhin in einem streckenweise brutalen Kampf abgerungen werden. Wenn Steine oder Äste unter den Mäher geraten, können sie wie Geschosse aus dem Mähwerk hinauskatapultiert werden.

Hobbygärtner säbeln sich die Zehen ab, kugeln mit ihrem Rasentraktor eine Böschung hinunter, überfahren Ehefrauen, Kinder und Wespennester oder werden nach stundenlanger Mäharbeit in praller Sonne von einem Herzinfarkt gefällt. Mindestens 80 000 Amerikaner kommen jedes Jahr nach Mäh-Unfällen ins Krankenhaus, etliche sterben sogar.

Prominentestes Opfer war der Schauspieler Richard Widmark, der sich 1990 bei einem Mäh-Unfall schwer am Bein verletzte. »Ich habe meine Ärzte danach nicht gefragt, ob ich je wieder als Schauspieler arbeiten kann«, erinnerte er sich später. »sondern ob ich je wieder mähen kann.«

Diese Schreckensliste könnte als Argument für den Mähroboter verstanden werden; der Robomow hat schließlich, soweit bekannt, noch niemandem wehgetan. Doch in dem flehenden Wunsch von Richard Widmark, bald wieder auf seinen Rasen zu können, schwingt schon der wichtigste Grund dafür mit, warum wir das Mähen keinesfalls den Maschinen überlassen sollten: Dazu macht es einfach zu viel Spaß.

»Ich liebe den Geruch frisch gemähten Grases«, bekennt der Rasenprofi Peter Shaw, und auch Hobbygärtner können kaum anders, als beim Zusammenspiel von körperlicher Betätigung, frischer Luft, sattem Grün und dem Duft der soeben zerkleinerten Wiesenrispe ein Hochgefühl zu empfinden; zumindest solange kein lärmender, stinkender Benzinmäher das Naturerlebnis zunichte macht.

Einen Großteil seiner bisherigen Existenz auf Erden hat der Mensch an der frischen Luft verbracht, schuftenderweise. Das hat sich – erdgeschichtlich betrachtet – erst vor einem Wimpernschlag geändert, und eine der letzten Tätigkeiten, die unseren heutigen Alltag mit dieser Vergangenheit verbinden, ist das Rasenmähen.

Man muss sich nicht in die Grassavanne zurückwünschen, um zu erkennen, dass uns noch mehr Natur entgleiten würde, wenn wir diese Wurzel auch noch kappten. Viel Vergnügen also in der diesjährigen Mähsaison, allerdings ohne Roboter, sondern mit ehrlicher Muskelkraft und dem alten Spindelmäher aus dem Gartenschuppen!

Schon Fjodor M. Dostojewski formulierte in Die Brüder Karamasow schließlich den immer noch gültigen Satz: »Wissen Sie, ich will mähen…«

Foto: Susanne Borchert