WOLFGANG JOOP
Der Designer erlebt im Traum die Einsamkeit einer Generation,
die sich ewige Jugend wünscht.
»Ich laufe durch eine Bungalowsiedlung, die wie ein Neubaugebiet der BRD der Sechzigerjahre aussieht. Der Ort kommt mir bekannt vor und ist es doch nicht. Die Häuser sind erleuchtet, ich kann hineinsehen, aber niemand ist zu Hause. Ich spüre, ich bin ausgeladen. Ich möchte heim nach Sanssouci, aber ich finde den Weg nicht. Im Traum fühle ich: Es gibt kein Zuhause mehr, keine Zuflucht, niemanden, den du kennst. Diese Träume fingen an, als ich Mitte zwanzig war, und verstärkten sich wieder, seit meine Mutter 2010 gestorben ist. Als Kind bin ich auf dem Bauernhof meiner Großeltern am Rande des Parks von Schloss Sanssouci aufgewachsen. Kurz vor dem Bau der Mauer sind wir nach Westdeutschland gezogen. Der Ort meiner Kindheit, Potsdam, schien mir für immer verloren, man glaubte ja nicht, dass die DDR je zu Ende geht. Meine Eltern kauften Ende der Sechzigerjahre bei Braunschweig einen Bungalow – der Traum der Wirtschaftswundler. Meine Generation hat sich aufgemacht, das Provinzielle, diese Spießigkeit zu verlassen – und nun finden wir nicht mehr zurück in die Idylle der Kleinfamilie, die als Reserve in der Seele blieb. Wir haben uns den Infantilismus geleistet, ewig jung sein zu wollen. Alle Versuche, arriviert zu sein, sind mir auch misslungen. Mein Traum ist eben eine Nebenwirkung meines Lebens als Kosmopolit.«
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JOKO WINTERSCHEIDT
macht rasant Karriere im deutschen Fernsehen - und kann auch im Traum nicht innehalten.
»Ich habe bislang nur mit einem engen Freund über diesen Traum gesprochen, eigentlich schön, mal anderen davon zu erzählen. Kann mir das jemand deuten? In diesem Traum fahre ich Auto, aber ich kann nicht mehr anhalten. Ich trete krampfhaft auf die Bremse, aber der Wagen rollt einfach weiter. Ich hatte den Traum so oft, dass ich alle Tricks aus der Fahrschule ausprobiert habe: Handbremse ziehen, Motorbremse, aber ich bleibe nicht stehen. Nie baue ich einen Unfall, ich rase nicht mit hohem Tempo, es ist eher so, dass ich anhalten möchte, aber der Wagen am Ziel vorbeifährt, ich muss Sachen liegen lassen, die ich mitnehmen sollte. Der Hobbypsychologe in mir denkt sich: Ich bin wohl zu schnell unterwegs im Leben, ich müsste mal langsamer machen. Aber den Traum hatte ich schon vor sieben Jahren, als mein Leben noch wesentlich entspannter war. Ich arbeite gerade sehr viel, aber trotz des Traums habe ich nicht das Gefühl, dass ich eine Auszeit möchte. In dem Traum passiert ja nichts Schlimmes, ich stürze nicht in den Abgrund. Solange mein Job Spaß macht, solange Klaas und ich das, was wir da im Fernsehen abliefern, als gut betrachten, machen wir weiter. Vielleicht ist der Traum eher ein Training: Dann werde ich das eines Tages am Steuer erleben und er soll mich vorbereiten.«
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MALU DREYER
Die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz über einen Traum, der seit rund zehn Jahren wiederkehrt.
»Ich gehöre nicht zu den Menschen, die sich an ihre Träume erinnern - nur an diesen einen: Das Besondere an dem Traum ist, dass ich darin ganz selbstverständlich laufen kann. Ich schaffe sonst maximal einen Kilometer, wenn wir länger unterwegs sind, nehme ich den Rollstuhl. Aber in diesem Traum wandere ich bergauf durch einen Wald meiner Kindheit, einen hellen Mischwald, es gibt dort einen Bach, die Sonne scheint durch die Baumkronen. Oder ich spaziere stundenlang einen langen, einsamen Nordseestrand entlang, den ich aus unseren Urlauben in Dänemark kenne, ich rieche das Meer, schmecke die salzige Luft, spüre den Wind, manchmal beginne ich zu laufen, ich renne über den Sand. Komisch: Ich bin nicht traurig, wenn ich aufwache, ich denke nicht ›schade, nur geträumt‹. Wenn ich morgens wach werde, fühle ich mich unbeschreiblich unbeschwert, so wunderbar frei, der Traum gibt mir Energie für den ganzen Tag. Ich war, solange es ging, immer sehr aktiv und sportlich, ein richtiges Waldkind. Ich bin ja erst mit rund zwanzig chronisch erkrankt an Multipler Sklerose. Noch mit Anfang dreißig bin ich Ski gelaufen. Seit etwa zehn Jahren habe ich diesen Traum, manchmal träume ich ihn ein, zwei Mal in einer Woche, dann wieder monatelang gar nicht.«
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SAMY DELUXE
Der Musiker veränderte nach einem Albtraum seine Art zu arbeiten. Sein Album »Männlich« ist gerade erschienen.
»2011 war ein Jahr, in dem es eigentlich sehr gut lief für mich - neues Album, ausverkaufte Tour -, aber in der Zeit hatte ich den immer gleichen Albtraum: Ich stehe auf der Bühne und merke, dass ich immer mehr Fußboden sehe, das Publikum wird weniger und weniger. Ich verstehe gar nicht, warum die gehen, und egal, was ich dagegen mache, es reicht nicht. Ein echt ätzendes, furchtbares Gefühl, ich bin jedes Mal schweißgebadet aufgewacht und konnte nicht mehr einschlafen. Ich habe lange wach gelegen und nachgedacht: Was will mir mein Unterbewusstsein sagen? Ich weiß es bis heute nicht. Es kann schon mal vorkommen, dass ein Konzert nicht so gut besucht ist - übrigens sind gerade die Auftritte oft die besten, weil man denkt: ›Okay, jeder, der jetzt da war, soll danach seinen Freunden erzählen, was sie verpasst haben.‹ Es ist aber schwer, ein schlecht besuchtes Konzert nicht persönlich zu nehmen, dabei muss es nicht deine Schuld sein, vielleicht gab es nur zu wenig Werbung im Vorfeld. Der Traum hat mich so geschockt, dass ich angefangen habe, für andere Künstler Lieder zu schreiben und zu produzieren. Wenn jetzt eine neue Platte von mir erscheint, versuche ich, schon in drei neuen Projekten drinzustecken, damit ich nicht das Gefühl habe, meine Zukunft hängt von diesem Album ab.«
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KERSTIN GIER
Die Autorin des Bestsellers »Silber - Das Buch der Träume« über einen wiederkehrenden Albtraum.
»Ich habe diesen Traum mindestens einmal die Woche, schon seit früher Kindheit: Ich gehe mit einer Person, die mir sehr vertraut ist - früher war es meine Mutter, heute eine Freundin, mein Mann oder meine Agentin -, durch eine große Menschenmenge. Das kann in einer Fußgängerzone sein, auf einer Party, in einem Supermarkt. Wir laufen also durch die Menschen, und plötzlich verliere ich die Person, mit der ich gekommen bin, aus den Augen. Ich renne ihr hinterher, ich kämpfe mich zu ihr vor und hole sie ein, dann dreht sie sich um - und ich erschrecke, denn sie ist eine fremde Person. Ich träume das in verschiedenen Varianten, mal dramatischer, mal harmloser. In der ganz schlimmen Version dreht die Person sich um und blickt mich mit toten Augen an, wie ein Zombie. Manchmal hat sie eine blutende Schusswunde. Als Kind bin ich immer mit klopfendem Herz hochgeschreckt. Und auch heute noch wache ich mit dem Gefühl auf, völlig allein zu sein und jemanden für immer verloren zu haben - dabei schläft mein Mann neben mir und alles ist gut. Ich frage mich schon, was das Unterbewusstsein mir sagen will. Meine Mutter, mit der diese Träume ja angefangen haben, war, als ich Kind war, immer für mich da, eine typische Sechzigerjahre-Vollzeitmutter, ich hatte kenen Anlass für Verlustängste.«
Illustration: Pieter Van Eenoge; Fotos: dpa