Die guten Seiten des Flughafendesasters

Berlins Chaos-Airport BER wird möglicherweise niemals fertig. Weil Wut auch nicht weiterhilft, sollten wir endlich das Positive sehen.

Von außen sieht das Terminal des neuen Berliner Flughafens BER fast schon einladend aus, aber hinter der Fassade verbergen sich noch jede Menge Probleme.

Foto: dpa

Seit 13 Jahren wird versucht, vor den Toren Berlins einen Großflughafen in den Brandenburger Sand zu setzen. Nun hat der TÜV-Rheinland in einem internen Dokument dargelegt, dass auch der aktuelle Eröffnungstermin im Oktober 2020 gefährdet ist, allein an der Kabelanlage für die Sicherheitsstromversorgung und die Sicherheitsbeleuchtung gäbe es noch mehr als 11 000 Mängel. Die ursprünglich geplanten Kosten von zwei Milliarden Euro haben sich inzwischen beinahe vervierfacht, jeder Tag, den der BER nicht eröffnet wird, kostet den Steuerzahler 1,5 Millionen Euro. Oft ist ausgerechnet worden, wo dieses Geld fehlt und was man damit alles Sinnvolles hätte tun können. Das ist wichtig, und soll auch weiterhin geschehen. Aber würde man ständig solche Gedanken im Kopf hin und her bewegen, so würde einem wahrscheinlich ziemlich bald vor Wut und Hilflosigkeit der Kopf platzen.

Weil unser Zorn uns auch nicht weiterhilft, scheint es an der Zeit zu sein, eine andere Herangehensweise an dieses Problem auszuprobieren. Vielleicht ist es ja möglich, das Großdesaster BER neu zu »framen«, ihm einen neuen Deutungsrahmen zu verleihen. Was wären denn im diesen Fall die positiven Dinge, die sich der Dauerbaustelle abgewinnen ließen?

Man kann zum Beispiel durchaus sagen, dass der BER ein Segen für das deutsche Binnenverhältnis ist, denn nichts freut Nicht-Berliner mehr, als Berlins Defizite aufzuzählen. Die Hauptstadt mag cooler, angesagter, kulturell vielfältiger, geschichtsträchtiger, interessanter sein als so ziemlich jede andere Stadt in Deutschland, aber, tja, einen Flughafen bekommen sie nicht hin in Berlin. Da stehen die Stuttgarter mit ihrer vergleichsweise überschaubaren Tiefbahnhofsmisere schon gleich nicht ganz so schlecht da, da strahlt Hamburg mit seiner Elphi umso heller, da kann sich München auf die Schulter klopfen, weil ihr Flughafen so modern und cool ist, obwohl man ihn nach Franz Josef Strauß benannt hat. Keine deutsche Stadt muss noch damit angeben, »mehr Brücken als Venedig« zu haben, für das Stadtmarketing reicht es, »Aus der Luft besser zu erreichen als Berlin« zum Claim zu erheben.

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Es war längst an der Zeit, mit dem Klischee von der effizienten Ingenieursnation aufzuräumen

Die Berliner unterdessen sind von großer Gleichmut, was den BER betrifft, sie sind ohnehin nicht an funktionierende Infrastruktur gewöhnt und hoffen, dass die provinzielle Currywurst-Atmosphäre des aktuellen Flughafens Schönefeld und die katastrophale Anbindung des Flughafens Tegel an den Berliner ÖPNV den Strom von Easyjet-Touristen noch einigermaßen begrenzen wird. Und wenn nicht, dann ist doch wenigstens jeder Berlinbesucher, der mit dem Flugzeug anreist, schon mal darauf eingestimmt, mit welcher Begeisterung man in dieser Stadt Touristen empfängt.

Die BER-Baustelle ist außerdem ein Mahnmal für deutsche Hybris und Arroganz. Es war längst an der Zeit, mit dem Klischee von der effizienten Ingenieursnation aufzuräumen. Neben dem VW-Dieselskandal und dem Zustand der deutschen Flugbereitschaft, die regelmäßig verhindert, dass unsere Spitzenpolitiker*innen pünktlich und zuverlässig Termine im Ausland wahrnehmen können, strahlt die BER-Baustelle am hellsten im Dreigestirn unangebrachter deutscher Großkotzigkeit, mit der wir »Made in Germany« immer noch für das Maß aller Dinge halten. Deutschen Reisenden, die im Ausland herablassend und mit dem Gefühl der Überlegenheit über die dortigen Verhältnisse lästern, über Korruption, Pfusch und mafiöse Strukturen, sollte die BER-Baustelle die nötige Demut lehren.

Eine weitere schöne Nebenerscheinung ist, wie sehr der BER die Fantasie anregt. Es gibt unendlich viele Idee zur Neuwidmung des Flughafenterminals, falls der Bund und die Länder Berlin und Brandenburg sich doch noch entschließen, den ganzen Mist einfach bleiben zu lassen und an anderer Stelle noch einmal von vorn anzufangen mit dem Flughafenbau. Dann könnte man das alte Terminal einfach sprengen oder junge Männer sich zwecks Aggressionsabbau mit Vorschlaghämmern austoben lassen.

Man könnte einen Skatepark und einen Escape-Room daraus machen, ein gigantisches Festivalgelände, einen Park & Ride-Parkplatz, ein Ausbildungszentrum für Flugtaxipiloten. Oder ein Anschauungsmodell für Architekt*innen, Ingenieur*innen und Bauplaner*innen aus aller Welt, damit die quasi am echten Objekt erfahren können, wie man es besser nicht macht, ähnlich einem nachgebauten Tatort in der Kriminaltechnikerausbildung.

Zu guter Letzt ist die BER-Baustelle eine Mahnung an uns alle, bescheiden zu bleiben und im Leben nicht nur nach Ruhm und Prominenz zu streben. Wenn du Pech hast wird posthum ein Flughafen nach dir benannt und man kann von der SPD und ihren Kanzlern ja halten was man will, aber DAS hat Willy Brandt wirklich nicht verdient.