Manchmal denke ich, wie es wäre, man würde in diesem nun angebrochenen Jahr eines Tages die Zeitung aufschlagen und lesen: »Für alle Beteiligten überraschend ging gestern Morgen, mehr als sieben Jahre nach dem ursprünglich vorgesehenen Eröffnungstermin, der neue Berliner Flughafen in Betrieb. Der Vorsitzende der Geschäftsführung des Airports, Engelbert Lütke Daldrup, gab bekannt, er selbst sei bei Betreten seines Büros ›komplett überrascht‹ gewesen, auf den Start- und Landebahnen Flugzeuge zu sehen und Gepäck auf den Förderbändern zu erblicken. Damit habe niemand rechnen können. Man habe es offensichtlich mit einer Art Selbsteröffnung zu tun. Im Grunde sei das ein Rätsel. Aber er freue sich sehr.«
Warum sollte das nicht möglich sein? Bitte, hätte es jemand vor, sagen wir, zehn Jahren für denkbar gehalten, dass es in Berlin und Umgebung gleichzeitig Schulen geben könnte, deren Toiletten mehr oder weniger unbenutzbar sind, und einen Flughafen, dessen Nicht-Eröffnung Kosten von mehr als 35 Millionen Euro pro Monat verursacht? Nein, nicht wahr? Es ist heute noch unbegreiflich, wie stumm duldend wir sein können.
Doch es ist so. Es ist wahr. Und deshalb gibt es im Grunde nichts, das nicht auch geschehen könnte.
Zum Beispiel halte ich es keineswegs für ausgeschlossen, dass im Untergrund Deutschlands plötzlich bei Erdarbeiten ein perfekt ausgebautes U-Bahn-Netz entdeckt wird, das schnellste Verbindungen zwischen den großen Landesmetropolen ermöglicht. Ein fertiges Transrapidsystem, das einst heimlich, als Überraschung für die Bürger, gebaut, dann aber nach seiner Fertigstellung vor Jahrzehnten von der Bundesregierung einfach vergessen wurde. Aber es ist noch da, ja, die Züge fahren seit langer Zeit vollautomatisch hin und her und her und hin, zisch, zasch, zusch, bloß ohne Passagiere. Und man muss jetzt nur, egal wo, äh, in den Hauptbahnhof einsteigen – und los geht’s …
Bitte, ich las vor einer Weile im Tagesspiegel einen Artikel über den Nichtflughafen. Darin hieß es: »Zugleich versucht Chefmanager Engelbert Lütke Daldrup derzeit, neue Zeit-Reserven für die langwierige Beseitigung von Mängeln nachzuverhandeln …« Wie eigenartig ist das denn?! Im ganzen Artikel ist von Zeitpuffern die Rede, von Mängelclusterung und -priorisierung, von Wirkprinzipprüfungen, auch entdeckt man in weiteren Texten zum Flughafenthema Wörter wie Brandschutzmatrix, Rauchschürze, Rückfalloption, Abarbeitungsgeschwindigkeit, Brandfallsteuerung – alles Beweise dafür, dass draußen im Brandenburgischen längst ein eigener Flughafenstaat entstanden ist, mit einer neuen Sprache, die wir nicht verstehen können.
Aber die Nachverhandlung neuer Zeit-Reserven ist doch das Wunderbarste. Denn dies kann nur bedeuten, dass in unserer für alle gleichermaßen vorhandenen Zeit bisher unbekannte Reserven vorhanden sind – im Grunde eine Revolution der Physik. Es müsste möglich sein, zum Beispiel im Jahr 2019 nicht bekannte Stunden, Tage oder Wochen aufzufinden, die dann durch Nachverhandlung zum Flughafenbau verwendet werden dürfen, einen 32. oder 33. März zum Beispiel oder einen 0. Juni, auch eine unbekannte Woche im August, möglicherweise einen ungenutzten Herbstmonat namens Wowember? Oder gar BERtober.
Vielleicht, nur so ein Gedanke, könnte man, damit der Flughafen wirklich endlich 2020 eröffnet werden kann, überhaupt an dieses nun laufende Jahr ein weiteres anschließen namens 2019a? Oder überhaupt eine neue Zeitrechnung erdenken! In ihr würde das Jahr der Nicht-Eröffnung (bisher unter der Zahlenkombination 2011 bekannt) in Das Jahr Wowereit oder nur Wowi umbenannt. 2010 wäre dann 1 vor Wowi gewesen, und jetzt befänden wir uns im Jahr 8 nach Wowi.
Es gibt viel zu tun. Verhandeln wir’s nach!