Das Kreuz mit dem Haus

Seit das Geburtshaus Papst Benedikts XVI. zum Verkauf steht, hängt in Marktl am Inn der Haussegen schief.

Wenn Claudia Dandl, 39, schlank, lockiges Haar, nach einem Vergleich für den Irrsinn sucht, den sie gerade erlebt, nimmt sie das Königlich Bayerische Amtsgericht als Vergleich, diese legendäre Fernsehserie über den Amtsgerichtsrat August Stierhammer und seine skurrilen Fälle im alltäglichen Wahnsinn eines bayerischen Dorfes. »Genauso ist es hier in Marktl«, sagt sie lachend, »wirklich genauso.« In Marktl am Inn wird seit der Wahl Joseph Ratzingers zum Papst ein Possenspiel aufgeführt. Mal mehr, mal weniger freiwillig Mitwirkende: Claudia Dandl, die im Geburtshaus Joseph Ratzingers lebt, Hubert Gschwendtner, Bürgermeister, Josef Kaiser, Pfarrer, sowie fast alle Einwohner Marktls. Die Freude, dass ein Sohn ihres Dorfes Papst geworden ist, eint sie. Alles andere gibt Anlass zu Zwietracht. In der Mitte des Dorfes und im Mittelpunkt dieser Geschichte steht das Geburtshaus Joseph Ratzingers. Hier bündeln sich die Hoffnungen und Sorgen der Marktler, weil das Gebäude am Marktplatz Nummer 11 außer einem alten Taufbecken, in dem Joseph Ratzinger katholisch wurde, die einzige handfeste Verbindung des Ortes mit dem Papst darstellt. Hier lebt Claudia Dandl seit sechs Jahren. Aber sie will das Haus verkaufen. Dazu hat sie eine Immobilienmaklerin und eine Public-Relations-Agentur engagiert, und seitdem diese Berater den Verkauf des Hauses angekündigt haben, schlägt die Stimmung in Marktl höher noch als ohnehin. Manche Leute im Dorf sagen, wenigstens werde der Irrsinn um dieses Haus bald aufhören: Am 22. August endet die Frist, binnen der Gebote für den Kauf des Geburtshauses abgegeben werden können. Danach wird feststehen, was in Zukunft mit dem Haus passiert. Nicht feststehen wird, was in Zukunft mit Marktl passiert. Marktl ist ein Dorf, wie es sich ein Liebhaber prächtiger bayerischer Panoramen nicht besser wünschen könnte: Nahe der Grenze zu Österreich liegt es malerisch an einer Biegung des Inns, über dem sich an dieser Stelle das Innhorn erhebt, eine schroff aufragende Anhöhe, wo Dohlen nisten. Hier leben 2700 Menschen in einer kleinen, überschaubaren Welt, die von einem feingliedrigen, aber festen Geflecht an Beziehungen, Freund- und Feindschaften durchzogen ist. An der Spitze dieser Welt stehen »Don Camillo und Peppone«, so nennen sie im Dorf Pfarrer Josef Kaiser und den Bürgermeister Hubert Gschwendtner. Das passt: Der 55-jährige Kaiser, ein stattlicher Mann mit grauem Vollbart, ist ein wortgewaltiger Priester, dem im Dorf ein gewisser Schalk nachgesagt wird. Und Gschwendtner, 56, ein kleiner Mann mit vielen Lachfalten in den Augenwinkeln, ist ein tatkräftiger Bürgermeister, »ein Rouder«, wie es hier heißt, ein Roter, also SPD-Mitglied. Der Rhythmus im Dorf wird durch eine stetige Folge von Festen, Theateraufführungen oder Kapellenproben bestimmt und das Leben durch die strenge Geborgenheit der Vereine geprägt, in denen die Menschen sich gegenseitig ihres Engagements für die Gemeinschaft vergewissern. In diese Welt brach die Wahl Joseph Ratzingers zum Papst herein wie eine Naturkatastrophe. Bürgermeister Gschwendtner kam sich in den Tagen nach dem Konklave vor wie ein Mensch im Angesicht einer unerbittlich anbrandenden Flut: Journalisten zu Hunderten, Interviews in fremden Sprachen, dazu die vielen Schaulustigen, Pilger, Touristen, die Autos parken, Andenken kaufen, Informationen haben wollten – »das hat uns einfach überrollt«, sagt Gschwendtner. Pfarrer Kaiser meint zur Situation seiner Gemeinde: »Wie eine Welle ist das über uns gekommen. Von einer Sekunde auf die nächste kennst du das Dorf nicht mehr.« Alle Menschen, die nach Marktl kamen, wollten in Claudia Dandls Haus, klingelten, bis sie die Klingel abstellte, dann klopften sie, drückten die Türklinke, schauten zum Fenster hinein. Claudia Dandl sagt: »Es war so, als ob einem das eigene Haus nicht mehr gehört.«

Was Gschwendtner, Kaiser und Dandl da beschreiben, war die Zeit, die in Marktl inzwischen nur mehr »Wilder Westen« genannt wird, eine Zeit der Euphorie und des Neides. Die Bilder, die damals von Marktl um die Welt gingen, zeigten das Dorf als »Media-Marktl«, in dem über Nacht Papstbrot, Papstbier, Papstwürste und Papstschnaps feilgeboten wurden. Damals begann die Zwietracht. Warum genau lässt sich schwer sagen, weil es in Marktl darüber so viele Versionen gibt: Die einen berichten, dass sich die beiden Bäcker des Ortes entzweiten, die anderen sehen die beiden Metzger in Feindschaft um die Wurst, wieder andere machen den Quell des Übels beim Papstbier aus, das eine Brauerei aus der benachbarten Gemeinde Tann zunächst mit dem Etikett »Marktler Papstbier« versah, worauf die Gemeinde Marktl die Verwendung des Namens Marktl untersagte, weswegen das Papstbier inzwischen nur noch Papstbier heißt. Und dann gab es auch noch den 50-Cent-Konflikt: Zuerst verkaufte nur der Gasthof »Oberbräu« am Marktplatz das Papstbier, doch als es sich als Renner erwies, nahmen es rasch auch andere Läden ins Sortiment, darunter »Eva’s Teehaferl« und die »Bäckerei Leukert«. Eine Flasche Papstbier kostet in Marktl zwei Euro. Doch dann verkaufte die Bäckerei Leukert die Flasche für 1,50 Euro. Daraufhin, so heißt es, habe sich die Konkurrenz, fuchsteufelswild und unter dem Kommando von Eva’s Teehaferl, das Bäckerehepaar Leukert »grob gepackt«, bis bei der Bäckerei Leukert die Flasche wieder zwei Euro gekostet hat, was diesen Zwist jedoch nicht entschärfte. Wer mit Eva und Herbert Zeberer von Eva’s Teehaferl spricht, hört folgende Version: Richtig sei, dass es eine Meinungsverschiedenheit gegeben habe, aber keine harte. Es sei nur darum gegangen, einen einheitlichen Preis abzusprechen. »Man kann mit denen nicht zusammenarbeiten«, sagt Herbert Zeberer. Wer mit Wolfgang und Roswitha Leukert von der Bäckerei über den Streit um die 50 Cent spricht, hört, dass es keinen Streit gegeben habe. »Es sind Kommunikations-schwierigkeiten, so würde ich das nennen«, sagt Wolfgang Leukert. Er habe schlicht nicht gewusst, dass es einen Einheitspreis gebe. »Das war in Marktl immer so: Jeder arbeitet für sich selber, jeder kocht seine eigene Suppe – und wir kochen dann halt auch unsere Suppe.« Dafür habe er dann den schwarzen Peter bekommen. Manche Marktler haben die Hoffnung, der Andrang der Touristen möge noch wachsen, auf dass es der Gemeinde finanziell besser gehe. Im Moment hat sie rund drei Millionen Euro Schulden. Anderen ist der Rummel schon jetzt zu viel, sie haben Sorge, dass sich das Leben in Marktl nur mehr nach den Touristen richtet. Josef Kaiser fürchtet, dass in diesem Spannungsfeld aus Hoffnung und Sorge die Sicht auf die schönen Seiten verloren geht, die die Papstwahl nach sich zieht: Früher war der Marktplatz am Abend tot, jetzt haben ihn die Marktler »Piazza Benedetto« getauft und sitzen dort bis zur Dunkelheit im neuen Café. In der Kirche finden jede Woche ein halbes Dutzend Gottesdienste von Pilgergruppen statt, schon das vierte Fürbittenbuch ist voll geschrieben von Touristen aus aller Welt. »Marktl ist viel lebendiger geworden«, sagt der Pfarrer. Den einzigen wahren Streit, den der Pfarrer sieht, ist der Konflikt um das Geburtshaus. Als die Nachricht kam, dass es zum Verkauf steht, war Josef Kaisers erster Gedanke: »Jetzt entscheidet sich die Zukunft.« Denn das Haus »ist der Dreh- und Angelpunkt«. Auch Bürgermeister Gschwendtner sieht das so: »Ein nachhaltiges Konzept kann nicht ohne das Haus Erfolg haben.« Die Gemeinde würde das Gebäude gern kaufen, um darin ein Museum einzurichten. Der Bürgermeister hofft, dass die Touristen und Pilger dann, statt nur vor dem Geburtshaus Fotos zu machen und ein paar Andenken zu kaufen, länger in Marktl bleiben.

In Marktl gibt es über nichts so viele Gerüchte wie über das Haus und seine Besitzerin Claudia Dandl. In dieser kleinen Welt ist Claudia Dandl, obwohl selbst gebürtige Oberbayerin, die Fremde, und sie ist es auch immer gewesen, seit sie hierher zog: Sie ist in keinem Verein Mitglied, geht nicht in die Kirche, hält sich von Festen fern. Sie hat zwei Kinder, die eine Montessorischule besuchen, ist aber nicht verheiratet. Sie lebte bis letztes Jahr mit einem Instrumentenbauer zusammen, der Drehleiern und Klangbäume herstellt, und sie arbeitet als Körpertherapeutin – alles Merkmale, die manche Marktler befremdlich finden. Nach der Papstwahl stand diese Außenseiterin plötzlich im Brennpunkt des Interesses, das um so drängender wurde, je mehr sich ihm Claudia Dandl versagte. So begann eine Geschichte voller Missverständnisse. Darum stehen sich Hubert Gschwendtner und Claudia Dandl heute misstrauisch gegenüber. »Das ist ein bisserl ein delikates Thema«, sagt Hubert Gschwendtner. »Es ist wie eine schlechte Komödie«, sagt Claudia Dandl. Mit beiden Kontrahenten lässt sich in diesen Tagen nur schwer über das Geburtshaus sprechen: Der Bürgermeister wählt jedes einzelne Wort sehr sorgfältig und Claudia Dandl kann man nur interviewen, wenn zwei PR-Berater dabeisitzen, die das Gespräch überwachen. Es ist viel schief gelaufen zwischen Claudia Dandl und der Gemeinde, zum Beispiel wegen dieser Puppe aus der Sesamstraße. Die stand am Tag nach der Papstwahl im Fenster des Geburtshauses, Dandls Kinder hatten sie dort hineingestellt, zusammen mit anderen Spielfiguren. An diesem Tag waren ständig zwei Dutzend Fernsehkameras auf das Haus gerichtet, und als Dandls kleiner Sohn Jacob einmal aus dem Fenster im ersten Stock schaute, konnte ihn seine Schwester Marja live im Fernsehen sehen. Zwar nur einen Augenblick, weil sofort Journalisten an das Haus drängten und Mikrofone auf Stangen zum ersten Stock reckten, um Jacob zu interviewen. Jacob fand das witzig, Claudia Dandl nicht. Die Puppe im Fenster des Erdgeschosses hielt Dandl für eine gute Art ihrer Kinder, mit dem Medienrummel umzugehen: »Die Leute gucken nach drinnen, und wir, unsere Figur, die guckt nach draußen.« In Marktl wurde das als Trotzreaktion ausgelegt, manche fassten es als Beleidigung des Papstes auf. Claudia Dandl nahm die Puppe aus dem Fenster. Sie wollte keinen Streit. Zu spät. In diesen Tagen nach der Papstwahl kochten die Gerüchte hoch: Claudia Dandl sei geflohen, hieß es, habe verkauft, sei Mitglied einer esoterischen Gruppe. Gleichzeitig begann die Gemeinde, für eine touristische Zukunft als Papst-Geburtsort zu planen, die Gemeinderäte trafen sich in einem »Papst-Ausschuss«, es ging um Fragen der Vermarktung, des Markenschutzes oder auch nur um Parkplätze für Pilger. Alles ging drunter und drüber. »Es musste ja alles schnell gehen«, sagt Bürgermeister Gschwendtner, »wir sind von null auf hundert katapultiert worden.« Ein Fünfzig-Punkte-Programm wurde erstellt, um den Papst-Ort »nachhaltig erlebbar zu machen«, Papstmünzen in Auftrag gegeben, schließlich eine eigene Tourismus-GmbH gegründet. Hubert Gschwendtner sagte damals, die Papstwahl sei eine einzigartige Chance, »die dürfen wir nicht verspielen«. Er sagte auch: »Wir sind überfordert.« Wie groß das Chaos war, wie sehr Gschwendtner unter Stress stand, spießte damals die örtliche Theatergruppe auf: Sie führte einen Sketch auf, in dem der Bürgermeister plötzlich sogar mit seiner eigenen Frau Englisch sprach.

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In Marktl gibt es über nichts so viele Gerüchte wie über das Haus und seine Besitzerin Claudia Dandl. In dieser kleinen Welt ist Claudia Dandl, obwohl selbst gebürtige Oberbayerin, die Fremde, und sie ist es auch immer gewesen, seit sie hierher zog: Sie ist in keinem Verein Mitglied, geht nicht in die Kirche, hält sich von Festen fern. Sie hat zwei Kinder, die eine Montessorischule besuchen, ist aber nicht verheiratet. Sie lebte bis letztes Jahr mit einem Instrumentenbauer zusammen, der Drehleiern und Klangbäume herstellt, und sie arbeitet als Körpertherapeutin – alles Merkmale, die manche Marktler befremdlich finden. Nach der Papstwahl stand diese Außenseiterin plötzlich im Brennpunkt des Interesses, das um so drängender wurde, je mehr sich ihm Claudia Dandl versagte. So begann eine Geschichte voller Missverständnisse. Darum stehen sich Hubert Gschwendtner und Claudia Dandl heute misstrauisch gegenüber. »Das ist ein bisserl ein delikates Thema«, sagt Hubert Gschwendtner. »Es ist wie eine schlechte Komödie«, sagt Claudia Dandl. Mit beiden Kontrahenten lässt sich in diesen Tagen nur schwer über das Geburtshaus sprechen: Der Bürgermeister wählt jedes einzelne Wort sehr sorgfältig und Claudia Dandl kann man nur interviewen, wenn zwei PR-Berater dabeisitzen, die das Gespräch überwachen. Es ist viel schief gelaufen zwischen Claudia Dandl und der Gemeinde, zum Beispiel wegen dieser Puppe aus der Sesamstraße. Die stand am Tag nach der Papstwahl im Fenster des Geburtshauses, Dandls Kinder hatten sie dort hineingestellt, zusammen mit anderen Spielfiguren. An diesem Tag waren ständig zwei Dutzend Fernsehkameras auf das Haus gerichtet, und als Dandls kleiner Sohn Jacob einmal aus dem Fenster im ersten Stock schaute, konnte ihn seine Schwester Marja live im Fernsehen sehen. Zwar nur einen Augenblick, weil sofort Journalisten an das Haus drängten und Mikrofone auf Stangen zum ersten Stock reckten, um Jacob zu interviewen. Jacob fand das witzig, Claudia Dandl nicht. Die Puppe im Fenster des Erdgeschosses hielt Dandl für eine gute Art ihrer Kinder, mit dem Medienrummel umzugehen: »Die Leute gucken nach drinnen, und wir, unsere Figur, die guckt nach draußen.« In Marktl wurde das als Trotzreaktion ausgelegt, manche fassten es als Beleidigung des Papstes auf. Claudia Dandl nahm die Puppe aus dem Fenster. Sie wollte keinen Streit. Zu spät. In diesen Tagen nach der Papstwahl kochten die Gerüchte hoch: Claudia Dandl sei geflohen, hieß es, habe verkauft, sei Mitglied einer esoterischen Gruppe. Gleichzeitig begann die Gemeinde, für eine touristische Zukunft als Papst-Geburtsort zu planen, die Gemeinderäte trafen sich in einem »Papst-Ausschuss«, es ging um Fragen der Vermarktung, des Markenschutzes oder auch nur um Parkplätze für Pilger. Alles ging drunter und drüber. »Es musste ja alles schnell gehen«, sagt Bürgermeister Gschwendtner, »wir sind von null auf hundert katapultiert worden.« Ein Fünfzig-Punkte-Programm wurde erstellt, um den Papst-Ort »nachhaltig erlebbar zu machen«, Papstmünzen in Auftrag gegeben, schließlich eine eigene Tourismus-GmbH gegründet. Hubert Gschwendtner sagte damals, die Papstwahl sei eine einzigartige Chance, »die dürfen wir nicht verspielen«. Er sagte auch: »Wir sind überfordert.« Wie groß das Chaos war, wie sehr Gschwendtner unter Stress stand, spießte damals die örtliche Theatergruppe auf: Sie führte einen Sketch auf, in dem der Bürgermeister plötzlich sogar mit seiner eigenen Frau Englisch sprach.

Als Claudia Dandl erfuhr, dass die Gemeinde die Fassade ihres Hauses als Warenzeichen eintragen lassen wollte, nahm sie sich einen Anwalt und legte Widerspruch beim Patentamt ein. Jetzt war für sie die Grenze überschritten. Sie hätte wenigstens gefragt werden wollen. Wenn sie nur eben zum Bioladen ging, ein kurzer Weg von ihrem Haus, sprachen sie Marktler an. »Ständig, ständig, ständig kam die Frage: ›Was machen Sie mit diesem Haus?‹ Da war es also schon dieses Haus und nicht mehr mein Haus.« Irgendwann in dieser Zeit sei dann ihr Entschluss gereift, das Haus zu verkaufen. Zuerst wollte sie sich nicht von dem Haus trennen. Als sie es 1999 kaufte, war es baufällig, weil es lange leer gestanden hatte, nicht einmal eine Heizung gab es. Sie hat es komplett renoviert. »Ich hänge an diesem Haus«, sagt sie. Sie wollte es nicht einfach aufgeben, nur weil ein Papst darin geboren wurde. Dann kam eines Tages ihr kleiner Sohn und erzählte, dass eben ein Pilger den Boden vor dem Haus geküsst hatte. Kurz darauf sah Dandl, wie jemand die Gedenktafel für Joseph Ratzinger an der Wand neben ihrer Haus-tür küsste. »Das hat mich berührt«, sagt sie. Daraufhin ist sie manchmal, wenn Pilgergruppen kamen, durch den Hinterausgang hinaus und hat sich zu ihnen gestellt, unerkannt, um mit ihnen zu sprechen. Sie kam zum Schluss: »Dieses Haus hat eine andere Bestimmung.« Zudem habe sie dem Druck von außen nicht mehr entgegenstehen wollen, sagt sie, und auch nicht mehr entgegenstehen können. Sie beschloss zu verkaufen, beauftragte eine Maklerin und eine PR-Agentur. Das Modell, das sie mit ihren Beratern entwickelte, sieht vor, das Haus nur an Leute zu verkaufen, die außer einem Angebot auch ein genaues Konzept vorlegen, was sie mit dem Haus anfangen wollen. Sie spüre eine große Verantwortung, sagt Dandl, auch den Menschen von Marktl gegenüber. »Mir ist es wichtig, dass ich nach dem Verkauf ein gutes Gefühl habe.« Danach will sie wegziehen. Viele Menschen in Marktl glauben Claudia Dandl davon kein Wort. Weil sie im vergangenen Jahr, als sie sich von ihrem Lebensgefährten trennte, bereits das Haus verkaufen wollte. Für viele Bewohner spielt sich die Eigentümerin jetzt als Märtyrerin auf, die sich mit Hilfe ihrer Berater als Opfer eines Drucks inszeniert, den es gar nicht gibt – in Wahrheit wolle sie nur möglichst viel Geld herausschlagen und das Gefühl genießen, alle Trümpfe in der Hand zu haben. Pfarrer Kaiser sagt: »Dieses Haus zu besitzen bedeutet kein Opfer, das ist viel mehr wie ein Sechser im Lotto.« Die Gemeinde hat wegen der Lage des Hauses zwar ein Vorkaufsrecht, aber nicht das Geld, um einen hohen Preis zahlen zu können. Die Maklerin Claudia Dandls rechnet mit einem Millionenerlös. Die Marktler rechnen noch höher, manche sprechen von zehn Millionen Euro, und die Gerüchte hat nur befeuert, dass die PR-Agentur Claudia Dandls an die Presse schrieb: »Der Verkaufspreis sollte dem historischen und ideellen Wert des Hauses entsprechen.« Jetzt argwöhnen die Marktler das Schlimmste: »Wenn sie die Wahl hat zwischen einer Million und einem guten Gewissen oder drei Millionen ohne – dann nimmt sie die drei Millionen«, sagt einer: »Geld kennt keinen Bruder.« Claudia Dandl selbst nennt keine Zahlen. »Die Kraft, die mich das Haus gekostet hat, kann man sowieso nicht bezahlen. Ich tue aber nicht so, als ob der Preis uninteressant wäre. Ich gebe hier mein Heim auf und das möchte ich im Preis auch gewürdigt sehen.« Wenn man Josef Kaiser, Hubert Gschwendtner und Claudia Dandl nach dem einen Wunsch fragt, der sich in der Zukunft für sie erfüllen möge, dann antworten alle drei fast dasselbe: »Dass die Leute später sagen: Marktl hat es geschafft, das Beste aus der Papstwahl zu machen – in Frieden und Eintracht«, meint Bürgermeister Gschwendtner. Pfarrer Kaiser wünscht sich, dass er später erzählen kann: »Die Papstwahl war der Anfang einer guten Entwicklung für Marktl.« Wie beim Pfingstwunder in der Bibel solle das sein: Da kam auch ein Wunder, keiner der Jünger konnte es glauben, »dann kam der Neid, dann kam die Gier – und am Ende die Einigkeit«. »Mein großer Wunsch wäre, dass die Menschen in Marktl das Gefühl haben, es gibt ein Miteinander, ein friedliches Miteinander«, meint Claudia Dandl und fügt hinzu, das sei ein sehr utopischer Wunsch. »Da braucht es schon eine Fee.«