Im August 2004 lag Benjaman Kyle hinter einem Burger King im US-Bundesstaat Georgia, nackt, verprügelt und bewusstlos, von Ameisen zerbissen, von der Sonne verbrannt. Eine Putzfrau fand ihn und hielt ihn für einen Obdachlosen. Erst im Krankenhaus kam er wieder zu Bewusstsein, wusste aber weder, wie er hieß, noch wo er herkam. Die Ärzte stellten eine retrograde Amnesie fest. Neue Dinge kann er sich merken, von seiner Vergangenheit weiß er aber nichts mehr. Kyle war fortan ein Mann ohne Identität.
Für ihn begann eine elfjährige Suche nach sich selbst, die erst jetzt ein Ende fand. Niemand hatte ihn vermisst. Es waren nur Fetzen aus seinem früheren Leben, an die er sich erinnern konnte; sein Geburtsdatum zum Beispiel. Um Menschen zu finden, die ihm sagen konnten, wer er ist, ging er an die Öffentlichkeit. Er trat in Fernsehsendungen auf und gab Interviews, darunter ein langes im SZ-Magazin. Doch niemand meldete sich.
Ahnenforscher und Linguisten, Ärzte und Hypnotiseure, selbst Interpol und das FBI wurden eingeschaltet. Alles vergeblich. So führte Benjaman Kyle – den Namen gab er sich selbst – elf Jahre lang ein Leben im Schatten: Ohne Ausweis und Sozialversicherungsnummer konnte er keinen Job annehmen, nicht mal ein Konto eröffnen. »Manchmal waren die letzten Jahre einfach nur die Hölle«, sagt er heute.
Doch jetzt beendeten DNA-Forscher seine verzweifelte Suche. Die Genealogin CeCe Moore hilft normalerweise Adoptivkindern, ihre leiblichen Eltern zu finden. Sie und ihr Team konnten Kyles Herkunft klären, indem sie seine DNA-Probe mit zahlreichen Datenbanken abglichen; so lange, bis sie Vorfahren und Verwandten ausfindig gemacht hatten. »Die Leute haben sich den Arsch aufgerissen, um zu helfen«, sagt Kyle voller Dankbarkeit. »Ich weiß nicht, ob es einen Weg gibt, ihnen das jemals wieder zurückzugeben.«
Für Kyle ist die Ungewissheit vorbei, auch wenn seine Erinnerungen bisher nicht zurückgekommen sind. In einem emotionalen Fernsehinterview mit einem Lokalsender sprach Kyle über seine Gefühlswelt, die irgendwo zwischen erleichtert und verstört zu sein scheint. »Es gibt mir ein Zugehörigkeitsgefühl, ich habe endliche eine Geschichte. Ich bin nicht mehr der Fremde, der einfach aus dem Nichts kam.«
Wie es für ihn weitergeht, weiß er allerdings noch nicht. Auch nicht unter welchem Namen er zukünftig leben will. Um die Privatsphäre seiner Familie zu wahren, hält er seine wahre Indetität vorerst geheim. Noch hat er seine Verwandten nicht getroffen, bald will er aber nach Indiana fahren, wo sie wohnen. Am Telefon hat er schon mit seinem Bruder gesprochen und erfahren, dass er seine Heimat 1976 verlassen hat. Der Kontakt zur Familie brach ab, keiner hatte ihn mehr gesehen, alle dachten, er wäre tot. Eine schöne Kindheit sollen seine drei Brüder und er nicht gehabt haben. Kyle hofft, dass sich noch einiges bei seinem Besuch klären wird.
Für danach hat er schon einige Dinge vor. »Ich will planen können und auf meinen eigenen Füßen stehen.« Dazu gehören ein Konto und ein geregelter Job mit richtigem Gehalt. Später würde er gerne ein kleines Haus kaufen.
Foto: Raimund Koch