»Die Bayern sind die Spirituellsten unter den Deutschen«

Schon möglich, dass Horoskope Hokuspokus und Hellseher Halsabschneider sind. Trotzdem schauen Millionen von Menschen regelmäßig in die Sterne. Die Astro-Unternehmerin Manuela Schmidt verrät, wer und warum.

SZ-Magazin: Frau Schmidt, haben Sie heute schon Ihr Horoskop gelesen?
Manuela Schmidt: Nein. Auf Tageshoroskope gebe ich nicht viel. Sie sind für eine zu große Anzahl Menschen gemacht. Ich lasse mir Horoskope individuell erstellen, die auf einen größeren Zeitraum angelegt sind. Dass jeder Steinbock das gleiche Schicksal hat, das gibt es einfach nicht.

Warum erstellen Sie dann in Ihrem Unternehmen auch Tageshoroskope?
Die sind handwerklich schon gut gemacht, und die Menschen lieben sie. Aber jeder gute Astrologe wird Ihnen sagen, dass diese Tageshoroskope nicht bierernst zu nehmen sind. Vor wichtigen Ereignissen telefoniere ich lieber mit meiner Astrologin. Wenn etwa der Merkur rückläufig ist, würde ich keinen Vertrag unterschreiben.

Was passiert denn, wenn der Merkur rückläufig ist?
Ich bin keine Astrologin, ich kann Ihnen das nicht erklären. Aber meine Astrologin sagt, dass dann keine gute Zeit für Geschäfte ist. Und ich glaube an die Astrologie, seit ich denken kann.

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Für Ihr Astro-Unternehmen arbeiten etwa 200 Astrologen und Kartenleger, außerdem beliefern Sie Verlage mit Horoskopen. Ihr Hauptgeschäft aber ist ein Telefon-Service namens »Expert Call«. Wie funktioniert das?
Man kann sich über ein Callcenter mit Beratern verbinden lassen, die verschiedene Profile haben: klassische Astrologie, Kartenlegen, Pendeln, Engels- oder Jenseitskontakte.

Glauben Sie selbst an so was wie Pendeln und Jenseitskontakte?

Ich lasse mir die Karten legen und die Sterne deuten. Andere schwören auf Pendeln. Deswegen biete ich das an.

Man denkt, wer die Zukunft voraussagen kann, hat rote Haare und eine Katze auf der Schulter. Die Mitarbeiter auf Ihrer Homepage aber sehen eher durchschnittlich aus. 
Es wäre doch eigenartig, wenn dort jemand mit Katze auf der Schulter abgebildet wäre. Deswegen sind mir diese Astro-Sendungen im Fernsehen auch suspekt: Da sind oft seltsame Typen dabei.

Auf Ihrer Internet-Seite deuten auch keine Orakelzeichen oder Kristallkugeln auf Ihr Gewerbe hin. Warum?
Bei uns rufen viele Banker und Manager an. Einige Manager machen gar keine Vertragsabschlüsse mehr, ohne vorher unsere Astrologinnen zu befragen. Die würde so ein Hokuspokus abschrecken. Natürlich geht es den meisten Anrufern um die Liebe. Aber die Wirschafts- und Finanzberatung ist gerade in den letzten Jahren sehr wichtig geworden.

Manager und Banker? Gerade von denen werden doch rationale Entscheidungen erwartet. Von welchen Unternehmen sind die?
Das darf ich Ihnen nicht sagen, aber es sind große deutsche Unternehmen dabei.

Sie beschäftigen also keine Berater, die sieben Katzen haben und in Kristallkugeln starren.
Moment! Die tauchen mit diesen Attributen nicht auf den Fotos der Internet-Seite auf. Manche sind sehr irdisch. Andere aber entsprechen schon diesem Bild, ja. So gesehen ist es ganz gut, dass der Kunde und der Berater sich nur über das Telefon kennenlernen.

Sie selbst widersprechen diesem Klischeebild sehr.

Ich bin das ja auch nicht: Ich bin die Unternehmerin dazu.

Wie sind Sie dazu gekommen?
Ich bin immer schon zu Astrologen gegangen. 1989 war ich bei einer Indianerin in Essen, die mir voraussagte, dass ich einmal erfolgreich selbstständig arbeiten werde. Mein Mann sagte: »Machst du mal ne Boutique auf oder was?« Dann aber habe ich eine Astrologin kennengelernt, wollte mit ihr eine Firma gründen, lieh mir Geld, machte Werbung. Das ging vollkommen daneben. Wir trennten uns, aber ich wollte es allein noch mal versuchen. Und habe es geschafft.

Welche Ausbildung haben Ihre Mitarbeiter?
Es sind klassische Astrologen dabei, aber auch Menschen, die wir »hellsichtig« nennen. Wir glauben daran, dass sie andere Dinge fühlen und sehen als wir. Oft sind das Frauen, die einen Schicksalsschlag erlebt haben und deswegen feinfühliger geworden sind. Obwohl sich viele Berater bewerben, nehme ich nur wenige auf: von hundert etwa zwei. Und wir testen unsere Berater. Erst lassen wir unsere Call-Center-Mitarbeiter von ihnen beraten, dann rufen anonym Menschen, die ich kenne, bei ihnen an.

Wie erkennt man einen angeblich »Hellsichtigen«?
Er muss etwas über dein Leben sagen können, er muss wissen, ob du einen Mann hast, verheiratet bist, Kinder hast.

Gibt es in Ihrem Geschäft irgendwelche nachvollziehbaren Prüf- oder Qualitätsinstanzen?
Es gibt einen deutschen Astrologenverband, bei dem Astrologen Mitglied werden können. Sonst keine.

Aber dann könnten manche Ihrer Astrologen doch einfach schlaue Abzocker sein.
Betrüger haben nicht lange Bestand. Bei mir haben sie überhaupt keine Chance, aufgenommen zu werden. Wir kennen jeden Berater persönlich. Man merkt sofort, wenn jemand das Blaue vom Himmel erzählt.

Wie viele Männer rufen an, wie viele Frauen?
Etwa zehn Prozent Männer, neunzig Prozent Frauen. Wobei die Männer treuer sind. Sie bleiben bei ihren Beratern, während Frauen gern wechseln.

Aus welchen Bundesländern rufen die meisten an?
Hamburger oder Flensburger rufen fast gar nicht an. Die glauben nicht an die Sterne. Die Bayern sind die Spirituellsten. Das passt ja auch zur bayerischen Kultur, zum Katholizismus, zu den Riten. Viele meiner Berater kommen auch aus Bayern.

Ihr Unternehmen ist so was wie das Orakel von Deutschland und gilt als eines der größten im Astro-Markt. Wer ist Ihre Konkurrenz?
Der größte Mitbewerber ist Questico, ein Megakonzern, mit 2500 Beratern, Astro- Magazinen, eigenem TV-Sender. Wir wollen lieber die Premium-Linie sein.

»Krake Paul war einfach gut«

Was kostet eine Beratung bei Ihnen?
Unterschiedlich. Zwischen einem und 2,59 Euro die Minute. Das legen die Berater selbst fest. Die Kunden probieren natürlich schneller jemanden aus, der günstiger ist. Man muss gut sein, um höhere Preise zu verlangen.

Und was bekommt Ihr Unternehmen davon?

Zwischen dreißig und vierzig Prozent. Dafür bezahlen wir Buchhaltung, Technik, Fernseh- und Magazinwerbung.

Man denkt ja, dass man mit einem Unternehmen wie Ihrem sehr reich werden kann. Stimmt das?
Man hat aber auch sehr große Kosten. Gerade die Werbung ist nicht zu unterschätzen.

Wie viele Kunden rufen am Tag an? Hundert?
Eher tausend. Die meisten telefonieren zwischen zehn und zwanzig Minuten, hauptsächlich zwischen 17 und 22 Uhr und das vor allem zwischen 25. Dezember und Februar. An Heilig Abend rufen ganz Einsame an. Am ersten Weihnachtsfeiertag dann alle.

Aus welchen sozialen Schichten stammen die Anrufer?
Aus allen. Aber wir können nicht jedem Anrufer Gespräche vermitteln, wir prüfen vorher die Kreditwürdigkeit jedes Kunden. Ist ja sinnlos, wenn jemand noch mehr Schulden macht, als er schon hat. Und es gibt ja auch Süchtige, die ihre Telefoniererei nicht im Griff haben.

Wie merken Sie, ob ein Astro-Süchtiger am Telefon ist?
Wenn jemand viermal am Tag anruft, sprechen wir mit dem Kunden. Wir können auch Kunden sperren, bei denen wir ein Suchtverhalten vermuten.

Viele Menschen wollen wohl auch nur ein bisschen reden?
Selbstverständlich. Viele unserer Mitarbeiter bieten in ihrem Profil auch »Lebensberatung« an, weil sie gute Gespächspartner sind. Sie sind natürlich keine Psychologen. Aber viele Anrufer wollen einfach mit jemandem über ein Problem reden.

Welchen Gestaltungsspielraum für sein Leben hat denn jemand noch, der an Astrologie glaubt und überzeugt ist, dass Karten oder Sterne ohnehin alles vorbestimmen?
Die Berater geben nur Hilfestellung. Die Entscheidungen muss jeder Mensch selbst treffen.

Worüber dürfen Ihre Mitarbeiter mit den Anrufern nicht sprechen?
Über den Tod. Und bei mir sind per Vertrag auch unlautere Angebote verboten, etwa Inserate wie »Ich mache, dass dein Mann zurückkommt«. Die Astro-Zeitungen sind voll damit! Ein Humbug ist das!

Ist für Frauen die Astro-Hotline das, was für Männer die Sex-Hotline ist?
Das kann man so nicht sagen. Auf den Sex-Hotlines werden Illusionen verkauft: Da ist eine »Madeleine«, die natürlich gar nicht Madeleine heißt. Bei uns sprechen Sie genau mit dem Menschen, der sich auf der Online-Seite vorstellt. Der Erotikbereich ist ein ganz anderes Geschäft.

Aber im Fernsehen sieht man häufig erst Werbung für eine Sex-Hotline, dann für eine Astro-Hotline.

Das ist furchtbar. Ich würde nie die Werbeplätze nachts buchen, weil eine andere Klientel zusieht. Ich schalte Werbungen nur vor- und nachmittags.

Wächst der Astro-Markt derzeit noch?
Er ist den letzten Jahren gewachsen, aber durch die große Anzahl von Anbietern ist er nun wohl gesättigt.

Internet und Telefonie haben die Astro-Welt stark verändert, richtig?
Ja, die Leute stehen dem offener gegenüber. Wenn ich früher in meinem Freundeskreis gesagt habe, was ich mache, dann haben die mich gefragt: »Machst du etwa den Schrott, den man immer im Fernsehen sieht?« So eine 0900-Nummer stand ja immer für etwas Unseriöses. Heute ist das anders.

Warum?
Weil viele Leute so etwas schon mal ausprobiert haben. Und weil viele Prominente hinter der Astrologie stehen, Gunter Sachs, Uwe Ochsenknecht. Das Ganze ist aus der Jahrmarktecke raus.

Die Astrologie war einmal eine anerkannte akademische Wissenschaft, zu Luthers Zeiten etwa. Astrologische Vorlesungen gingen in Standardwerke wie Einführung in die Physik von 1549 ein. Irgendwann hat sie dann aber ein Schmuddelimage bekommen. Warum?

Weil viele unseriöse Leute auf dem Markt sind und waren.

Wie erkennt man ein seriöses Unternehmen?

Das erste Gespräch sollte kostenlos sein. Sonst wie bei jedem anderen Unternehmen auch: Wie sieht die Homepage aus, die Rechtschreibung, die Abrechnungen?

In der Psychologie hat man untersucht, dass Horoskope und Weissagungen durch den »Barnum-Effekt« funktionieren. Barnum war ein Zirkusdirektor, der so viele Kuriositäten zur Schau stellte, dass für jeden Zirkusbesucher etwas dabei war. Auch in Horoskopen werden viele Sowohl-als-auch-Aussagen, so viele Möglichkeiten geboten, dass jeder etwas davon für sich gebrauchen kann.
So ist das bestimmt bei allgemeinen Horoskopen. Die hat man aber auch gleich wieder vergessen. Die Horoskope, die auf einen Menschen zugeschnitten sind, funktionieren anders. Mithilfe der Astrologie kann man gute und schlechte Zeitspannen feststellen.

Was können Astrologen, was beispielsweise die Krake Paul nicht kann?
Sterne kann man berechnen, die Krake Paul war einfach nur gut. Für mich war Paul nicht zu erklären. Eine Astrologin aber kann die Sterne erklären.

Aber beim Kartenlegen gibt es keine physikalischen Gesetzmäßigkeiten. Wie kann man denn ernsthaft an Karten glauben?
Die Menschen glauben auch an Gott oder an Engel, ohne Beweise zu haben. Ich glaube an hellsichtige Menschen. Mein Mann nicht, er belächelt das. Und fragt mich trotzdem bei Geschäftsabschlüssen: »Kannst du mal nachfragen?« Er ist sich eben auch nicht sicher, ob sie vielleicht doch recht haben.

Foto: Frank Schemann