Auf dem Campingplatz wird Bier gefrühstückt, die Mittagssonne brennt auf rote Köpfe und blaue Dixi-Klokabinen, sieben Stunden sind seit der letzten Reinigung vergangen und auch die Festivalbesucher wirken schon wieder ziemlich voll.
Markus klettert aus seinem Tanklaster und zieht sich rote Gummihandschuhe an. Er ist hier, um die Dixi-Klos sauber zu machen. Mit einem schweren schwarz-gelben Schlauch geht er in Richtung der zwölf Plastikkabinen – ein Slalomlauf zwischen den Betrunkenen. Ein Junge mit Wollmütze, Sonnenbrille und nacktem Oberkörper springt ihm fast auf die Füße. Die Brustwarzen hat sich der Junge mit schwarzem Gaffa-Tape abgeklebt und die Nippel dann sternförmig freigeschnitten. In der Hand hält er eine Blumenspritze, mit der er Markus, der drei Köpfe größer ist, vor der Brust rumwedelt. »Da ist Gin und Radler drin«, erklärt er. Markus guckt regungslos über ihn hinweg, als wären dieser Ort und sein Job das normalste der Welt.
Es ist Samstag, der zweite Tag bei »Rock im Park«, einem der größten deutschen Musikfestivals bei Nürnberg: 72 000 Besucher, 622 Dixi-Klos, die Markus mit 23 Kollegen sauber halten muss. Etwa 300 000 Liter Fäkalien werden sie in den drei Tagen, die das Festival dauert, abtransportieren.
Markus schiebt sich an dem Jungen vorbei und reißt mit linken Hand die erste Kabinentür auf, in der rechten Hand hält er eine Art überdimensionierte Staubsaugerdüse, die mit dem schwarz-gelben Schlauch verbunden ist. Der Schweiß fließt ihm in die Augen, Markus wischt sich mit dem Unterarm übers Gesicht.
Durch die Klobrille taucht er die Düse in den vollen Toilettentank und rührt darin wie in einer Suppe. »Damit die Scheiße flüssig wird«, sagt er. Dann legt er einen Kippschalter an der Düse um und saugt die Fäkalien ab. Der Schlauch, der zum Tanklaster führt, zuckt auf dem Campingplatzboden, als wäre er lebendig. Die Freunde des Brustwarzenmanns beobachten das Spektakel. Sie haben ihre Zelte zwei Meter neben den Dixi-Klos aufgebaut, sitzen auf dem Rasen und rauchen Shisha. An einem ihrer Zelte hängt ein Schild: »Nicht füttern, nur Bier.« Ihre Nachbarn grillen die ersten Frühstücksbratwürste. Der Fleischgeruch vermischt sich mit dem Fäkaliengestank und dem Fruchttabakdampf.
Die nächste Kabine, die Markus leer saugen will, ist noch besetzt von einem Typen im Spiderman-Kostüm. In der Warteschlange hinter ihm steht ein Junge mit Dreadlocks, der sich ein Bierfass um den Oberschenkel gebunden hat und planlos darauf herumtrommelt. Doch Markus sagt, es sei ihm egal, ob er nun auf einer Baustelle die Toiletten sauber macht oder zwischen diesen 72 000 Menschen, denen auch alles ziemlich egal zu sein scheint. »Ist ein und derselbe Job«, meint Markus, der kein Freund vieler Worte ist.
Er hat Maurer gelernt und war dann Zeitsoldat bei der Bundeswehr, beim Luftwaffenausbildungsregiment in Roth, südlich von Nürnberg. Den ernsten Soldatenblick hat er noch immer drauf. Als er vor fünf Jahren neue Arbeit gesucht hat, sei ihm ein Tanklaster von Dixi über den Weg gefahren. »Da habe ich gedacht: warum nicht?«, sagt er. Markus ist jetzt 35 und die rechte Hand des Chefs.
Sein Kollege Werner, 54, ist ein wenig gesprächiger. Das Reinigen ist Teamarbeit: Markus saugt die Fäkalien ab, Helmut spritzt die Klos anschließend mit einem Hochdruckreiniger aus. Früher war er Totengräber, doch sein neuer Job gefällt ihm besser, weil er mehr verdient. Die Arbeit, erklärt er, sei nicht das Problem, nur manche Menschen, die die Toiletten benutzen. »Beim Absaugen kann es passieren, dass dir die Scheiße ins Gesicht spritzt, weil die Leute ihre Hose ins Klo werfen, und die sich an der Düse dann verheddert.«
Warum werfen denn Leute ihre Hose ins Klo?
»Weil sie sich reingeschissen haben«, sagt Werner und zeigt wie zum Beweis auf eine Unterhose, die im Matsch vor der Toilette liegt, die Markus gerade leer saugt. Nach 30 Sekunden ist er fertig. Jede seiner Bewegungen wirkt präzise und kraftvoll. Ein Profi auf einem Schlachtfeld voller Amateure. Es ist ein überraschender Anblick: Die einzigen beiden Personen, die an diesem heißen Samstagmittag Würde ausstrahlen, sind die beiden Männer, die die Fäkalien beseitigen.
Im Backstage-Bereich des Festivals, zwischen den geparkten Dixi-Tanklastern und dem Sanitätszelt des Roten Kreuzes, sitzt wenig später ihr Chef Manfred Stengel auf einer Bierbank in der Sonne und erklärt sein Geschäft: Seiner Firma gehören etwa 14 000 mobile Toiletten, die seine Mitarbeiter zu Baustellen, Spargelfeldern, Musikfestivals oder wie zuletzt in Hochwassergebiete transportieren. Wie viel eine Toilette pro Tag kostet, will er nicht sagen, im Internet findet man jedoch Angebote von anderen Anbietern zwischen 20 und 30 Euro, wobei der Tagespreis natürlich nach unten geht, je länger man sie ausleiht und je mehr Toiletten man anmietet. Stengel sagt nur, dass er schon vor 30 Jahren, als er in die Branche eingestiegen ist, gewusst hat, dass er damit viel Geld verdienen kann – und noch nie waren die Zeiten so gut wie jetzt.
Toiletten reinigen zwischen 40 000 Menschen.
Musikfestivals boomen in Deutschland, jeden Sommer gibt es Hunderte. Seit der WM 2006 ist auch das Public Viewing populär. Deutschland ist ein Event-Land geworden. Und immer da, wo viele Menschen unter freiem Himmel zusammenkommen, bedeutet das für Manfred Stengel ein Geschäft.
Die Firma, die er leitet, sitzt in Emmering bei München. Sie gehört zur Adco- Unternehmensgruppe, die so etwas wie der FC Bayern der Mobile-Toiletten-Branche ist. Das Unternehmen ist mit Abstand das größte und umsatzstärkste am Markt, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Es beschäftigt 2300 Mitarbeiter und produziert die beiden bekanntesten Toilettenmarken: Dixi und Toi Toi. Der Name Dixi ist so geläufig, dass er als Synonym für mobile Toiletten verwendet wird, wie Tempo für das Papiertaschentuch. Spricht man mit der Konkurrenz über den Marktführer, hört man Anerkennung, manche sind aber auch genervt vom arroganten Auftreten einiger Adco-Leute. Das Unternehmen hat über die Jahre immer wieder kleinere Mitbewerber geschluckt. Es ist das Einzige, das die mobilen Toiletten sowohl herstellt als auch vermietet. Etwa 180 000 sind zurzeit im Bestand.
Es ist Abend geworden, Manfred Stengels Frau hat für die Mitarbeiter Wurstsalat gemacht und die Stimmung auf dem Musikfestival zieht langsam an. Die Dixi-Leute stehen neben ihren geparkten Tanklastern und rauchen Zigaretten. Ein betrunkener Junge stolpert an ihnen vorbei. Er will zu den Sportfreunden Stiller, sagt er. Er hat sich wohl verirrt. In der Hand hält er einen Zettel, den er auf den Boden wirft, dann verschwindet er Richtung Hauptbühne. Der Zettel ist ein Notarzteinsatzprotokoll. Moritz, so heißt er, war gerade wegen einer »Alkoholintoxikation« im Sanitätszelt. Stengels Mitarbeiter drücken ihre Zigaretten aus und fahren ihm hinterher.
Auch sie müssen zur Hauptbühne. Es ist ihr schwierigster Einsatz: Toiletten reinigen zwischen 40 000 Menschen. Deshalb haben sie Wolfi dabei.
Wolfi, der eigentlich Wolfgang Port heißt, ist selbstständiger Entsorger, wie er sagt. Vor zehn Jahren hat er sich einen roten Tanklaster gekauft, zehn Meter lang, 16 Tonnen schwer, ein bulliges Ungetüm, mit dem er in Großküchen Fettabfälle absaugt oder eben auf Musikfestivals Fäkalien. Die Dixi-Leute brauchen ihn, weil sie mit ihren Autos nicht direkt vor die Toiletten an der Hauptbühne fahren dürfen, wegen der Festivalbesucher, die dort rumlaufen. Sie müssen etwa 100 Meter entfernt parken – und nur Wolfis Schlauch ist so lang, weil sein LKW deutlich mehr Saugkraft entwickeln kann als die kleineren Dixi-Tanklaster.
Wolfi hält den Schlauch lässig in der Hand, als trage er eine Plastiktüte durch die Gegend. Dann steckt er ihn in eins der Klos, zieht ihn raus, prüft mit der Handfläche, ob genügend Saugkraft da ist. Zwei Jungs in karierten Bermudashorts schauen ihn fassungslos an. Der eine hat einen Strohhut auf dem Kopf, das typische »Rock im Park«-Outfit. Wolfi, der 52 Jahre alt ist und eine wilde, schwarzgraue Vokuhilafrisur trägt, wirkt neben den beiden wie ein Rocker.
Während er die Toiletten leer saugt, passen zwei Dixi-Leute auf, dass die Festivalbesucher ihm nicht in die Quere kommen. Wie Türsteher bewachen sie die Toilettenreihe, vor der nun bestimmt 300 Menschen Schlange stehen, dreißig Mal mehr als vor der Bierbude nebenan. Ein Mädchen wird ungeduldig. »Scheiß Dixis!«, schreit sie.
»Wenn du die Scheiße findest, dann geh woanders hin!«, schreit Wolfi zurück. Das Mädchen guckt erschrocken und ist still.
Mobile Toiletten wären zumindest eine Übergangslösung für Slums und Dörfer, in denen es keine Kanalisation gibt.
Auf Musikfestivals gibt es keinen Ort, der so verabscheut und gleichzeitig so gebraucht wird wie die mobile Toilette. Jeder Besuch ist ein schlechtes Erlebnis, und trotzdem stellen sich die Leute an.
Statt offensichtlichem Komfort bieten die Plumpsklos einen Luxus, der inmitten von 72 000 Menschen vielleicht am schwierigsten zu bekommen ist: Privatsphäre.
Besonders deutlich wird das, als einer der Dixi-Leute einen jungen Mann entdeckt, der auf einem der Klos eingeschlafen ist. Er hatte sich eingeschlossen. Ein Freund, der vor dem Klo gewartet hat, stützt ihn und nimmt ihn mit. Die Sportfreunde Stiller singen: »In all den wunderbaren Jahren.« Wolfi sagt: »Die Musik ist dieses Jahr nicht so meins, aber irgendwann gewöhnst du dich dran wie an die Kacke.«
Gewöhnt hat er sich auch daran, als »Scheißefahrer« belächelt zu werden. Aber Leute, die das tun, sollten sich mal mit Georges Köller unterhalten.
Köller ist Europachef von Satellite Industries, einem der größten Konkurrenten von Marktführer Adco. Er sagt: »Unsere Branche rettet Leben.« Seine Rechnung ist ganz einfach: Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation leben etwa 1,1 Milliarden Menschen ohne Sanitäranlagen, das sind 15 Prozent der Weltbevölkerung. Ihre Fäkalien landen auf der Straße oder hinter dem Haus. Es sind Infektionsherde, die vor allem zu Durchfallerkrankungen führen. Und daran sterben jedes Jahr allein 760 000 Kinder. Mobile Toiletten wären zumindest eine Übergangslösung für Slums und Dörfer, in denen es keine Kanalisation gibt.
Satellite Industries verkauft seine Kabinen bisher in 125 Länder. Das hört sich nach viel an, die meisten der 40 000 Toiletten jährlich bleiben aber in Europa und den USA. Potenzial sieht Köller in Indien, China und vor allem Brasilien, weil dort zur Fußball-WM Millionen Touristen ins Land strömen werden, die an gewisse Sanitärstandards gewöhnt sind. Das wirke wie ein Katalysator, sagt er.
Den kulturellen Unterschieden versuchen die Toilettenhersteller dabei gerecht zu werden. So haben Satellite Industries ebenso wie Adco eine Hocktoilette im Programm, wie sie in der arabischen Welt, aber auch in China benutzt wird. Es gibt Luxusmodelle mit Waschbecken und Spülung, bei denen Frischwasser in die hohle Toilettenwand gefüllt wird. Für Massenveranstaltungen ist so ein Modell aber nicht praktikabel. Adco haben sich für ihre einfachen Dixi- und Toi-Toi-Kabinen deshalb etwas anderes ausgedacht: Auf der Unterseite des Klodeckels ist ein Smiley ins Plastik eingelassen – damit man nicht gleich in den Tank guckt, wenn man die Kabine betritt, wie der Geschäftsführer der Dixi und Toi-Toi-Produktion Stephan Diwisch sagt. Der Smiley war seine Idee.
Diwisch kann einem erklären, warum die mobilen Toiletten meistens blau sind (sieht hygienischer aus), wie lange sie halten (im Durchschnitt zehn Jahre) und was für ein Fassungsvermögen der Tank hat (220 Liter). Er glaubt, dass der Trend in Deutschland immer mehr zu Toilettencontainern geht, die an die Kanalisation angeschlossen sind und eine Spülung haben. Auch bei »Rock im Park« gibt es neben den 622 Dixi-Klos 400 dieser Luxustoiletten, die allerdings 50 Cent Eintritt kosten. Auch auf Autobahnraststätten und in Bahnhöfen muss man seit einigen Jahren für die Sanitäranlagen bezahlen.
Es hat sich etwas verschoben in Deutschland: Toiletten gehören nicht mehr zur Grundversorgung, sie sind ein Geschäftsmodell geworden. Und die Menschen haben sich anscheinend daran gewöhnt: Bei »Rock im Park« sind die Schlangen vor den kostenpflichtigen Luxustoiletten oft länger als die vor den Dixi-Klos.
Fragt man Stephan Diwisch, von welcher mobilen Toilette er für die Zukunft träumt, sagt er: von einer mit WLAN. Und das kann man sich dann nicht mehr so leicht vorstellen, zumindest nicht bei »Rock im Park«.
Es ist Sonntagmittag, der letzte Tag des Festivals, auf dem Campingplatzboden kleben Nudelsuppe und Erbrochenes. Eine Gruppe 20-Jähriger sitzt um einen Haufen Müll wie um ein Lagerfeuer. Ein paar Meter weiter hocken zwei Mädchen auf Klappstühlen und starren ein verkohltes Kotelett an, das jemand an einem Faden an einen Baum gehängt hat. Neben ihnen steht ein Junge mit nacktem Oberkörper, der sich aus Bierdosen und Klebeband ein Kreuz gebastelt hat. Sobald eine rothaarige Frau an ihm vorbeikommt, schreit er: »Hexe!«
Der Sonntag sei berühmt dafür, dass die Leute richtig durchdrehen, sagt Mehmet, der für eine Security-Firma hier als Wachmann arbeitet. Er trägt eine neongelbe Weste, die anscheinend Betrunkene anlockt. Dauernd will jemand mit ihm abklatschen. Mehmet hält immer nur seine Faust hin. »Ich geb denen nicht die Hand, die kommen doch alle gerade vom Klo«, sagt er. Es ist Mehmets drittes Jahr bei »Rock im Park«, er weiß, wie es läuft. Heute Abend, sagt er, würden viele ihre Zelte anzünden und manchmal auch eine Toilette. Das sei Tradition.
Auf Youtube kann man sich so ein brennendes Klo anschauen, wenn man nach »Dixi« und »Rock im Park« sucht. Musikfestivals sind ohnehin ein Härtetest: Es gibt Videos von Toiletten, die umgeworfen werden, während jemand draufsitzt. In einem anderen quetschen sich 19 Leute in eine Kabine. Es ist ein Wettbewerb. Ein Witz. Der Reiz liegt gerade darin, dass es eklig ist.
Was lernt man über die Menschen, wenn man hier die Toiletten sauber macht?
»Dass einige vom Alkohol lustig werden und andere Dreckschweine«, sagt Steven, der den Schlauch schon mit der gleichen Zielstrebigkeit und Würde wie sein Kollege Markus, der Vorarbeiter, trägt. Steven ist 27 und einer der jüngsten aus dem Dixi-Team. Er hat durchtrainierte Oberarme und einen Vollbart. Er könnte in einem Gladiatorenfilm mitspielen. Zwei Mädchen in Hotpants und Bikinioberteil beobachten ihn, während er eine Toilette leer saugt. Sie schauen nicht angeekelt, sondern eher verliebt.
Steven hat früher auf dem Bau gearbeitet und musste viel reisen. Darauf hatte er keine Lust mehr. Zufällig hat er dann eine Stellenanzeige von Dixi gelesen. »Natürlich waren die ersten Tage ein bisschen komisch, aber ich habe eine kleine Tochter, die musste ich auch wickeln«, sagt er und geht dann zurück zum Tanklaster, wo es immer besonders stark nach Fäkalien riecht. Die beiden Mädchen kommen ihm hinterher. Die eine will ein Foto mit ihm machen. Steven zieht seine Handschuhe aus und stellt sich neben sie. Es ist ein schönes Bild: Steven sieht aus, als wäre er berühmt.
Fotos: Philipp Spalek