Zählte ich die Stunden zusammen, die ich auf Toiletten verbracht habe, um mir mit Papierhandtüchern aus dem Spender den Kaffee-, Orangensaft-, Saucenfleck aus meiner Bluse zu reiben, ich müsste weinen. So viel Lebenszeit vertan, alles schlimmer gemacht, Fleck noch drin. Und drum herum Papierflusen.
Ich kleckere. Ich kann nichts dagegen tun. Morgens tropft mir Tee auf den Pullover, ich nehme einen anderen aus dem Schrank. Da sagt mein Mann: »Der hat einen Fleck, der ist bei der Wäsche nicht rausgegangen.«
Kürzlich trug ich auf einem Fest meine neue weiße Bluse; in Minute drei war ein gelber Fleck am linken Ärmel, ich hatte die Currysauce gestreift. Wieder Klo, wieder rubbeln, wieder Flusen. Den Satz »Du hast da einen Fleck am Ärmel« habe ich in der nächsten Stunde bestimmt fünf Mal gehört. Ich bin sicher, weitere zwanzig Leute dachten das Gleiche, sagten aber nichts. Was besser ist? Ich weiß es nicht. Ich habe dann die Ärmel hochgekrempelt. Zehn Minuten später landete ein grüner Tropfen zwischen zwei Knöpfen am Bauch. Guacamole. Vielleicht lag es am Alkohol, vielleicht an meiner Verzweiflung – jedenfalls beschloss ich, meinen sinnlosen Kampf gegen das Kleckern zu beenden und es zu akzeptieren.
Er scheint mir unter all meinen Fehlern der lässlichste zu sein. Einfacher zu akzeptieren als meine schlechte Laune, mit der ich meine Familie nerve, wenn ich unausgeschlafen bin, bedeutend leichter als meine Schlamperei, die ich täglich zu vertuschen suche (jetzt ist aber auch genug).
Da bin ich schnell beim großen Ganzen: dem Verzeihen. Meterlange wissenschaftliche Abhandlungen gibt es dazu, im Kern lautet die These immer: Anderen zu verzeihen ist schwierig, sich selbst zu verzeihen viel schwieriger. Dass niemand perfekt ist, haben sich Firmen, die sich für fortschrittlich halten, schon in die Agenda geschrieben: Nur aus Fehlern lernt man. Nur, wie soll ich mir selbst verzeihen, wenn andere es nicht tun? Zeigt ein Fleck doch: Ich habe einen für alle sichtbaren Fehler gemacht. Das hebt jeden, der ein sauberes Hemd trägt, über mich. Man hat ja zu funktionieren, immer. Kleine Schwächen, die einen menschlich erscheinen lassen, müde Witze zum Beispiel, sind in Ordnung. Fleck auf der Bluse – nicht in Ordnung. Der Makel ist zu offensichtlich.
Wenn es stimmt, was der Wissenschaft eine Tatsache scheint, muss ich den ersten Schritt machen: Anderen vergeben, wenn sie Fehler machen; dann erst kann ich mir vergeben. Hossa, ist das schwer. Sich nicht mehr aufregen, wenn einer alles vergisst, was ich ihm mehrfach gesagt zu haben glaube, lächeln, wenn einer statt um zehn erst um zwölf kommt. Kann ja sein, dass der, der so viel zu spät kommt, gelernt hat zu akzeptieren, dass er ist, wie er ist. Und in Kauf nimmt, dass alles ohne ihn stattfindet. Ich beneide jeden, der das kann, heimlich.
Sollte ich es eines Tages geschafft haben, einen Saucenfleck auf meiner Bluse hinzunehmen als das, was er ist: nichts Schlimmes – dann kann ich vielleicht sagen: Danke, dass du mich darauf aufmerksam machst, ich habe ihn gesehen, er ist mir egal.
Ich mache nun in diesem Satz einen Feler. Mal sehen, wer ihn ertragen kann. Ich nur schwer. Aber ich übe.
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