»Ich kann mir das gerade nicht leisten«

So bedrohlich die Inflation und Energiekrise sind – sie könnten auch dafür sorgen, dass wir offener über Geldsorgen oder die eigenen Privilegien sprechen: Es würde die Gesellschaft gerechter machen.

Wohlstand zeigen Menschen gern. Aber wie offen trägt man Wohlstands­verlust zur Schau?

Foto: Thomas Rousset

Wer eine große Altbauwohnung besitzt, hat nicht oft die gleichen Sorgen wie jemand, der eine kleine Sozialwohnung mietet, aber in diesem Winter ist es mal so weit: Alle bangen, wie hoch die Kosten für Strom und Gas am Ende sein werden. »Womit heizt ihr?« ist das neue »Welche Impfung hattest du?«. Die Corona-Pandemie traf manche Branchen brutal, verschonte aber andere. Und die absurd gestiegenen Immobilienpreise machten Reiche noch reicher. Doch die Inflation spürt jede und jeder, vervielfachte Energiepreise auch. Und so hört man selbst in der gut verdienenden Mittelschicht in Schwabing oder am Prenzlauer Berg in diesem Herbst gelegentlich ungewohnte ­Sätze: »Da müssen wir erst sparen.« Oder: »Das ist dieses Jahr wohl nicht drin.«

Es hat eines Angriffskrieges, der Drohung mit Atomwaffen und gesprengter Gasröhren am Grund der Ostsee bedurft, damit die Deutschen endlich über Geld und vor allem Geldsorgen sprechen. »60 Jahre lang ging es nur bergauf bei uns, und jetzt stehen wir vor diesem Desaster, dessen ganzes Ausmaß wir ja gar nicht überblicken können«, sagt die Philosophin und Betriebswirtin Gisela Kaiser. »Die Unsicherheit und die Angst können dazu führen, dass man sich öffnet.« Kaiser hat ein Buch darüber geschrieben, wie Geld die Gefühle und Beziehungen beeinflusst. »Wenn ich jemandem sage, ich verzichte auf den Skiurlaub, ich habe die Pläne für das neue Auto erst mal verworfen oder ich gehe nur noch einmal im Monat auswärts essen, dann hoffe ich, dass ich auf Verständnis stoße. Ich wünsche mir, dass die andere Person sagt: ­Genauso mache ich es auch, mir geht es wie dir. Das tut gut, um sich selbst in dieser neuen, unsicheren Lage zu positionieren«, sagt Kaiser. Da ist die Krise dann wirklich mal eine Chance, nämlich die, über Geld nicht nur zu reden, wenn man es besitzt und für etwas Schönes ausgegeben hat, etwa für Urlaube oder ein neues Fahrrad.

In Umfragen der vergangenen zehn Jahre gaben je nach Studie 50 bis 70 Prozent der Befragten an, gar nicht mit Freunden über ihre Finanzen zu reden, mehr als ein Drittel nicht mal mit dem Partner oder der Partnerin. Und bei sich selbst nachgefragt: Weiß die beste Freundin denn, wie viel Geld man genau verdient? Kennt der engste Freund den ungefähren Kontostand oder die Höhe der Hypothek samt Restlaufzeit? Wenn nein: Warum eigentlich nicht? Während man in Skan­dinavien die Steuererklärung der Nachbarn online ein­sehen kann und die Frage nach der Höhe des Gehalts auf anderen Kontinenten so harmlos ist wie ein Gespräch übers Wetter, gilt das Thema in Deutschland als Tabu.

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»Jetzt, wo alle gefordert sind, mit Geld bedachter umzugehen, ist es umso wichti­ger, dass wir mal verstehen, welche Macht Geld über uns hat«, sagt Monika Müller, Leiterin einer Arbeitsgruppe für Finanzpsychologie. Müller spricht wie eine gute Geschichtenerzählerin, mit langen Pausen und sehr bedachter Betonung. So nimmt sie einen mit zurück in die Kindheit, in der wir alle lernen, dass Geld nicht einfach nur bunt bedruckte Scheine sind. Geld, sagt Müller, ist etwas Mächtiges, das uns die Eltern nehmen kann, weil sie arbeiten gehen müssen, statt Zeit zum Spielen zu haben. Und wir lernen mit den Jahren auch, positive (oder vermeintlich positive) Gefühle an Geld zu knüpfen: Freiheit, Sicherheit, Autorität. Denn selbst die soziale Marktwirtschaft lehre, »dass die Menschen mehr wert sind, die mehr Geld haben«, sagt Müller.

Geld ist für Freundschaften ein heikles Feld, weil mehr davon zu haben einerseits oft Zufall ist – Erbschaften, wohl­habende Eltern, ungleich bezahlte Arbeit –, Geld andererseits aber als Ausweis dafür verstanden wird, wie erfolgreich man im Leben ist. Wer schon mal arbeitslos wurde, hat womöglich gespürt, wie stark das Selbstwertgefühl von Job und Gehalt abhängen kann. Darum kommt weniger zu verdienen oder sich Dinge nicht leisten zu können für viele einer persönlichen Niederlage gleich.

»Wenn ich mir nicht bewusst mache, wie emotional aufgeladen Geld in unserer Gesellschaft ist, kann ein inflationsbedingt schrumpfendes Einkommen in mir auslösen, dass ich mich weniger frei, weniger sicher und weniger wertvoll fühle«, sagt Monika Müller. Der bevorstehende Winter könnte dazu führen, dass viele Menschen ihre finanziellen Sorgen noch mehr verstecken wollen, sich noch schlechter fühlen. »Ich glaube nicht, dass wir jetzt automatisch ein fröhliches und ehrliches Miteinander bekommen, nur weil wirklich alle grad aufs Geld schauen«, sagt sie.

Dabei wäre jetzt der beste Moment, sein Selbstbild vom Einkommen zu entkoppeln und Beziehungen nicht mehr davon belasten zu lassen. Leicht ist das nicht. Die Scham, sich etwas nicht mehr leisten zu können, sitzt tief. Gerade bei Familien. »Man könnte im Freundeskreis ja mal fragen: ›Wie siehst du mich, wenn ich mir den gemeinsamen Skiurlaub diesen Winter nicht mehr leisten kann? Oder mein Kind ein billiges Handy hat? Verurteilst du mich dann, wie ich es befürchte?‹ Es wäre so wertvoll, in Freundschaften über solche Ängste reden zu können – das würde uns viel reicher machen als jeder teure Skiurlaub«, sagt Monika Müller. Und vielleicht spräche man künftig beim Abendessen im Freundeskreis über ganz neue Themen: die verschiede­nen Strategien zur Altersvorsorge, drohende Altersarmut. Oder über die Fragen, wie man als Paar mit Geld umgeht und wie man Kindern beibringt, dass sie sich nie über Geld definieren.

Wenn wir einander ohne Versteckspiele erzählen könnten, wie es uns finanziell geht, würde das auch viel deutlicher zeigen, wie un­gerecht Deutschland ist. Wie sich viele Menschen immer weniger erlauben können, während wenige Menschen immer reicher geworden sind. Wie unfair die Bezahlung ist zwischen Vorstandsvorsitz und Pflegekraft, die beide 60-Stunden-Wochen haben, wie anders zwischen Kollegin und Kollege. Wie ungleich Bildungschancen für Kinder sind, die in die Oberschicht geboren werden oder ins Prekariat. Wie manche ein finanziell sorgloses Leben vererbt bekommen. Darüber zu reden hilft beiden Seiten, kann Neid und Schuldgefühle abbauen. Bewusstsein schaffen.

Über Geld zu sprechen kann auch heißen, über die eigenen Privilegien zu sprechen. Sich gerade jetzt mal klarzumachen, wie gut es einem vielleicht trotz stark gestiegener Verbraucherpreise noch geht. Zu erkennen, wie viel Glück man finanziell hat, kann befreiend wirken und die Augen für die Schwierigkeiten anderer öffnen. Und wenn man schon mal optimistisch sein möchte: Vielleicht nutzt man die Zeit noch dazu, sich zu fragen, was einem wirklich wichtig ist im Leben. Wofür man trotz aller Einschränkung gern Geld ausgibt und was doch verzichtbar ist. Wäre auch für die­­ nächste Krise nicht verkehrt.