Finger weg vom Handy

Viele Menschen finden es normal, bei Verabredungen das Handy auf den Tisch zu legen. Für unseren Autor war das lange der größte Affront – bis er kürzlich im Café eine noch unschönere Angewohnheit beobachtete.

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Zweites Date. Restaurant. Wein. Fisch. Lachen. Kerzenlicht. Eigentlich ein schöner Abend. Bis etwas aufleuchtet. Erst einmal. Dann noch einmal. Das Handy in der Lederschutzhülle, welches neben ihrem Weinglas auf dem Tisch liegt. Auf einmal sind wir nicht mehr zu zweit. Auch Aaron, Alex, Andreas, Anja und der Rest ihres Telefonbuches sitzen mit uns am Tisch. Selbst als sie das Telefon – dem angeblichen Handy-Knigge gemäß – umdreht, verschwinden Aaron und die anderen nicht. Sie liegen lediglich auf dem Bauch.

Handys auf Esstischen. Auf Kaffeetischen. Auf Konferenztischen. Auf Bartresen. Handys überall dort, wo sie nichts zu suchen haben. Oder doch? Eine Studie besagt, dass 52 Prozent der Deutschen es in Ordnung finden, wenn das Mobiltelefon im Restaurant auf dem Tisch liegt. Mich irritiert das zutiefst. Sollte es nicht mehr handyfreie Momente geben? Echte Momente, in denen echte Menschen echte Worte und Gedanken austauschen? Und das ohne Aaron und die anderen?

Sitzt man mit seinen Kolleginnen und Kollegen zu Mittag, liegen die Handys oft schneller auf dem Tisch, als man sich selbst hingesetzt hat. Klar, alle wollen immerzu zeigen, wie busy sie sind. Aber nicht zu auffällig! Nur gelegentlich die Nachrichten prüfen. Kurz mit sich ringen, versuchen, sich nicht ablenken zu lassen, um so zu vermitteln, dass man äußerst gefragt sei und dennoch seine Zeit dem anderen widme. Noch gefragter ist natürlich der Kollege mit den zwei Handys. Eins für die Arbeit, das andere für den privaten Gebrauch. Die anderen Personen am Tisch sind dafür umso unwichtiger. Wie viel bin ich meinem Gegenüber wert, frage ich mich in solchen Momenten oft. Ob das Handy bäuchlings auf dem Tisch liegt oder mit Display nach oben, macht dabei übrigens keinen Unterschied. Seine zerstörerische Wirkung ist in beiden Fällen nahezu gleich.

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Großartig, jetzt sitzen nicht nur Aaron, Alex und die restliche Entourage mit am Tisch, sondern auch Trump und Putin

Zu ihrer Verteidigung bringen die Handy-am-Tisch-Verfechter gerne das Argument vor, es könne einen ja eine wichtige Eilnachricht erreichen. Großartig, jetzt sitzen nicht nur Aaron, Alex und die restliche Entourage mit am Tisch, sondern auch Trump und Putin. Manchmal heißt es auch, man brauche das Handy, um auf die Uhr zu schauen. Immer gut, wenn man seinem Gegenüber das Gefühl vermittelt, man wolle so schnell wie möglich aus dieser langweiligen Begegnung flüchten! Und Fotos! Für den Instagram-Account mit den minus 143 Followern! Aber warum bleibt das Handy auf dem Tisch liegen, wenn Löffel oder Gabel die fotogen angerichtete Low-Carb-Bowl bereits durcheinandergebracht haben?

Ein anderes Argument: Man schaue ja nur aufs Handy, wenn die andere Person zur Toilette gehe. Aber sind Warten und Langeweile nicht auch Teil einer Begegnung? Wird deren Wert durch diese kurze Einsamkeit nicht besonders schön unterstrichen? Und dann die Bilder, die man unbedingt vorzeigen will, und das »wirklich lustige« Meme, das einem vorhin die Kollegin zugesendet hat! Wir sind heutzutage überall gleichzeitig – deswegen sind wir aber auch nirgends. Vor allem nicht hier an diesem Tisch.

Merkwürdig auch, dass wir die digitale Belästigungen viel klagloser akzeptieren, als wir es bei analogen täten. Die Eilmeldung auf dem Handy ist ok, würde unser Gegenüber aber eine Zeitung aufschlagen und hinter selbiger verscheinden, wären wir garantiert beleidigt.  Whatsapp-Nachricht ja, aber mit Füller einen Brief verfassen? Übrigens geht es nicht nur um das Zwischenmenschliche. Eine Studie besagt etwa, dass man sich am besten konzentrieren könne, wenn das Handy noch nicht einmal im gleichen Zimmer ist wie man selbst. Nicht nur von unserem Gegenüber lenkt es uns also ab, auch von unseren eigenen Gedanken.

Ich treffe mich mit einem Freund auf einen Kaffee. Nach fünf Minuten liegt immer noch kein Handy auf dem Tisch. Endlich mal ein Gleichgesinnter, denke ich, und starte mein Lamento. Er nickt leicht abwesend und schaut auf seine Uhr. Einige Augenblicke später wieder. Und wieder. So langweilig bin ich doch eigentlich gar nicht, denke ich irritiert. Erst als er beginnt, mit seinem Handgelenk zu sprechen, kapiere ich, dass er eine Apple Watch trägt. Bislang dachte ich, das Handy auf dem Tisch sei schlimm – jetzt graut es mir wirklich.