Als der Sohn geboren wurde, verkündete eine Schwalbe den Menschen die frohe Botschaft. Drei Sterne – so will es die Legende – strahlten am Firmament, und ein doppelter Regenbogen wies den Weg zu der bescheidenen Holzhütte am heiligen Berg. Man schrieb das Juche-Jahr 30 der nordkoreanischen Zeitrechnung. Kim Il Sung, der Vater, führte bereits den revolutionären Kampf. Er schenkte Kim Jong Il, dem Sohn, alle Güte und Wärme, auf dass er später würde scheinen können als »Sonne des 21. Jahrhunderts«. Der Vater aber sollte fortleben in den Köpfen und Herzen der Menschen, und sein Körper sollte bewahrt bleiben im inneren Sanctum des Mausoleums, aufgebahrt auf einer Ruhestatt aus Alabaster. Kim Il Sung lebt auch im Herzen von Simon fort, der eigentlich Kim Yong Il heißt, aber – auch um Verwechslungen zu verhindern – an seinem christlichen Namen erkannt werden soll.
Simon ist 47 Jahre alt, er trägt das Konterfei des Großen Führers in Form einer Anstecknadel auf der Brust und in der Hand die Schlüssel zur Kirche der heiligen Jungfrau. Simon ist der Mann, auf den die Kirche baut. Er ist Gemeindevorsteher, Hausmeister, Schlüsselgewaltiger der Changchung-Kirche in Pjöngjang, des einzigen katholischen Gotteshauses Nordkoreas. Unter den 23 Millionen Einwohnern Nordkoreas gibt es etwa 13 000 Christen, davon 3000 Katholiken, unter denen 300 ihren Glauben praktizieren in eben der einen Kirche. Einen Pfarrer gibt es nicht.
Die Kirche ist nach der Muttergottes benannt, deren Bild auf einem kitschigen Gemälde am linken Seitenaltar zu sehen ist. Durchschnittlich zweimal im Monat kommt ein Priester auf der Durchreise vorbei, meistens aus China oder Südkorea, und liest die Messe. Einmal war auch der deutsche Bischof Kamphaus da, und Weihnachten brachte eine Delegation aus Südkorea einen gewaltigen Flachbildschirm als Geschenk. Der steht nun, eine kuriose Ikone, am Fuß des Hauptaltars, gleich neben dem Opferstock und unter dem Gemälde des Gottessohnes, der betend die Hände erhebt. Aber wer ist schon Jesus Christus in einem Land, das Kim Jong Il, den Sohn, hat und Kim Il Sung, den Vater, auf dem Herzen trägt. Wie könnte man die drei überhaupt vergleichen? Simon, mit dem Anstecker auf der Brust, hat die Antwort längst eingeübt, weshalb sich jeder Widerspruch verbietet: Wo, bitte schön, ist das Problem? Selbstverständlich könne er an Gott glauben und an Kim Il Sung.
Wer glauben will in Nordkorea, der hat es nicht leicht. In Nordkorea muss man glauben: an den Großen Führer, an den Geliebten Führer (seinen Sohn) und vielleicht noch an die Generalin Kim Jong Suk, die Mutter der Nation und die Mutter Kim Jong Ils. Auch so etwas wie eine Dreifaltigkeit. Die Staatsmythologie will es, dass die Generalin Kim Jong Suk am 24. Dezember geboren wurde und Kim Jong Il den Oberbefehl der Armee ebenfalls an einem 24. Dezember übernahm. Ein Freudentag für die Nation, der gefeiert wird mit Sonderrationen für die Menschen und genug Elektrizität zur festlichen Beleuchtung der Hauptstadt, fast wie Weihnachten.
Nordkoreas Staatsmythologie ist voller pseudoreligiöser Elemente, Anlehnungen an das Christentum, den Schintoismus, animistische Glaubensformen und konfuzianische Regeln: die Verehrung für das Alter, die dienende Rolle des Sohnes gegenüber dem Vater, Zahlen-mystik, die Unfehlbarkeit des Führers. Sie kennt heilsgeschichtliche Legenden wie die Geburtsversion Kim Jong Ils am heiligen Berg, demselben Ort, wo vor viertausend Jahren der Urahn des koreanischen Volkes vom Himmelsgott und einem Bären gezeugt worden war.
Selbstverständlich wurde der göttliche Bärenmann Kim Jong Il nicht am heiligen Berg, sondern in einem russischen Ausbildungslager geboren, in das seine Eltern vor den japanischen Besatzern geflüchtet waren. Gleichwohl muss er der Legende zufolge wie der Knabe Jesu gewirkt haben: Die Staatsliteratur ist voll der erbaulichen Leistungen des jungen Mannes, der vom Ackerbau bis zur Raketenfabrikation segensreich arbeitete, der eine intellektuelle Sonderstellung als Dichter, Regisseur, Ideologe und Komponist einnimmt und dem Militärwesen wundergleich Stärke und Richtung gab.
Jedes Kind in Nordkorea lernt, dass der Staatsgründer Kim Il Sung im zarten Alter von drei Jahren das Schriftzeichen für »Einheit« auf ein Tischchen in der elterlichen Bauernkate kritzelte – und damit sein Leben dem koreanischen Traum verschrieb. Und jedes Kind weiß, dass Kim Jong Il, der Geliebte Führer und Sohn, bis heute ein Leben voller Heldentaten lebt. Religion, Mythologie und Führerkult verschmelzen in Nordkorea in der Juche-Ideologie, die ihren Ursprung bereits in den Dreißiger- jahren des letzten Jahrhunderts findet, in den Fünfzigern zur ersten Blüte gelangte und immer wieder neu formuliert wurde. Juche ist die nordkoreanische Staatsphilosophie, die Religion der Kim-Dynastie, die ideologische Begründung einer radikalen Autonomie und Fremdenfeindlichkeit, der Versuch der Abnabelung von sowjetischer und chinesischer kommunistischer Herrschaft – ein unverdaulicher, prosaischer Schwulst, ein Gebirge von pseudointellektueller Wucht, das die eigene Last gleichwohl nicht zu tragen vermag.
Juche verbindet die religiösen Elemente im Land, Juche heißt der gewaltige Steinturm in der Mitte Pjöngjangs mit der ewigen Flamme auf seiner Spitze, Juche ist die Zeitrechnung Nordkoreas, die alle Geschichte im Jahr 1912 beginnen lässt, dem Geburtsjahr Kim Il Sungs.Kim Il Sung wurde als Christ geboren. Korea war im frühen 20. Jahrhundert ein Hort des Christentums in Ostasien, etwa ein Drittel der Bevölkerung bekannte sich zu Christus – vor allem in Abgrenzung zu den japanischen Kolonialherren. In Pjöngjang wurden mehr als hundert Kirchen gezählt. »Das Jerusalem des Ostens«, jubelte der amerikanische Pfarrer George Trumbell Ladd. Kims Vater besuchte eine Missionarsschule und war auch der Kirchenorganist. Die Spielkunst gab er an seinen Sohn weiter, der später gleichwohl schrieb: »Ich war der ermüdenden religiösen Zeremonien überdrüssig, der monotonen Predigten der Pfarrer« – was ihn aber nicht davon abhielt, den Kult um seine Person an dem kirchlichen Vorbild zu schärfen. Sein Konzertflügel wird in der Musikhochschule wie ein Reliquie aufbewahrt.
Kim löschte alle Kirchen nach seiner Machtergreifung aus, später wurden einige vorgezeigt, die – gefüllt mit Schauspielern – den Anschein religiöser Vielfalt vermitteln sollten. Die Christenverfolgung nahm grausame Züge an, die Schilderung der Vertreibung, der Lagerhaft und schließlich der Ermordung der Brüder aus der Benediktinerabtei Tokwon in den Jahren 1949/1950 etwa ist nichts für zarte Gemüter. Die schlimmsten Verfolgungsszenen sind offenbar vorbei, aber wer in Nordkorea missioniert, der spielt noch immer mit seinem Leben. Und von blühendem kirchlichem Leben kann keine Rede sein: Die Muttergottes-Gemeinde von Pjöngjang verzeichnete im vergangenen Jahr eine Taufe. Die Kinder eines christlichen Paares werden nicht getauft, wenn der Staat nicht zustimmt. Simon, der Vorsteher, wäre gern Priester geworden, aber er war bereits verheiratet, als er sich dem Katholizismus mit staatlichem Segen zuwenden durfte. Seine Kinder, 19 und 16 Jahre alt, können mit der Kirche nichts anfangen.
Neben der katholischen Gemeinde gibt es in Pjöngjang noch zwei protestantische Gotteshäuser, außerdem soll der Glauben in einigen Hauskreisen gepflegt werden. Gerade eröffnete die russisch-orthodoxe Kirche ein Gotteshaus in der Stadt. Es heißt, Kim Jong Il soll auf seiner letzten Russland-Reise im gepanzerten Sonderzug beeindruckt von der Orthodoxie gewesen sein. Die Benediktiner haben nach dem Koreakrieg im Süden des geteilten Landes ihre Mission wieder aufgebaut. Südkorea erlebte eine rasante Christianisierung. Ein Drittel der Bevölkerung bekennt sich heute zum Christentum, kein Land außer den USA entsendet so viele Missionare in die Welt. Und selbst in Nordkorea sind die Benediktiner wieder vertreten: Abtprimas Notker Wolf, ehemals Erzabt von Sankt Ottilien, reiste erstmals 1994 als Tourist in das Land. 2005 eröffneten die Benediktiner ein Krankenhaus in Rajin mit einhundert Betten. Es steht offiziell unter koreanischer Leitung, Vorsitzender des Aufsichtsrats ist Wolf. Den Segen dazu gab Kim Jong Il.
Fotos: Kim Jangwook/Gamma/Studio X; picture-alliance/dpa/Adrian Bradshaw