Jenseits von Amerika

Bald zieht Barack Obama als Präsident ins Weiße Haus ein. Seine Großmutter ist schon mit ihrem kleinen Häuschen in Kogelo, Kenia, zufrieden.

Die Leute im Dorf sagen, das Grab liege direkt auf dem Äquator und der große Mangobaum, der sich schützend darüberbeuge, sei ein Zeichen, dass das Schicksal es immer gut mit den Obamas meinte. Als Barack Obama noch nicht der mächtigste Mann der Welt werden wollte, als er noch nicht einmal Senator von Illinois war, sondern nur ein 21-jähriger Student, packte er seinen Rucksack und flog mit wenig Geld in der Tasche von Chicago nach Nairobi, um die afrikanische Seite seiner Familie kennenzulernen. Aber was der junge Obama zunächst als Urlaub geplant hatte, endete als Selbstfindungstrip in einem ab-gelegenen westkenianischen Dorf namens Kogelo – am Grab seines Vaters.

Es ist der Sommer des Jahres 1983: Barack Obama sitzt allein vor dem Grabstein, raucht eine Zigarette und redet mit seinem Vater, der zwei Meter tief in roter afrikanischer Erde liegt und keine Antwort gibt. Der Vater hatte die Familie verlassen, als Barack zwei Jahre alt war. Er hatte ihn danach nur noch einmal in den USA kurz wiedergesehen, da war er neun. Obama berührt den mit gelben Kacheln beklebten Stein, nippt an seinem lauwarmen Bier und weint. Neben dem Grab von Obamas Vater steht das Haus seines Großvaters. Es hat kleine, blau gestrichene Fenster und den Türrahmen füllt eine Frau, deren Erinnerung an jenen Tag im Sommer 1983 jetzt langsam nachlässt. »Ich weiß nur noch, wie er mich gequält anlächelte, seine Augen versteckt hinter einer schwarzen Sonnenbrille. Sein Vater hatte mir viel von ihm erzählt, er war sehr stolz auf seinen amerikanischen Sohn. Damals konnte ich Barack das erste Mal in meine Arme schließen.« Die Frau im Türrahmen ist Sarah Auyango Obama, Barack Obamas Großmutter.

Sarah Auyango Obama ist mittlerweile 83 Jahre alt und wohnt noch immer in Kogelo. »Selbst ein Blinder findet den Weg zu Mama Sarah«, sagt Gilbert lächelnd, ein junger, kräftig gebauter Bauer, der sich bereit erklärt hat, uns zu ihr zu führen. Wir folgen einem Schotterweg, der gesäumt ist von Eukalyptus- und Mangobäumen. Dahinter kann man, in großem Abstand zueinander, kleine Lehmhütten mit kegelförmigen Strohdächern erblicken. Vor fast jeder Hütte liegt Mais in großen Schalen oder auf Leinentüchern ausgebreitet zum Trocknen in der Sonne. Am Ende der Lichtung: das Backsteinhaus von Mama Sarah.

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Kogelo liegt etwa 800 Kilometer westlich von Kenias Hauptstadt Nairobi. Die nächstgrößere Stadt mit einem Flugplatz heißt Kisumu, liegt direkt am Viktoriasee und ist knapp zwei Stunden Autofahrt entfernt. Von der asphaltierten Hauptstraße, die von dort nördlich nach Uganda führt, zweigt eine vom Regen zerfurchte Piste zum Dorf ab und endet nach etwa 20 Kilometern im Land der Obamas, einer der ärmsten Gegenden Kenias. Die Bewohner von Kogelo leben vor allem von Ackerbau und Viehzucht. Fließendes Wasser gibt es nur am Fluss, der das Dorf in zwei Hälften schneidet. Über den Baumkronen drehen zwei Kampfadler ihre Runden. Eine Kuh muht. Der Himmel ist wolkenlos, die Sonne brennt auf blasser Haut. »Elektrizität ist hier Gold wert, und Mama Sarah ist die Einzige im Dorf, die sie besitzt«, flüstert Gilbert uns zu, als er schon nach ihr gerufen hat.

Mama Sarah misst höchstens einen Meter sechzig, ihre Haut ist viel dunkler als die des neuen Präsidenten. Die 82-Jährige hält eine Hacke in der Hand, ihre Füße sind nackt. Mama Sarah sagt: »Amosi!«, das heißt »Guten Tag!« in Luo, der lokalen Stammessprache. Dann bittet sie uns höflich, morgen wiederzukommen. Heute müsse sie noch viele Bohnen pflanzen.Am nächsten Tag empfängt sie uns zum Tee in ihrem Wohnzimmer; ein paar Holzstühle und ungefähr 30 gerahmte Familienfotos, die alle etwas schief an den Wänden hängen. Der Raum sieht aus wie ein improvisiertes Museum über den sozialen Aufstieg der Obamas. Auf einem blauen Wahlplakat mit den dicken Lettern »OBAMA« und »SENATOR« zeigt ihr Enkel sein Gewinnerlächeln. Obama hat es signiert: »Hello Grandma Sarah! I love you! Barack.«

Mama Sarah deutet auf das Porträt eines Mannes mit einer Hornbrille und Händen, die zum Gebet gefaltet sind. »Das ist mein Sohn, Barack Obama senior, ein sehr in-telligenter und wissbegieriger Mann«, erklärt sie voller Stolz. Er ist der Vater des neuen US-Präsidenten und der Erste aus der Familie, der die Heimat verließ. Er studierte in Nairobi und machte mithilfe eines Stipendiums Ende der Fünfzigerjahre an der Universität von Hawaii seinen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften. Dort verliebte er sich in seine weiße Kommilitonin Stanley Ann Dunham, sie heirateten, 1961 wurde Barack Obama junior geboren. Mischehen waren in den USA damals etwa so häufig wie ein schwarzer Präsident. In den Südstaaten hängte man Schwarze schon, wenn sie eine weiße Frau nur angrinsten. Mama Sarah sagt: »Ich habe in einer Hütte in Kenia einen zum Islam konvertierten Bauern geheiratet und Jahrzehnte später stehe ich vor meinem christlich getauften Enkel und Senator der mächtigsten Nation der Welt.«

Barack Obama selbst schreibt in seiner Autobiografie, Dreams from My Father: »Ich habe lange gebraucht, um meine eigene Geschichte zu verstehen. Der Vater auf den Fotos schwarz, dunkler als jeder Mensch in meiner Umgebung, die Mutter weiß wie Milch. Erst nachdem ich am Grab meines Vaters mit ihm sprach, wurde mir klar, dass ich ein Amerikaner mit afrikanischen Wurzeln bin.«

1963 entlässt Großbritannien seine Kolonie Kenia in die Unabhängigkeit. Barack Obamas Vater verließ die junge Familie, kehrte aus den USA nach Nairobi zurück, um als Berater der Regierung zu arbeiten. 1982 starb er bei einem Verkehrsunfall und Mama Sarah begrub ihn neben ihrem Haus. Ein Jahr später traf Barack Obama seine Großmutter zum ersten Mal.

Mama Sarah hat inzwischen aus einer braunen Ledertasche ein Familienalbum hervorgezogen, zeigt Schwarz-Weiß-Fotos: Barack Obama hilft seiner Großmutter, Säcke mit Bohnen und Mais auf den Dorfmarkt zu schleppen, um sie dort zu verkaufen; abends sitzt er mit Nachbarn um ein Lagerfeuer herum, trinkt frische Milch und redet.

Jetzt hält Mama Sarah zwei Farbfotos in der Hand, die sie in der U-Bahn von New York und vor dem Hügel des Kapitols in Washington zeigen. »Barack hat mich für zwei Monate nach Amerika eingeladen und mir gezeigt, wo er arbeitet und lebt.« Ob es ihr gefallen hat? »Der Wind ist kalt und die Züge fahren unter den Häusern«, antwortet sie und bemerkt wie nebenbei, dass sie George W. Bush schon mal die Hand geschüttelt hat. »Er war sehr freundlich und hat mich in seinem Land willkommen geheißen.«

Mama Sarah macht sich nichts aus Politik. Neben Baracks Vater hat sie noch zwei weitere Kinder aufgezogen: Obamas Onkel Said, der zurückgezogen in Kisumu lebt und sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält, und Tante Razzia, die vor vielen Jahren mit ihrer Familie nach Nairobi gezogen ist. Die Kinder und die Arbeit waren Mama Sarahs Leben. Selbst hat sie nie eine Schule besucht. Seitdem ihre Kinder weggezogen sind, ist ihr nur noch die Arbeit geblieben.

Jeden Morgen, kurz nach Sonnenaufgang, steht sie auf und füttert als Erstes ihre Hühner. Die vielen Jahre auf dem Feld haben ihren Rücken zwar gebeugt, aber das hält sie nicht davon ab, mit einer Hand bis weit hinter ihrer Schulter auszuholen und die Hacke tief in die Erde zu rammen. Rheuma? Gelenkschmerzen? Mama Sarah winkt ab. Das Ohr tue ihr seit ein paar Tagen weh, sonst gehe es ihr prima. Einmal die Woche packt sie auf einen kleinen Schubkarren zwei, drei Säcke Bohnen und Mais und schiebt die Früchte ihrer Arbeit mehr als zwei Kilometer zum Dorfmarkt. Viel Geld bringe das nicht ein, aber sie habe sich aus Geld nie etwas gemacht.

Im Dezember 2004, als Obama zum US-Senator gewählt wurde, veranstaltete man im Dorf ein großes Fest, viele Kühe und Hühner wurden dafür geschlachtet. Hunderte Menschen standen vor Mama Sarahs Haus Schlange und wollten ihr persönlich gratulieren. Ihr war der Rummel um ihre Person unangenehm. »Ich habe meinen Nachbarn gesagt, dass nicht ich US-Senator geworden bin, sondern Barack! Aber es hat nicht viel genützt.«

Seit Obama sich zu seinen afrikanischen Wurzeln bekannt hat, ist in ganz Kenia die Euphorie um den »verlorenen Sohn« groß – so nennt ihn Kenias wichtigste Tageszeitung Daily Nation –, und in Kogelo spricht man von gar nichts anderem mehr. Fast jeder Dorfbewohner gibt sich als ein Verwandter aus und manche haben aus diesem Grund schon ihre Nachnamen geändert. Aus »Omondi«, was so viel heißt wie »jener, der geboren wurde, als der Hahn krähte«, oder »Ogola« – »jener, der unter der Veranda zur Welt kam« – wurde »Obama«: »der mit der brennenden Lanze«.

Zur Familie Obama zu gehören ist in Kogelo offenbar unabdingbar geworden. Lacordia Onyango – »jene, die zwischen neun und zehn Uhr morgens geboren wurde, wenn die Sonne noch nicht sehr stark ist« – ist 15 Jahre alt und gibt sich als »Mama Sarahs Tochter« aus. »Ich wohne nur wenige Schritte von Mama Sarah entfernt und habe auch schon mal mit Barack Obama gesprochen und ihn gefragt, was ich tun muss, um genauso zu werden wie er. Er hat mir gesagt, dass ich in der Schule immer mein Bestes geben soll. Falls Sie ihn sehen, richten Sie ihm bitte aus, dass ich mich sehr bemühe, ihn nicht zu enttäuschen.«

.« Auf dem Dorfmarkt stellt sich der 64-jährige John Odero als offizieller Fahrradreparateur von Mama Sarah vor, obwohl Mama Sarah gar kein Fahrrad besitzt. Am Tag repariert Odero im Schnitt 35 Fahrräder, sagt er. Das bringe ihm knapp 2000 Kenianische Schilling im Monat, umgerechnet rund 22 Euro. Sein gleichaltriger Freund Nelson Odhiambo, ein Grundschullehrer, sagt: »Die Obama-Manie ist in unserem Dorf 2004 ausgebrochen, nachdem ›der Junge‹ den Einzug in den Senat geschafft hatte. Seitdem nennen die Menschen ihre Kinder, aber auch ihre Hühner, Kühe und Ziegen Obama. Eine Biersorte namens ›Senator‹ wurde kurzerhand zu ›Obamas Bier‹ umbenannt. Von einigen Bewohnern wurde bei der Provinzregierung vor Kurzem sogar der Bau eines kleinen Flughafens gefordert, um für den erhofften Massenansturm der Touristen gewappnet zu sein, wenn Obama Präsident ist.«

Nelson tippt sich an die Stirn. »Wir leben in einem sehr armen Dorf, kaum einer verfügt über eine ordentliche Schulbildung. Der durchschnittliche Verdienst liegt selten über 20 Dollar pro Monat. Viele sehen in Obama deshalb eine Art Erlöser. Dabei begreifen sie nicht einmal, wie man ein Kondom richtig benutzt. Aids ist immer noch unser größtes Problem. Die Seuche drückt die Lebenserwartung eines Menschen in Kogelo und den benachbarten Dörfern auf unter 41 Jahre.«

Barack Obama war seit 1983 mehrere Male in Kogelo zu Besuch. Das letzte Mal im August 2006. Es war ein offizieller Staatsbesuch auf Einladung der kenianischen Regierung. Die Dorfschule erhielt damals den Namen »Senator Obama Secondary School«. Obama wurde wie ein Messias empfangen. Alle jubelten ihm zu und jeder wollte ihm die Hand schütteln.

»Wir versuchen seinem Namen alle Ehre zu machen«, meint Yuanita A Obiero, die 47-jährige Rektorin der Schule. Es genügt jedoch ein starker Regen, um die Klassenzimmer in einen Sumpf zu verwandeln. Das Chemielabor, das von Obama eingeweiht wurde, ist noch nicht benutzbar, und die Bibliothek, in der sich die paar Dutzend Bücher auf grauem Zementboden stapeln, auch nicht. Aber in ihren Träumen sind die Schüler längst in Amerika. Sie träumen davon, Anwälte in Chicago, Rechtsprofessoren in Harvard oder auch Senator von Illinois zu werden und manchmal sogar Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.

Mama Sarah hat sich nie gewünscht, Kogelo zu verlassen. Sie wurde in diesem Dorf geboren, und »wenn Gott es gut mit mir meint, werde ich auch hier sterben«. Natürlich hofft sie, bald den ersten afroamerikanischen Präsidenten Amerikas umarmen zu können. Aber ihr ist nur eines wirklich wichtig: »Ich habe Barack gesagt, dass er sich nicht um uns sorgen soll. Es gibt Menschen, die seine Hilfe nötiger haben. Er soll nur nie vergessen, wo er herkommt.«