Es gibt schon wieder ein Problem. Zirkusdirektor Christian Bellucci hat derzeit viele, an dem hier ist ausnahmsweise nicht der Orient schuld: Löwendame Basnu hat beim Weg aus der Manege neben sein Regiepult gepinkelt. Es stinkt. Bestialisch, nicht auszuhalten. Bellucci verzieht das Gesicht, Coco, der Clown, leert eine Flasche Putzmittel über die nasse Stelle. Nützt nichts. »Che cazzo!«, ruft Bellucci dem Tier hinterher, »was für ein Scheißvieh!«
Man mag ihm seine Wortwahl nachsehen: Seit drei Jahren zieht Bellucci mit einem Rudel Raubtieren, einem Zelt, Trucks und zwanzig Artisten durch Länder, die von der größten politischen Umwälzung der jüngeren Geschichte, dem arabischen Frühling, betroffen sind. Wenn der 38-Jährige mit dem Tattoo auf dem Oberarm davon erzählt, wie er mit schutzgelderpressenden Beduinen und korrupten Beamten umgeht, wie er es schaffte, seinen Zirkus aus einem Bürgerkrieg zu retten, wirkt er trotzig. Ruppig, aber auch ein bisschen stolz. Nur bei Löwendamen mit Harndrang scheint die Macho-Art nicht zu funktionieren.
Das Bruttoinlandsprodukt in Belluccis Heimat Italien ist seit Ausbruch der Eurokrise 2007 stärker gefallen als während des Ersten Weltkriegs, die Konsumausgaben seiner Landsleute sind auf das Niveau von 1997 gesunken. Dehalb hat Bellucci ein altes Geschäftsmodell seines Vaters herausgekramt, der sein Zirkuszelt wiederholt dort aufstellte, wo gerade noch scharf geschossen worden war: Drei Monate nach Ende des Jugoslawienkrieges zog er durch Bosnien, später durch das Kosovo und Albanien. »Krisenländer sind gute Länder für den Zirkus«, sagt Bellucci senior, »die Leute wollen wieder lachen.«
Jetzt steht das Zirkuszelt der Belluccis in Ägypten. Dort gab es keinen Krieg, aber eine Revolution, seither ist das Land nicht zur Ruhe gekommen. Hier, wo es regelmäßig Tote gibt, wenn sich Anhänger der Opposition, des alten Regimes und der Muslimbrüder auf der Straße gegenüberstehen, soll Clown Pipelone nun alle zum Lachen bringen. Während die islamistische Regierung erwägt, Touristinnen an den Stränden Bikinis zu verbieten, will Tänzerin Micaela in knappen Kostümen verzaubern. Ein Wahnsinn – oder auch nicht, denn die Belluccis haben hier etwas gefunden, was es im Westen nicht mehr gibt: ein Publikum, das träumen und staunen will, aber noch nicht von einer durchorchestrierten Unterhaltungsindustrie zu Tode amüsiert wird.
Die Sonne über dem Zelt ist inzwischen untergegangen, nur wenige Laternen erhellen die Trabantenstadt in der Wüste östlich von Kairo, wo der Circo Bellucci sein Lager aufgeschlagen hat. Die Umgebung: so provisorisch wie das Zelt. Bis zum Horizont erstrecken sich Rohbauten, neoklassizistische Betonarchitektur, hohle Fenster. In einer Stunde beginnt die Abendvorstellung, das Problem mit der Löwenpisse wird sich bis dahin nicht lösen lassen. Das Wasser bleibt heute selbst im Toilettenwagen aus, wieder einmal.
Während sich die Artisten in ihre Wohncontainer zurückziehen, für je zwei Leute sechs Quadratmeter, versucht Christian Bellucci, in der Sache mit dem Geld voranzukommen. Ägyptische Pfund hat er inzwischen säckeweise, nur bringt ihm das nicht viel: Er darf sie weder ins Ausland ausführen noch wechseln. Seit die Muslimbrüder regieren, spielt die Währung verrückt, beide Verbote sollen helfen, die Inflation einzudämmen. Aus einem Mercedes steigt ein Ägypter im Nadelstreifenanzug und stellt sich als Direktor einer Filiale der Nationalbank vor. »Sie sollten hier eine Wohnung kaufen«, sagt er und deutet auf die Investitionsruinen hinter ihm. »Ich habe da exzellente Angebote. Hell, Marmor, ein Traum!«
Ob sich das ägyptische Pfund nicht irgendwann stabilisieren werde? »Inschallah«, sagt der Banker, »so Gott will.« Konkretere Hoffnungen kann er nicht machen, Bellucci muss bis auf Weiteres in Ägypten bleiben, sonst ist sein Geld für immer weg.
Lässt man die märchenhaften Aspekte beiseite, die jeder Zirkus-Geschichte innewohnen, könnte man sagen: Die Artisten des Zirkus Bellucci sind zwanzig weitere Wirtschaftsflüchtlinge, die Italien seit Ausbruch der Krise verlassen haben. Doch selbst ohne buntes Licht und Schminke kommt die Reise des Zirkus so verrückt daher wie ein Salto mortale: Anstatt vor La Crisi in den reichen Norden zu fliehen, zogen sie in die Gegenrichtung, in die Dritte Welt. Denn alle Probleme hier, sagt Bellucci, seien nichts gegen die Situation in Italien. »Da ist doch alles im Arsch. Finito e basta.«
Vor drei Jahren wurde Bellucci Direktor des Familienzirkus, der schon seit 1906 durch die Welt tourt. Doch das Geschäft lief schlecht in letzter Zeit, Vorstellungen waren nicht mehr ausverkauft, nach dem Ausbruch der Eurokrise blieb das Zelt daheim in Italien manchmal sogar ganz leer. »Etwas Besseres als den Tod findest du überall«, wiehert der Esel in den Bremer Stadtmusikanten, bevor er ins Ungewisse aufbricht. Wären die Wörter »merda«, »stronzo« oder »cazzo« in den Satz gestreut, könnte er auch von Christian Bellucci stammen.
Es war im Frühsommer 2010, als die Belluccis beschlossen, von nun an zu den Gewinnern der Krise zählen zu wollen. In Rocca San Giovanni, ihrem Heimatort in den Abruzzen, klingelte das Telefon. Ein Geschäftsmann aus dem Libanon bot eine Tournee durch Syrien, Jordanien und den Libanon an und schickte einen Scheck über 65 000 Dollar als Vorschuss. Die Artisten waren schnell zusammengerufen, die Ausrüstungskisten auf die vierzig Wagen gepackt, auch die Käfige für die sechs Tiger, fünf Kamele und Ponys, die zwei Pferde, Elefanten und Zebras. Dass es wegen der Seuchenschutz-Bestimmungen schwierig werden würde, mit den Tieren später wieder in die EU einzureisen, war den Belluccis bewusst, aber egal. »Er liebt Neuland«, sagt Christian über Vater Roberto, den rundlichen Seniorchef mit Mecki-Frisur und Herrenhandtasche. »Er stellt sein Zelt am liebsten dort auf, wo er der Erste ist.«
Das Zirkusleben in der Diktatur, es sah vielversprechend aus.
Syrien schien ein Land nach dem Geschmack des Seniors zu sein. Der Platz im Stadtzentrum von Damaskus war voll, die Vorstellungen ausverkauft. Diktatoren-Gattin Asma al-Assad besuchte mit ihren Kindern eine Vorstellung, die Baseball-Kappe tief ins Gesicht gezogen, setzte sich aber auf ganz normale Plätze. »Nicht mal die teuerste Kategorie haben die genommen.«
Als Hafez, der älteste Sohn des Diktators, Geburtstag hatte, stieg im »Sheraton«-Hotel eine Zirkus-Motto-Party, die Belluccis und ihre Elefanten waren die Stargäste. »Hier, schau! Che bella torta!«, ruft der Seniorchef und präsentiert sein Smartphone. Auf dem Bildschirm ist er mit ausgebreiteten Armen hinter einem Ungetüm aus Sahne, Marzipan und Lebensmittelfarbe zu sehen, einer vierstöckigen Torte für den kleinen Prinzen. Die Beziehungen zu den Assads haben Vorteile: Christians schwangere Ehefrau entband Sohn Valentino in dem Privatkrankenhaus, in dem sich sonst die Assads behandeln lassen. Das Zirkusleben in der Diktatur, es sah vielversprechend aus.
Das Zirkusleben im postrevolutionären Ägypten hingegen ist vor allem chaotisch. Irgendwo in der Ferne ruft ein Imam zum Gebet, im Zelt kündigt ein Zirkusmarsch den Beginn der Abendvorstellung an. Die Parkplätze vor dem Zirkus sind noch nicht voll, heute sind die Staus selbst in Kairos Peripherie groß: Eine Gruppe Aktivisten hat sich mit Transparenten auf die Stadtautobahn gestellt, nur einen Kilometer vom Zirkus entfernt, dort, wo die Straße zum Haus von Präsident Mursi abzweigt. »Hupe, wenn du gegen die Muslimbrüder bist«, steht auf den Plakaten, der Lärm ist bis zur Manege zu hören.
Dort scheucht Captain Rami seine schläfrigen Löwen auf die Podeste. Bellucci hat Dompteur und Tiere in einem Ferienressort gefunden und verpflichtet, auch wenn ihn wütend macht, in was für kleinen Käfigen der Ägypter die Tiere hält. Noch immer tröpfeln Gäste ein, Kairos Mitsubishi-Mittelstand will seinen Kindern diese seltsame Welt des europäischen Zirkus zeigen. Dass nicht alle Nummern das Spitzenniveau von Cirque du Soleil oder Krone haben, stört sie nicht. Schließlich sind die Belluccis seit mehr als sechzig Jahren der erste europäische Zirkus, der durch das Land tourt.
Zwischen den Gästen vor der Kasse und am Teeausschank stehen auch vollverschleierte Frauen und Männer mit langen Bärten. Einige von ihnen haben Hornhautflecken an der Stirn, weil sie beim Beten den Kopf so intensiv am Boden reiben: Anhänger der Salafisten, deren Neugier größer zu sein scheint als der religiöse Eifer, der einen Zirkus als Frevel einstuft. Der Taxifahrer am Morgen sah das anders: »Anzünden sollte man dieses Zelt der Sünde.«
Ägypten war stets ein konservatives Land, jetzt regieren die Muslimbrüder. Wie es für Frauen aus dem Westen ist, hier aufzutreten, weiß Micaela, die Tänzerin. Im Moment führt sie in der Manege eine Gruppe Breakdancerinnen in Hotpants an, ein bärtiger Mann im Publikum hält dem Sohn die Augen zu. Nach der Nummer eilt Micaela zu dem Container, der den Zirkusdamen als Garderobe dient. Sie verscheucht einen jungen Ägypter, der als Platzanweiser beim Zirkus arbeitet und ab und zu versucht, in die Umkleide zu linsen. Micaela ist blond, groß, schlank; auch in Europa würde sie mit ihren Locken jedem auffallen, in Ägypten erst recht. In letzter Zeit häuften sich die Nachrichten, dass Frauen im Gedränge der Massendemonstrationen vergewaltigt wurden. Auch Micaela wurde mehrmals von Männern bedrängt, einmal sogar in der Nähe des Zeltes. Das Zirkusgelände verlässt sie seitdem nur noch in Begleitung. »Aber bei meiner Kunst werde ich keine Kompromisse machen.« Nun ja, kleine dann doch: In Vorstellungen für Schulkinder trägt sie Trainingshosen statt Hotpants.
Um zu verstehen, wie die Blondine im knappen Kostüm in die Wüste kam, muss Christian Bellucci erzählen, wie es in Syrien weiterging: »Die Scheiße begann, als ich den Scheck für den Vorschuss einlösen wollte.« Der Wechsel war nicht gedeckt. Außerdem hatte der Geschäftsmann, der die Belluccis eingeladen hatte, keinen Lieferanten bezahlt. Die Behörden erließen eine Ausreisesperre, dem Zirkus blieb keine andere Möglichkeit, als sich auf eigene Faust durchs Land zu schlagen. Homs, Hama, Idlib, Aleppo – während im Süden die Menschen gegen Assad auf die Straße gingen, tourte der Zirkus durch die Städte, die heute nur noch Schutt und Asche sind.
In Aleppo starb der Elefant Meveli. Wohl an Altersschwäche, er war schon 75. Ein Zoodirektor bot an, den Kadaver zu vergraben, schnitt ihn aber in Stücke, angeblich, um ihn auszustopfen. Als das entdeckt wurde, liefen aufgeregte Menschen zum Zirkus. Sie dachten, die Zirkusleute wollten das Elefantenfleisch als Kebab verkaufen.
Dann verschwand, wie als erstes Warnzeichen, ein Artist aus Marokko im Gefängnis. Der Mann hatte betrunken mehrmals »Fuck your president Assad!« gerufen, jemand muss ihn angeschwärzt haben. Vielleicht einer der Straßenkehrer, die ständig um den Zirkus herumlungerten, vielleicht einer dieser Männer in Lederjacken, Geheimpolizei. Die Belluccis sahen ihren Akrobaten nie wieder. Kurze Zeit später beobachteten sie Panzerkolonnen auf den Straßen, hörten Granateneinschläge, sahen Rauch am Horizont aufsteigen. Anfang April 2011 flohen sie in die Küstenstadt Tartus, um ein Schiff nach Italien zu nehmen. Doch die Odyssee, die den Zirkus Bellucci schließlich an den Nil führen sollte, war noch lange nicht vorbei.
In der Manege im Vorort von Kairo versucht jetzt Clown Pipelone die Leute zum Lachen zu bringen. Manchmal bleibt es beim Versuch – der Clown muss erst noch herausfinden, was die Ägypter lustig finden. In seiner ersten Vorstellung in Ägypten hatte der Clown einem Freiwilligen einen Basketballkorb um die Hüften gebunden, von dessen Rand ein Ball an einer Schnur baumelt. »In Europa und den USA finden die Leute das sehr komisch«, sagt der Clown. Die Bewegungen, die man machen muss, wenn man den Ball ohne Hände in den Korb bugsieren will, sind recht eindeutig. Der Ägypter fand es gar nicht lustig. Er schmiss dem Clown den Korb vor die Füße, beschimpfte ihn und stürmte aus dem Zelt. Inzwischen verzichtet Pipelone auf alles, bei dem Frauen oder die Intimzone eine Rolle spielen. Wenn sich aber ein Kind nach einer Nummer mit dem Kollegen Coco zum Gebet niederwirft, weil es die Aufforderung zum Verbeugen missversteht, sind die Clowns immer noch ratlos.
Der Zirkus braucht die Krisen, die Krisenopfer brauchen den Zirkus
Pipelone, der eigentlich Felipe Puentes heißt, schiebt sich nach seiner Nummer ein wenig Popcorn in den Mund. Dabei gibt sich der 27-Jährige mit dem blondierten Irokesenschnitt so philosophisch, wie es vielleicht nur Narren können, ohne dabei albern zu wirken. Es sei gut, dass sie hier sind, sagt er. »Das Zirkuszelt ist vielleicht der demokratischste Ort der Welt.« Jeden Abend ließen sie den Traum wahr werden, den John Lennon im Song Imagine beschrieben hat: »Keine Kriege, Klassen, Nationen, Religionen. Bei uns sitzen einfach nur Menschen zusammen. Um gemeinsam zu lachen und zu staunen.«
So kann man es natürlich auch sehen: Der Zirkus braucht die Krisen, die Krisenopfer brauchen den Zirkus. Die Krise in Syrien im Frühjahr 2011 wurde jedoch selbst den Belluccis zu heftig: Als ein Zirkuswagen auf dem Weg zum Hafen kurz hielt, standen einem ihrer Artisten plötzlich drei maskierte Islamisten gegenüber. Sie drückten ihm eine Kalaschnikow an die Stirn, riefen immer wieder: »Welche Nationalität, welche Nationalität?«, bis sie in der Dunkelheit verschwanden.
Im Hafen angekommen stellten die Belluccis fest, dass die Reederei die Verbindung nach Italien wegen des Konflikts eingestellt hatte. Roberto hatte eine neue Idee, er wollte nun in den Irak, ganz getreu seiner Maxime: Krisenländer sind gute Länder für uns. Der Sohn und der Vater diskutierten lange. Christian sagte, er komme nur mit, wenn er hinter der Wagenkolonne mit einem Panzer herfahren könne. Roberto verwarf den Plan. Den beiden blieb nichts anderes, als in das Krisenland heimzukehren, das ihre Heimat ist: Italien.
Der Seniorchef schrieb einen flehenden Brief an Außenminister Franco Frattini. Der bot an, die Artisten auszufliegen. Die Belluccis lehnten ab. Ihre Tiger, Pferde, Ponys, ihre Kamele, Zebras und den einsamen Elefanten in Syrien sich selbst zu überlassen – das hätte den Verlust jeglicher Zirkusehre bedeutet. Bellucci senior setzte einen dramatischen Appell ab, die italienischen Medien berichteten nun von dem Zirkus im Bürgerkrieg. Minister Frattini knickte ein, Ende Mai 2011 wurde der Zirkus mit einem Schiff evakuiert, für 70 000 Euro auf Staatskosten ging es nach Hause. Vorerst.
Pause, Auftritt Bondoa. Für vierzig ägyptische Pfund – etwas mehr als vier Euro, den Tageslohn eines Landarbeiters – kann man sich mit dem Löwenbaby fotografieren lassen. In Europa käme man sofort in den Knast, sagt Bellucci, wenn man Menschen in die Nähe von Raubtieren ließe, die nur mit einer Leine gesichert sind. Aber er ist auf den Italo-Ägypter angewiesen, der sein Geschäft mit den Fotos macht. Er hilft dem Direktor auch mit der Organisation. Und Hilfe braucht der viel.
In Ägypten gibt es fünf Millionen Beamte, rund zwanzig Prozent der Arbeitnehmer. Ihre Gehälter sind lächerlich niedrig. Dass sie deshalb jede Gelegenheit nutzen, ihren Lohn aufzubessern, hat Bellucci in den letzten zwei Jahren erfahren. Manche Beamten wollen 25 Prozent der Einnahmen, wenn sie eine Genehmigung ausstellen. Andere erfinden immer neue Vorschriften, zum Beispiel die Pflicht, ein Feuerwehrauto zu mieten. Das tut Bellucci jetzt. Der Löschzug, der abends vor dem Zelt steht, hat aber nicht mal eine Pumpe dabei.
Selbst schuld, könnte man meinen. Wäre der Zirkus doch in Italien geblieben, die Leute dort könnten ja auch Ablenkung gebrauchen angesichts der politischen und wirtschaftlichen Dauerkrise. Doch das Geschäftsmodell des Zirkus funktioniert dort nicht mehr, schon wegen der Fixkosten. In Syrien kostete der Liter Diesel zehn Cent, in Italien das 16-fache. Nach der Schiffspassage blieben einige ihrer Tiere wochenlang in Quarantäne, der Zirkus war einer Hauptattraktion beraubt. Nach zwei Monaten in der Heimat, in denen sie nur Verluste machten, fiel dem Junior ein, was der Vater an der Reling gesagt hatte, als das Schiff auf dem Heimweg Zwischenhalt im ägyptischen Alexandria machte. »So eine große Stadt, so ein großes Land. Und komplett unberührt.«
Also beschlossen die Belluccis, es in einem Land zu versuchen, in dem die Revolution nicht gerade erst beginnt, sondern schon am Laufen ist. Die Tiere blieben daheim in einem kleinen Safaripark, das Equipment wurde in Container gepackt. Alexandria erreichten sie am 16. August 2011, mussten dann zwei Monate auf dem Hafengelände campieren, bis alle Genehmigungen da waren und sie 200 000 Dollar Kaution beim ägyptischen Zoll hinterlegen durften. Dass sie die jemals wiedersehen werden, ist unwahrscheinlich.
Nach zwei Jahren Tournee durch Ägypten ist der Name Bellucci dort ein Markenbegriff. Keine schlechte Werbung war das Gastspiel an dem Platz, der auf der Marschroute der Demonstranten lag, die vor einem Jahr gegen die Militärherrschaft protestierten. Zwar blieben die Vorstellungen damals leer, aber tagelang zogen Zehntausende Menschen an dem Zelt vorbei und guckten neugierig.
Christian Belluccis Traum ist es, den Familienzirkus wieder so groß zu machen, wie er einmal war. Weil das alte Modell nicht mehr funktionierte, dachte er sich ein neues aus. Sein Zirkus, der vor drei Jahren notgedrungen die Heimat verließ, soll jetzt ein Unternehmen werden, das die Globalisierung auf seine Weise nutzt. Das dorthin geht, wo noch nicht jeder ein Smartphone besitzt, auf dem er amerikanische Serien aus dem Internet guckt, wenn gerade nichts im Fernsehen läuft. Dorthin, wo Artisten, Clowns und Tiere noch Sensationen sind. Inzwischen fragen andere italienische Zirkus-Unternehmen bei Bellucci nach, wie er das denn alles so macht. Ob es nicht auch noch für sie ein wenig Platz gebe, da in der Dritten Welt.
Der »Globe of Death« wird in die Manege gerollt, eine Kugel aus Eisengittern von vier Metern Durchmesser. Gleich werden sich fünf Motorradfahrer darin einsperren lassen und im Kreis rasen, bis die Fliehkraft stärker ist als die Schwerkraft. Die Motoren heulen auf. Das Publikum jubelt und wird gleich darauf ganz still, als der erste Fahrer zum Looping ansetzt. Das große Finale.
Christian Bellucci legt sein Handy neben das Mischpult. Als Bildschirmschoner leuchtet die Zeichnung eines Zirkuszeltes, Grün-Weiß-Rot. Mit dem neuen Zelt will er immer dann in Asien gastieren, wenn die ägyptischen Arbeiter mit Umzug und Aufbau beschäftigt sind. Auch dort gibt es viele Menschen, die von Kriegen und Umbrüchen gebeutelt nach Unterhaltung gieren. Um die Mentalität kennenzulernen, will Bellucci erst einmal in Malaysia und Indien Erfahrungen sammeln. »Keine Krisenländer. Aber Neuland.«
Etwas Besseres als den Tod findest du überall, sagte der Esel, bevor er ins Ungewisse zog.
»When you fall, get up, oh oh«, singt Shakira, als Direttore Bellucci die Regler für die Schlussmusik nach oben reißt.
»Waka, waka, hey – this time for Africa.«
Fotos: Daniel Etter