Die Familie Halak fiel auf im griechischen Flüchtlingslager von Lavrio, im September vor einem Jahr. Die Fotografin Tanja Kernweiss und ich reisten durch Griechenland um über das oftmals erbärmliche Leben geflüchteter Familien zu berichten, meist aus Syrien stammend, die auf die Weiterreise nach Zentraleuropa warteten. In vielen Fällen hatten sich die Familienväter zuerst auf diesen gefährlichen Weg gemacht und waren bereits angekommen in verheißungsvolleren Ländern, oft genug in Deutschland. Doch die Familienzusammenführungen gingen nur sehr langsam voran. In den Flüchtlingscamps herrschte Erschöpfung, Verzweiflung, Wut.
Die Halaks aus dem syrischen Idlib aber, Mutter Ahed, die Tochter Badra, 9 Jahre alt, die Söhne Ismael, 10, Mohammad, 6, und Moustafa, anderthalb, empfingen uns in ihrer morschen Holzhütte ganz aufgekratzt, fast schon euphorisch. Badra führte uns immer wieder vor, dass sie auf Deutsch bereits bis zehn zählen konnte.
Es waren nur noch wenige Tage bis die Familie nach Berlin fliegen würde, wo sie nach über einem Jahr endlich ihren Ehemann und Vater, Ahmed Halak, wiedersehen würden. Der Antrag der Halaks war genehmigt worden. Es war ein Wunder, an das sie nicht mehr geglaubt hatten. Es war das Happy End einer langen Reise.
Für uns war es der Beginn einer Recherche über das Ankommen in Deutschland. Wir haben die Familie Halak seit diesem ersten, zufälligen Treffen in Griechenland regelmäßig besucht, in ihrem neuen Leben, in der Hansestadt Stralsund.
Dort, in Mecklenburg-Vorpommern, war Ahmed Halak nämlich gelandet, alleine zunächst. Eine Woche vor der lange ersehnten Ankunft seiner Frau und Kinder wurde bei der Landtagswahl die AfD mit 20,8 Prozent zur zweitstärksten Partei. Deutschland stritt erbittert über die sogenannte Willkommenskultur, als Ahmed Halak darauf wartete, seine Familie willkommen zu heißen.
Die Stadt, in der sie zunächst ein Apartment in einem stillgelegten Hotel bezogen, ist eine symbolträchtige: Stralsund liegt bei der Bundestagswahl in dieser Woche im Wahlkreis 15, das ist Angela Merkels Wahlkreis, in dem sie am Sonntag wieder als CDU-Direktkandidatin antritt, und in dem sie von rechten Hetzern besonders laut angegriffen wird. Ausgerechnet dort, wo nun noch direkter als anderswo über das »Wir schaffen das« der Bundeskanzlerin abgestimmt wird, trat die Familie Halak ein Jahr vor dieser Wahl an, den Beweis für Merkels Ausspruch aus dem Flüchtlingssommer 2015, der bis heute nachhallt, zu liefern. Würden sie es schaffen, in diesem fremden Land, gemeinsam, nach dem schweren Verlust der Heimat, nach der langen Trennung?
Unsere Reportage über die Halaks, die nach Merkelland kommen, erzählt von vielen kleinen Rückschlägen, aber auch von vielen kleinen Hoffnungsschimmern. Von Hilfsbereitschaft und Mut, aber auch von Abweisung und Angst. Sie erzählt davon, wie sich eine Familie verändert, wenn nichts mehr so ist, wie es mal war. Und von der großen Leere, nachdem man etwas so Großes wie die Flucht nach Deutschland geschafft hat und plötzlich an den kleinsten Dingen scheitert.
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Foto: Tanja Kernweiss