Vom Zustand des Straußes hängt ab, ob vorbeikommende Kollegen auf seinen Anblick mit »Ach, hast du Geburtstag?« reagieren - oder mit »Ach, wann hattest DU denn Geburtstag?«
Im Blumenstrauß, den eine Freundin unlängst am Morgen ihres Geburtstages, es war ein Montag, zwischen Schmierzetteln und Krümeltellern auf ihrem Schreibtisch vorfand, steckte eine Distel. Es handelte sich um eine Kugeldistel, so viel wusste die durchaus den Pflanzen zugeneigte Freundin, Echinops sphaerocephalus, das Ding schimmerte blassblau und wurde von zwei erschöpften Hortensien flankiert, die wiederum von reichlich Grünzeug gestützt wurden. Das viele Gestrüpp konnte kaum vom Mangel an Blüten ablenken, der in diesem kleinen Bukett herrschte, aber vielleicht war das Arrangement auch mal ansehnlicher gewesen, vor all jenen Stunden, die der Strauß bereits im Energiesparlicht der Arbeitsplatzwüste verbracht haben mochte. Das Packpapier des Floristikunternehmens war nicht entfernt, nur achtlos heruntergeschält worden, und so war ein Papierrand entstanden, der aus der Vase quoll und an dem ein Tütchen mit der Aufschrift »Schnittblumennahrung« baumelte. Auf dem Post-it-Zettel, der neben der Vase auf dem Tisch klebte, stand: »Bitte anschneiden! Halten dann länger! LG«
»Eine Frechheit«, sagte die Freundin.
Dabei war ihr Blumenstrauß nur unwesentlich schäbiger als jeder andere Blumenstrauß, der in dieser Abteilung wie in vielen Abteilungen des Landes anlässlich eines ersten Arbeitstages, eines Jubiläums oder – dann besonders – anlässlich eines Mitarbeitergeburtstages verschenkt wird. Das Schönste an diesen Bürosträußen ist, dass kein Kollegengeburtstag vergessen wird, jedenfalls nicht lange, da jedes Geburtstagskind mit diesem Strauß für einige Zeit markiert wird: »Ach, hast du Geburtstag?«, fragt man, wenn das Wasser in der Vase noch klar ist, »Ach, hattest du Geburtstag?«, wenn daraus eine bräunliche Suppe geworden ist, und »Ach, wann hattest DU denn Geburtstag?«, wenn kein Wasser mehr in der Vase ist, sondern nur noch ein Blumenskelett auf dem Kollegenschreibtisch steht. So endet es nämlich meistens mit diesen Bürosträußen, die vom beschenkten Arbeitnehmer ebenso lieblos behandelt werden, wie sie vom Floristen gesteckt wurden, sie verwesen langsam und nicht ohne zu miefen, mehr über Wochen als über Tage, bis schließlich eines Feierabends eine Reinigungskraft Gnade walten und den Strauß verschwinden lässt. So sind die Bürosträuße eines Morgens einfach weg, was nur stimmig ist, da sie auch eines Morgens einfach da gewesen sind.
Überreicht werden die Bürosträuße nämlich nur selten, sie werden meist einfach abgestellt, und auch wenn man an der Handschrift auf dem Post-it-Zettel unzweifelhaft die Assistentin der Vorgesetzten erkennt, so steht hinter den Bürosträußen doch kein menschlicher Absender, nicht die Kollegen zusammen, nicht der Chef allein, es ist die Firma, die dankt, das System im besten Kafka’schen Sinne, das mit einem Blumenopfer, mit aus der Erde gerupftem Leben, signalisieren will, es habe zur Kenntnis genommen, dass der Arbeiter noch lebt. Das ist ein routinehafter Vorgang, auch im Fall der Freundin war mutmaßlich bereits am Freitag zuvor die Assistentin des Vorgesetzten von einer Outlook-Terminerinnerung über den anstehenden Geburtstag informiert worden und hatte daraufhin dem Blumenhändler den Auftrag erteilt, für zehn Euro, denn mehr durfte es nicht kosten in diesen dürren Zeiten, etwas Saisonales zusammenzuschnippeln, was einem Blumenstrauß ähnelte.
Aber das war es nicht, was die Freundin entsetzte, es ging ihr um diese Kugeldistel. »Eine Distel!«, sagte sie. »Was will man mir bitte schön mit einer Distel sagen?« Kratzig, spröde, ein Unkraut, das man nicht loswird. Ihr Rechner war noch nicht hochgefahren, weshalb sie nicht sofort genau nach »Distel Blumensprache« googeln konnte, aber sie erinnerte sich, noch bevor sie ihren Mantel ausgezogen hatte, dass im Kinderbuch Pu der Bär die Distel das Leibgericht des depressiven Esels Eeyore war. Sie nahm ihren Geburtstagsstrauß, dieses unpersönlichste aller persönlichen Geschenke, persönlich. Und wenn man genauer darüber nachdenkt, hatte sie recht, da ein Büroblumenstrauß etwas außerordentlich Wichtiges ist. Denn mit den Blumen im Büro ist es im Grunde nicht anders als mit den Blumen in der Liebe: Das Schenken ist eine genormte, einfallslose Geste, aber schlimmer als Blumen sind nur keine Blumen. Oder die falschen.
Wie im Beziehungsleben sind die Blumen im Arbeitsleben dazu da, dem Beschenkten wenigstens einmal im Jahr zu sagen, was man nicht ständig sagen kann: Ja sicher, ich liebe dich, ja natürlich, ich bin froh, dass du hier tätig bist. Wie der Liebende mit seinen Rosen hofft auch der Blumen schenkende Arbeitgeber, etwas für die Beziehung zu tun, er hofft, dafür auch zurückgeliebt zu werden. Außerdem kann der Schenkende mit den Blumen bei Bedarf wie in der Liebe (Seitensprung) auch im Büro (Gehaltserhöhungsstopp) sein schlechtes Gewissen beruhigen. Und wie der Angehimmelte will sich auch der Angestellte gewollt und gemeint fühlen, beschützt und firmenzugehörig in diesen bindungslosen Zeiten, deswegen erfreut er sich ja auch an den kleinsten Bürosträußen (und zerbricht sich den Kopf über eine Distel).
Anders als in der Liebe gibt es in der Arbeit jedoch auch Blumen, wenn alles vorbei ist. Vor einiger Zeit stand in der Zeitung: »36 Jahre lang, also mehr als
die Hälfte ihres Lebens, hat sich die 71-jährige Magdalena Bretschneider um die Schüler der Volksschule Waldram gekümmert, davon die vergangenen 14 Jahre in der Mittagsbetreuung der Fahrschüler. Durch Änderungen im Busverkehr ist diese seit einigen Wochen nicht mehr notwendig, weshalb Wolfratshausens Bürgermeister Helmut Forster Bretschneider nun in den Ruhestand verabschiedet und ihr dabei seinen herzlichen Dank ausgesprochen und einen Blumenstrauß überreicht hat.« Ein halbes Leben schuften, und am Ende gibt es einen Blumenstrauß. Noch trostloser, jedenfalls aus der Sicht von Christian Wulff und Roland Koch, ist ein Foto von Christian Wulff und Roland Koch, die, einer links, einer rechts, neben Angela Merkel stehen. Das Bild wurde vor sieben Jahren im Konrad-Adenauer-Haus aufgenommen, am Montag nach den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen. Wulff und Koch hatten ihre Wahlen gewonnen, aber viele Wählerstimmen verloren, sie wussten nun, dass noch viele Merkeljahre folgen würden. Und da sowohl Gewinner als auch Verlierer mit Blumen bedacht werden, überreichte die Bundeskanzlerin und Parteichefin den beiden langjährigen Mitarbeitern jeweils ein üppiges orangefarbenes Blumenbukett, das die Herren gequält betrachten. Merkel grinst und formt ihre Raute. Nie ist die tiefe Demütigung, die sie den beiden Männerbündlern zugefügt haben muss, sichtbarer geworden. Ein Blumenstrauß kann auch ohne Distel stechen.
Vor einigen Jahren – das Schenken im Büro ist ein mäßig erforschtes Feld – ließ ein großes Onlineportal für Jobanzeigen eine repräsentative Umfrage durchführen: »Geburtstag im Büro – was wünschen Sie sich von Ihrem Chef?« Eine Mehrheit von 39 Prozent wünschte sich »eine aufrichtige Gratulation«. Und hier muss man mal die Perspektive wechseln: Vielleicht gibt es im Büro kein aufrichtigeres Geschenk als einen Blumenstrauß? Anders als ein übergriffiges personalisiertes Kollegengeschenk, ein Paragliding-Gutschein oder etwas Unnötiges für die Küche wahrt der Büroblumenstrauß ja die Balance zwischen Erwerbs- und Privatleben, er ist maximal nett, er suggeriert echte Gefühle und wahrt zugleich durch seine Unpersönlichkeit die professionelle Distanz. Der Bürostrauß ist also trotz aller Unzulänglichkeiten das ideale Arbeitsgeschenk. Und dennoch ist er stark bedroht.
Laut Floristenverband gingen die Firmenaufträge in den vergangenen Jahren zurück. Schuld seien Sparmaßnahmen. Unternehmensberater sagen zwar, dass
sie ihren Kunden stets davon abraten, in Sparrunden die Geschenkpauschalen anzugehen, da noch kleinere Blumensträuße verheerend für die Mitarbeitermoral sein könnten, und trotzdem: Mehrere große Unternehmen bestätigen, dass sie immer weniger Blumensträuße verschenken. Ja, heißt es auch bei Fleurop, dem weltweit führenden Blumenvermittlungsservice, Firmen geben zu Krisenzeiten weniger für Blumen aus (anders als Privatpersonen, die bei schlechter Wirtschaftslage mehr Blumen kaufen – niemand weiß, warum). Krisensicher ist der Bürostrauß vielleicht nur bei Volkswagen, wo man schon vor mehr als fünfzig Jahren aus Kostengründen eine eigene Gärtnerei eingerichtet hat, in der jährlich 25 000 interne Blumenaufträge eingehen.
Aber es ist ja nicht nur die Sparwut, die dem Büroblumenstrauß gefährlich wird. Selbst in Firmen, die am Mitarbeitergeburtstagsgeschenk festhalten – und darunter sind auch solche, denen es wirtschaftlich schon besser ging –, werden offenbar immer weniger Blumen verschenkt. Stattdessen immer beliebter: eine Schokoladentafel mit Firmenprägung. Oder, ein noch erschreckenderes Beispiel: ein 15-Euro-Einkaufsgutschein für Karstadt. Immerhin: Für Karstadt, das mag auch ein Akt der Solidarität sein, ein Arbeitnehmer bekommt zu seinem Geburtstag einen Einkaufsgutschein, mit dem er andere Arbeitsplätze retten kann – aber ein Unternehmen, das einen Einkaufsgutschein verschenkt, hat ungeachtet dessen die Schönheit eines leptosomen Zehn-Euro-Blumenstraußes nicht erkannt, dieses Unternehmen hat nicht verstanden, wie wichtig für einen Mit-arbeiter allein die Illusion sein kann, der Arbeitgeber könnte ihm etwas Poetisches wie »Deine Reden und dein Betragen verwundern mich tief« zuflüstern, das nämlich, so hat die Freundin dann herausgefunden, meint die Distel in der Sprache der Blumen.
Mitarbeit: Sina Pousset