Mit niemandem wird so heftig Schluss gemacht wie mit dem Weihnachtsbaum. Eben noch stand er geliebt, geschmückt und besungen im Mittelpunkt des Heiligabends – und zack, liegt er drei Tage später am Straßenrand, bepinkelt vom Nachbarshund. Oder zur Zerstörung freigegeben als Kratzbaum im Löwenkäfig. Oder, noch trister, er baumelt monatelang kopfüber und verdurstet von einer Eisenbahnbrücke. Dabei hat er doch gar nichts falsch gemacht, nur ein bisschen genadelt und im Weg gestanden. »Die werden eiskalt abserviert«, findet der Berliner Fotograf Nikita Teryoshin, dessen Bilder wir hier zeigen. Dieser Kontrast interessierte ihn: »Ein kurzer, fast pompöser Höhepunkt, und dann fliegst du zum Fenster raus«.
Die verstoßenen Tannenbäume fielen Teryoshin erst auf, als ein russischer Freund ihn darauf ansprach. Der war aus Moskau vor Putins Krieg geflohen und wunderte sich, dass in Berlin überall Weihnachtsbäume herumlagen. In Moskau würden die sehr geordnet und flink abgeholt. Sind die Tausenden Weihnachtsbäume, die sich in Berlins Straßen sammeln, also sogar ein Zeichen lebendiger Demokratie, wo das Müllmachen keine argen Strafen bedeutet? Oder doch nur Zeichen von Verlotterung? Einer der ersten Bäume, die Teryoshin fotografierte, steckte in einem gesprengten Tresor, den Diebe zurückgelassen hatten – dit is Berlin, wa?
Aber die übrigen Bilder kennt man so ja auch aus Bremen, Stuttgart oder Kiel: diese »Wird schon wer wegräumen«-Tannenbäume. 30 Millionen soll es in Deutschland geben – pro Jahr. Und stimmt ja, irgendwer macht die irgendwann weg. Und sei es die Jugendfeuerwehr, gegen ein kleines Taschengeld. Wobei Nikita Teryoshin eine interessante Alternative gefunden hat: »Ich habe den Abholtermin 2023 irgendwie verpennt, und jetzt steht der Weihnachtsbaum seit einem Jahr auf meinem Balkon. Den könnte ich fast wieder verwenden, er ist zwar braun, aber die Nadeln sind erstaunlicherweise noch nicht abgefallen.«
Recycling aus Verplantheit, auch ein Weg. Ein Landwirt aus Zorneding bei München bietet Tannenbäume aus dem Topf an, die nach Weihnachten wieder aufgepäppelt und eingepflanzt werden. Das Start-up »Keihnachtsbaum« verkauft einen nachhaltigen Christbaum, bei dem an ein Holzgerüst nur frische Tannenzweige gesteckt werden, für die man keinen Baum fällen muss.
Bei Nikita Teryoshins Oma steht ein kleiner Kunststoff-Tannenbaum. »Sieht eigentlich gar nicht so schlecht aus«, sagt er.