Nachts nackt im Meer schwimmen fühlt sich an, wie Sex im Kino aussieht

Seine Sommerferien hat unser Kolumnist früher immer am selben wilden Strand in Griechenland verbracht – und dort viel übers Leben und die Liebe gelernt. Jetzt fährt er mit seinen Töchtern dorthin, noch lieber aber hätte er jemand anderen dabei.

Liebe zukünftige Lieblingsfrau,

ich habe die Sommerferien gebucht, zumindest den Teil, den ich mit Tochter Nummer eins und Nummer zwei verbringen werde, auf der griechischen Insel, auf der meine Großeltern sich kennengelernt haben und auf der meine Eltern die warme Hälfte des Jahres verbringen, seitdem sie in Rente sind. Ich habe, typisch Migrantenkind, viele Sommer hier verbracht, an dem wilden Strand, wo an windstillen Tagen das Wasser glasklar und glatt wie Öl ist, während dich an windigen die Brandung herumschleudert wie in einer Waschmaschine, bevor sie dich auf den Sand spuckt – wenn du es nicht schaffst, dich lang auszustrecken wie ein Surfbrett, denn dann legt sie dich am Strand so ab, wie man ein Kind im Bett ablegt, das im Auto eingeschlafen ist nach einem langen, aufregenden Tag. Und wenn die Sonne hinter den Bergen versinkt, sammeln die Kinder Treibholz und wir machen ein Feuer. Wie damals, als wir Jungs mit unseren Gitarren im flackernden Schein der Flammen 923 Mal pro Abend das Solo von Sultans of Swing geübt haben, was manche der Mädchen wahrscheinlich die ersten drei Male noch beeindruckend fanden, die übrigen vielleicht ein Mal. Und dann, wenn die Sterne am tiefschwarzen Himmel leuchteten wie die fernen Lichter auf einer einsamen, nächtlichen Autobahn, sind wir ins Meer gesprungen, das inzwischen wärmer war als die Luft, am liebsten nackt, weil nachts nackt schwimmen sich so anfühlt, wie Sex im Kino aussieht.

Ich springe immer noch nachts ins Meer, allerdings nicht mehr nackt, weil das Nummer eins und Nummer zwei wahnsinnig peinlich wäre. Das ist einigermaßen lustig: Während einem selbst mit den Jahren immer weniger peinlich ist, wächst das Peinlichkeitsempfinden in den eigenen Nachkommen, so als gäbe es ein bestimmtes Level, das in der Familie unbedingt gehalten werden muss, und was man selbst abgibt, bürdet man dadurch automatisch dem Nachwuchs auf. Aber so ist es, was soll ich machen?

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Wir haben noch nie wirklich über Sex gesprochen, du und ich, und ich weiß nicht, ob man das überhaupt muss, aber ich finde, man sollte es können. Es ist einer jener Widersprüche der Problemzone Mensch, dass es umso schwieriger ist, über etwas zu sprechen, je wichtiger es ist und je näher man sich steht. Manchmal habe ich den Eindruck, es ist leichter, mit einem wildfremden Menschen zu schlafen als mit einem Lieblingsmenschen ehrlich über Sex zu sprechen. Gerade weil Sex wichtig ist, auf tausend Arten – und die schönste davon ist, wenn er Ausdruck ist von etwas, das man mit Worten nicht sagen kann, weil selbst die mächtigsten Worte nur ein Streichholz sind gegen das Feuerwerk, das mein Herz sprengt, wenn unsere Blicke sich treffen. Wenn du lächelst. Wenn du mich berührst.

Ich werde an dich denken, wenn ich an dem wilden Strand sitze und die Sonne hinter den Bergen verschwindet und das Mondlicht einen silberne Straße auf das Meer legt. Wenn wir ein Feuer anzünden, Bier trinken und zuhören, wie die Brandung schwächer wird bis zu dem Moment, an dem der Wind die Richtung wechselt, weil die Luft über dem warmen Meer plötzlich genauso schnell aufsteigt wie über dem kühler werdenden Sand des Strandes. Für eine kurze Zeit wird das Meer still, und ich werde hinein waten und mich ausgestreckt auf dem Rücken treiben lassen und zu den Sternen blicken, und es wird sich anfühlen, als wärst du da, wenn ich mir vorstelle, dass du möglicherweise gerade irgendwo auf genau denselben Stern blickst wie ich.

Wir werden schwimmen, irgendwann, nachts und nackt, und ein Feuer anzünden an einem wilden Strand, und ja, ich möchte, dass das eine Metapher ist für alles, was noch kommt. Und ja, es ist mir auch ein bisschen peinlich, darüber zu reden. Ich mach das nur, weil es wichtig ist.

Aber vielleicht könntest du es mir auch einfach zeigen?

Foto: Stephanie Pfaender