Liebe zukünftige Lieblingsfrau,
es ist ein merkwürdiges Jahr: Alle trennen sich oder heiraten. Wahrscheinlich liegt es daran, dass die meisten Menschen in meiner Filterblase ungefähr so alt sind wie ich. Wer mit etwa 30 geheiratet und Kinder bekommen hat, der läuft genau jetzt in die erste große Krise, und wer damals nicht geheiratet hat, für den wird es jetzt Zeit.
»Du hast ja eh alles richtig gemacht«, hat mir neulich ein Freund gesagt, als wir abends unterwegs waren, »du hast Jahre lang solide Bundesliga gespielt.« Ich war mir nicht sicher, ob ich verstanden hatte, was er meinte. »Du meinst, weil ich verheiratet war?« Er nickte. »Das ist doch der große Traum: Profifußball! Oder eben: heiraten! Hast du gemacht. Ist nicht das aufregendste Leben, aber es ist Bundesliga.« Er stockte kurz, als er mich ansah, und für einen Moment glaubte ich, er sähe das Unverständnis in meinem Gesicht, aber wenn, dann deutete er es falsch. »Ich wollte immer Champions League spielen«, sagte er, »einmal gegen Real. Gegen Barca. ManU. Aber der Mist ist, danach scheidet man einfach immer aus.« Er war immer ein überzeugter Junggeselle, und er wirkte immer glücklich damit, aber ich schätze, irgendwann kommen jedem mal die Gedanken.
»Weißt du«, antwortete ich, »ich hatte nicht nur das Gefühl, ich hätte Champions League gespielt. Ich hatte das Gefühl, ich hätte das verdammte Ding gewonnen.« Er sah mich an als wollte er sagen: »Also bitte«, mit Betonung auf dem »bitte«, so als sollte ich mal nicht albern werden. »Jetzt kannst du Champions League spielen«, rief er, ein bisschen zu laut, und zeigte auf das Mädchen hinter dem Tresen, das mit großen dunklen Augen und kunstvoll verwuschelten Haaren aussah, als würde sie, wenn sie nicht arbeitete, in der Morgensonne auf ihrer Matratze sitzen und mit einer Gitarre auf dem Schoß und einer Gitanes im Mundwinkel melancholische Lieder schreiben. »Da«, rief mein aufgeregter Freund, den Finger ausgestreckt, »Paris Saint-Germain!« Er sah sich um und sah ein Mädchen in einem kurzen Rock und einer Bikerjacke. »Und da …« Er stockte kurz. Ihre Strumpfhose war zerrissen und sie hatte einen Ring in der Nase. »Na ja«, sagte er dann, »Liverpool oder so.« Er sah mich triumphierend an. »Ich bin mir ziemlich sicher«, sagte ich, »dass deine Fußballmetapher überhaupt keinen Sinn ergibt.« Jetzt zeigte er mit dem Finger auf mich. »Doch«, sagte er, »dochdochdoch! Du hast schon Kinder. Die bleiben für immer. Du hast diese komische dünne Stelle an deinem Finger wo dein Ring war, während du Ehefett angesetzt hast…« Ich starrte auf meinen Ringfinger, aber ich trage seit einiger Zeit wieder einen Ring, weil ich mich nackt gefühlt hatte ohne. »Woher weißt du das«, fragte ich, aber er ließ sich nicht beirren. »Hast du alles schon. Und jetzt kannst du alles streichen, was scheiße ist an einer Beziehung. Die ganzen Spiele gegen Ingolstadt und die Pokalvorrunde gegen Rotweiß Essen, und nur noch Champions League spielen!«
Eine Blonde drückte sich an mir vorbei an den Tresen und lächelte mich entschuldigend an, als ich mit dem Barhocker rückte, um ihr Platz zu machen. Mir gegenüber reckten sich seine Arme zum Himmel. »Ajax Amsterdam!« Ich starrte ihr auf den Rücken, wahrscheinlich zu lange, während ich darüber nachdachte, warum es sich für mich so anders anfühlt als für ihn. »Du kannst nicht allein eine Mannschaft sein«, sagte ich, aber ich glaubte selbst nicht, dass das irgendwas erklärt. »Du hast alle Zeit der Welt«, sagte mein Freund, »aber falls ich nochmal will, wird es langsam Zeit.«
Ich finde das die schlechteste Formulierung: »Es wird Zeit«. Es heißt, Zeit verginge schneller, wenn man glücklich ist, aber nach meiner Erfahrung stimmt das nicht. Zeit ist wie ein Angestellter, ohne sinnvolle Beschäftigung geht sie früher nach Hause und ist einfach weg. Erst wenn man denkt, ein Tag sollte 25 Stunden haben, hat man die anderen 24 wirklich genutzt. Und ich will sie so gerne nutzen. Diese Stunde, die ich hier sitze und mich in Metaphern unterhalte, wäre voller, wenn ich dich gleichzeitig lieben könnte, egal, wo du gerade bist.
Nimm dir bitte Zeit. Meine.
Foto: Stephanie Pfaender