Wie siehst du aus, wenn du neben mir aufwachst?

Alle zwei Wochen ist unser Kolumnist morgens damit beschäftigt, ein liebevoller Papa zu sein. Dazwischen hätte er noch Zeit: für ein paar neue Morgenrituale.

Liebe zukünftige Lieblingsfrau,

in jeder zweiten Woche wache ich morgens regelmäßig neben Nummer zwei auf, die nachts herübergetapst kommt und sich zu mir ins Bett legt. Wenn sie nicht abends schon bei mir einschläft. Sie darf das, wann immer sie will. »Niemand schläft gern allein«, habe ich ihr gesagt, »außer deiner Schwester vielleicht. Ich jedenfalls nicht. Alleine schlafen ist Blödsinn.« Und so ist es auch.

Um Viertel nach sechs klingelt an Schultagen der Wecker, dann habe ich eine Viertelstunde, um die Kaffeemaschine anzuwerfen und alles andere zu tun, das mich in so etwas wie einen Wachzustand versetzt, eine Wach-genug-Zustand zumindest, denn das ist nicht meine Zeit. Dann wecke ich Nummer eins als erste, mit einem Lied. Ich werde nicht sagen, welches Lied, das ist ein Geheimnis zwischen uns, aber es ist furchtbar genug – und ich singe schlecht genug, um diese Zeit nochmal doppelt – um sie hochschrecken zu lassen. Ich hoffe, irgendwann in vielen Jahren, wenn sie selbst einmal Kinder weckt, erinnert sie sich daran und lächelt.

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Es sind Rituale, die wir jeden Morgen abspulen: Nummer eins schlurft an den Küchentisch, oft in eine Decke gehüllt, während ich ihr Brot toaste und die ersten Nachrichten im Radio höre. Nummer zwei kommt ein bisschen später verwuschelt und wie gerade vom Himmel gefallen für eine Minute auf meinen Schoß, bevor sie sehr langsam den Tag damit beginnt, sich in ihr Zimmer zu verziehen und zu einem Hörspiel anzuziehen. Eine von beiden sucht immer fluchend bei der anderen nach der Haarbürste, während ich ein Schulbrot schmiere. Nichts daran ist aufregend. Und ich vermisse jede Sekunde dieser spinnwebenzart beginnenden Tage, wenn ich in der nächsten Woche aufwache und nichts da ist, was mich aus dem Bett steigen lassen will. Rituale allein kommen mir vor wie Denkmäler der Einsamkeit.

Ich weiß nicht, was unsere Rituale sein werden, wenn es irgendwann dazu kommt, dass wir morgens nebeneinander aufwachen und ich deine bettwarme Nase küsse, bevor ich aufstehe. Ob du viel redest morgens oder, wie ich, eher gar nicht, weil deine Gedanken noch zerknüllt sind und verstreut wie Socken auf dem Boden. Ob du Musik hören willst, wie ich, oder lieber gar keine Geräusche hörst, bis die Spinnweben sich zu einem halbwegs belastbaren Morgen verwebt haben. Was auch immer es ist, ich sehne mich danach.

Man muss sich im Leben entscheiden, ob es einem morgens gut gehen soll oder abends, sage ich immer dann, wenn sich jemand frühzeitig mit dem Hinweis verabschiedet, er müsse morgens früh raus. Aber eigentlich ist das ist Unsinn, weil selbst in verkatertem, grummeligem Schlafwandeln nach einer langen Nacht noch die Zärtlichkeit der Entscheidung steckt, es zu zweit zu erleben. Manchmal merkt man nur nicht, wie gut es einem geht.

Es liegt Sicherheit in diesen Ritualen, manchmal nur indirekt, so wie in den Radionachrichten, bei denen man schon nicht mehr zuhört, wenn als erste Meldung etwas über einen Streit um Steuersenkungen oder einen Unfall auf der A7 kommt, weil man weiß, dass nichts passiert ist, dass das eigene Leben explodieren lässt. Dass die Welt noch steht. Das reicht schon. Natürlich reicht es. Weil mehr gar nicht geht, als dass morgens die Sonne aufgeht und du neben mir liegst.

Ich werde möglicherweise den Impuls haben, zu singen. Aber keine Angst, ich stehe auf und mache das irgendwo, wo du mich nicht hörst. Ganz leise. Das könnte ein Ritual werden. Mein Denkmal dafür, dass du gleich vom Himmel fällst.

Michalis Pantelouris liest am 25. Juni 2017 in der Loretta Bar in München aus seiner Kolumne. Einlass ab 18.30 Uhr, der Eintritt ist frei.

Foto: Stephanie Pfaender