Liebe zukünftige Lieblingsfrau,
ich liege auf dem Sofa, Willy liegt auf meinen Beinen und schläft so niedlich, dass ich nicht aufstehen mag. Deshalb schreibe ich dir so, flach auf dem Rücken. Es ist ein Privileg meines Jobs, dass ich immer so arbeiten könnte, und ja, ich habe den Witz schon gehört, dass das hier auf Sankt Pauli jawohl keine Ausnahme ist, haha. Aber ich finde mich selbst merkwürdig, dass ich ein Tier nicht wecken mag, dessen Hauptbeschäftigung es ist, herumzuliegen und zu schlafen. Willy kommt langsam in ein gesetztes Alter, früher hat er im Garten so erfolgreich Vögel gejagt, dass ich den winzigen Flecken Grün hinter meiner Küche das Amselfeld getauft habe. Heute kommt er nur noch manchmal mit einer Maus an, aber er wirkt selbst überrascht dabei.
Willy ist nicht alleine. Er hat eine Gefährtin, eine Art jüngerer Schwester, falls er sie so sehen will, eine Freundin. Sie heißt Hummel, weil sie als ganz junges Kätzchen herumgesprungen ist als wüsste sie nicht, dass sie nicht fliegen kann, so wie Hummeln eben, die angeblich von ihrem Körperbau her gar nicht zum Fliegen geeignet sind und es nur können, weil ihnen ihre Unfähigkeit nicht bewusst ist. Sie tun es einfach trotzdem. Ich habe ein Foto von dem Tag, als Hummel hier einzog, klein wie eine Fledermaus, und auf dem Bild steht sie vor dem genervten Willy auf den Hinterbeinen, die rechte Tatze hochgereckt, um dem riesigen Kater eine zu kleben, weil er sie blöd angemacht hat. Sie ist eine Kriegerin, bis heute, obwohl sie immer klein und dünn geblieben ist.
Sie haben sich aneinander gewöhnt, die beiden, und sie haben sich gegenseitig verändert. Erst durch sie hat Willy angefangen zu teilen, Platz und Aufmerksamkeit und sogar seinen Futterplatz. Manchmal putzen sie sich gegenseitig, und es bricht dir das Herz, weil es so süß ist. Und erst durch sie hat er übrigens angefangen, seine Krallen an allen Möbeln zu schärfen, außer dem Kratzbaum, den wir einzig zu diesem Zweck angeschafft und nach ein paar Monaten weggeschmissen haben, weil die beiden ihn komplett ignoriert und stattdessen den Ledersessel zerfetzt haben. Katzen halten sich nicht an deinen Plan.
Du wirst mich verändern, wenn du da bist, einfach dadurch, dass du da bist. Und ich dich. Wir werden Menschen sein, die wir ohne einander nicht geworden wären, und dabei hoffentlich ganz und gar wir selbst. Denn das ist die Balance, die man finden muss, sowieso immer und überall, aber vor allem dann, wenn man zu zweit eins ist: Für die eigene Veränderung offen zu sein, ohne sich aufzugeben, und die Veränderung des anderen anzunehmen, ohne sie zu erwarten. Manchmal habe ich den Eindruck, Frauen, die sich in einen Mann verlieben, beginnen am zweiten Tag, ihn verändern zu wollen, während Männer sich Frauen suchen und bald erstaunt feststellen, dass sie nicht für immer genau so bleiben wie am ersten Tag. So als wäre irgendetwas eine Reise wert, wenn man nur genau das erlebt, was man sich vorher ausgemalt hat. Aber wirklich Leben heißt, ein One-Way-Ticket zu buchen auf einem Schiff, von dem man nichts weiß, als dass es aus dem Hafen ausläuft und irgendwann untergeht.
Es heißt, Fantasie kenne keine Grenzen, aber in Wahrheit ist nur eins grenzenlos: Unsere Fähigkeit, die Fantasien des anderen zu übertreffen, sie aus der Bahn zu werfen, zu kitzeln, zu schütteln und immer wieder neu zu befüllen mit riesig großen und winzig kleinen Impulsen, die wir allein nie gespürt hätten. Es ist das einzige, was ich weiß über dich, und was ich sehe, wenn ich mir dich vorstelle: dass du meine Vorstellungskraft übersteigst.
Ich liege hier noch ein bisschen rum, zukünftige Lieblingsfrau, mit Willy ausgestreckt auf meinen Beinen. Du kannst kommen und das ändern, wenn du willst. Oder dich dazulegen. Ich muss nicht vorher wissen, was es ist, ich will nur dabei sein, wenn es passiert. Und morgen wieder, wenn es vielleicht ganz anders ist.
Das ist meine Fantasie. Bis du sie einreißt. Und ich fliegen werde, weil ich vergesse, dass ich es nicht kann.
Am 6. Juli 2017 liest Michalis Pantelouris um 19 Uhr aus seinen Kolumnen im Alten Zollamt Rothenburgsort in Hamburg.
Foto: Stephanie Pfaender