Liebe zukünftige Lieblingsfrau,
es wird alles besser. Oder, anders herum gesagt: Alles wird irgendwann besser. Was sich zuerst anfühlt wie ein einzelner brennender Schmerz, schwillt irgendwann ab zu einer Abfolge von kürzeren Feuern, immer noch heftig, aber die Pausen werden länger, bis man sie für den Normalzustand hält. Und dann trifft es dich wieder, noch viel härter, weil du die Vorsicht aufgegeben hast. Manchmal steht dein Schatten auf und schlägt dich nieder.
Wenn dir das passiert, musst du zu Ully und Martin gehen. Das ist der schlechteste Tipp, den ich dir geben kann, weil sie meine Nachbarn sind und wahrscheinlich nicht deine, aber es ist gleichzeitig der beste Rat, weil Ully und Martin finden: Wenn es einem gut geht, soll man Champagner trinken. Und wenn es einem schlecht geht, erst recht.
Letzte Woche war einer dieser Tage, an denen mein Schatten sich hinter mir erhoben hat und seine Arme um mich gelegt, bis ich das Gefühl hatte, ich könnte kaum mehr atmen, geschweige denn mich bewegen. Ich habe ihn dann mitgenommen und bin rübergerobbt. Schatten hassen Champagner.
Wir haben getrunken und geraucht und Martin hat eine Geschichte erzählt von seinem Militärdienst, wo sie Gewaltmärsche gemacht haben, und immer wenn ein Soldat nicht mehr weiter konnte und ausfiel, mussten die verbliebenen Marschierer den lebenswichtigen Teil seiner Ausrüstung zusätzlich tragen. Je besser man seine Aufgabe gemeistert hat, umso schwerer wurde währenddessen das Gepäck.
Ich erzähle dir das, weil ich mir Gedanken darüber mache, ab wann man eigentlich bereit ist für eine neue Beziehung. Manchmal denke ich, ich wäre soweit, und dann wieder gibt es Tage, da fühlt es sich plötzlich an, als hätte ich mit einem Mal mehr Gepäck dabei als gestern noch.
Ich habe die verschiedensten Theorien darüber gehört, wie lange es dauert, über eine Trennung hinwegzukommen, aber einig scheinen sich alle darüber zu sein, dass es Jahre dauert, manche sagen, es dauere genau so lange, wie die Beziehung gedauert hat, und das hieße, ich bräuchte noch zehn Jahre. Das macht mir einigermaßen Angst, wenn ich ehrlich bin. Andererseits bedeutet das ja nicht, man wäre die ganze Zeit lang nicht bereit, jemand anderen zu lieben. Gepäck muss einen nicht abhalten davon, vorwärts zu gehen. Und das Ziel ist deshalb nicht weiter weg, weil man es manchmal nicht sehen kann. Jeder Strand sieht aus wie eine Wüste, so lange man das Wasser nicht sieht.
Wir haben irgendwann getanzt, in der Küche, weil in der Küche zu tanzen sich anfühlt, als würde man mit dem Leben knutschen; als würde man seinen Schatten kitzeln, oder sich sagen: Ich kann vielleicht die Regeln nicht ändern, und es steht nunmal drin, dass man trauert um Dinge, die vergangen sind – aber ich kann die verdammten Regeln nehmen, sie in Gedichtform umtexten und als Polka singen.
Hast du Gepäck, zukünftige Lieblingsfrau? Wahrscheinlich ist die Frage doof, wir haben alle Gepäck, und am Ende müssen wir es selbst tragen, wenn wir im Leben vorankommen wollen. Aber dein Gepäck bestimmt nicht, wohin du gehst.
Und manchmal, wenn gerade gar nichts geht, kann ich vielleicht die lebenswichtigen Systeme für dich tragen, damit du dich kurz absetzen kannst. Und tanzen, in der Küche, wie Ully und Martin es seit 27 Jahren zusammen tun.
Ich stell Champagner kalt, zukünftige Lieblingsfrau. Für die Ankunft. Und den Rest erst recht. Denn manchmal ist das Ziel viel näher, als man denkt.
Am 6. Juli 2017 liest Michalis Pantelouris um 19 Uhr aus seinen Kolumnen im Alten Zollamt Rothenburgsort in Hamburg.
Foto: Stephanie Pfaender