Was bleibt von einer Liebe, wenn sie vorüber ist? Dieser Frage ging vor ein paar Jahren die kanadische Künstlerin Leanne Shapton nach, die einen Bildband über Gegenstände veröffentlichte, die nach der Trennung von der gemeinsamen Zeit eines Paares erzählen. Sie katalogisierte diese nüchtern wie für eine Auktion, was das Ausmaß der Tragödie einer zerbrochenen Liebe nur noch größer machte. Denn natürlich ist eine Kinokarte nicht einfach nur eine Kinokarte, wenn man weiß, was während jener Vorstellung geschah. Allerdings war die Liebesgeschichte reine Fiktion, von der Künstlerin ausgedacht, von Darstellern nachgestellt, die niemals, keinen einzigen Tag in ihrem Leben, ineinander verliebt waren, sodass auch die Trennung nur vorgetäuscht und keiner der gezeigten Gegenstände jemals irgendjemandem wichtig gewesen war. Es war ein wunderschönes Kunstprojekt über die Bedeutung, die Projektion Dingen verleihen kann, über die Magie der Erzählung, wenn man so will.
Die Bilder auf dieser und den vorhergehenden Seiten stammen aus einem Buch, das eine ähnliche Geschichte erzählt, nur: Diesmal ist alles wahr.
Sie hieß Anneliese, er Günter. Beide 1920 in Deutschland geboren, erlebten sie als junge Menschen den Krieg, heirateten kurz nach dessen Ende und bezogen 1958 in Hitzacker in Norddeutschland das Einfamilienhaus, in dem sie von nun an für den Rest ihrer Tage leben würden, ob sie das anfangs ahnten oder nicht. Anneliese starb 2013, Günter drei Jahre darauf.
Die Hamburger Fotografin Nele Gülck hat die Gegenstände, die sich zuletzt im Besitz des Paars befanden, mit dem Einverständnis der beiden dokumentiert. Von all den Dingen, die sich während dieser 67-jährigen Ehe ansammelten, hat Gülck etwa tausend fotografiert – alle mit der gleichen Wichtigkeit. So kommen auch Gebrauchsgegenstände zu ihrem Recht, etwa Wäscheklammern aus Holz, Küchenutensilien oder Badesachen, die man sich nur einmal ansehen muss, um genau zu wissen, wie sie rochen, während sie trockneten. Es sind Zeugnisse einer ganz normalen Ehe aus dem vorigen Jahrhundert, in der Männer und Frauen unterschiedliche Rollen innehatten, ohne damit zu hadern, was aus heutiger Sicht altmodisch anmuten mag, aber das zeichnet eine heutige Sicht ja aus.
Zu allen Gegenständen gibt es Informationen, die jedoch meistens nur das Offensichtliche konstatieren. »Fünf Zigarren in Plastiktüte« steht dann etwa bei fünf Zigarren in einer Plastiktüte. Die dazugehörigen Geschichten, und das ist das Faszinierende an diesem Projekt, muss sich der Betrachter selbst hinzudichten. Und so können es, je nach Betrachter, fünf Zigarren sein, die nicht geraucht wurden, weil sie für besondere Anlässe aufgespart wurden, die dann nie kamen. Oder sie wurden nicht geraucht, weil Günter Zigarren in Wahrheit nicht vertrug (und Anneliese den Gestank nicht) und man sie nur aufbewahrte, weil sie Mitbringsel von der Kubareise abenteuerlustiger Verwandter waren und man so etwas Besonderes nicht wegschmeißt. Oder sie wären noch geraucht worden, wenn nicht der Tod dazwischengekommen wäre. Jede Version ist richtig, weil es bei diesem Projekt um mehr geht als um Günter und Anneliese. Es geht um die Frage, was von uns übrig bleibt.
Zu den dokumentierten Gegenständen des Ehepaars Hillwig gehört auch eine Anstecknadel der NSDAP. Günter war Mitglied der Hitler-Jugend und Nachrichtenoffizier in der Wehrmacht. Diese Anstecknadel, warum und mit welchen Gefühlen Günter sie auch immer aufbewahrt haben mag, ruht gleichberechtigt neben anderen Anstecknadeln auf einem Wattekissen, eine erinnert an einen Besuch im Deutschen Bundestag. Anneliese war offensichtlich weniger offiziell unterwegs, ihr dienten zum Anstecken schmückende Broschen, die sie in einer leer gegessenen Marzipanschachtel aufhob. Ihre Perlenkette hatte in einer Plastikmuschel einen Ehrenplatz. Ob sie sie mal auf einer ihrer vielen Reisen trug, nach Budapest etwa, nach Norwegen oder Marokko? Und wie oft mag Günter seine geblümte Fliege der traditionsreichen Krefelder Marke Jacques Ploenes aus der Originalschachtel genommen und sich um den Hals gelegt haben? Man hört ihn beinahe aus dem Schlafzimmer rufen: »Anneliese, wo sind meine guten Schuhe?«
Anneliese wird da vielleicht gerade unten in der Küche gewesen sein und noch rasch die Spülmaschine ausgeräumt haben, wobei ihr einmal leider der Deckel der geliebten gestreiften Kaffeekanne aus der Hand gerutscht und zerbrochen war. Er wurde durch einen nicht halb so schönen weißen ersetzt. Ging auch.
Fotos: Nele Gülck