Obwohl meine Freunde wissen, dass ich Single bin, erhalte ich verlässlich jedes Jahr zum Valentinstag Grußnachrichten mit Texten nach dem Muster: »Wir wünschen auch dir alles Liebe.« Vermutlich soll ich dann eine starke innere Leere spüren, in mich hineinhorchen, lernen, meinen Single-Egoismus zu überwinden und doch noch ein nützliches Mitglied der Gesellschaft werden. Warum eigentlich?
Wir leben in einem fortschrittlichen Land, akzeptieren alternative Lebensstile, Beziehungen und Familien: die gleichgeschlechtliche Ehe und Adoption (auch wenn die Politik noch hinterherhinkt), Patchwork, Polyamorie, das Zölibat. Nur mit alleinstehenden Frauen über 35 scheint die Gesellschaft keinen Frieden machen zu können. Etwas an uns muss ein verstörendes, beklemmendes Gefühl auslösen. Das Bild von der schrulligen alten Jungfer, die abwechselnd mit ihren Katzen spricht und Rabattmarken ausschneidet.
Die Tatsache, dass eine alleinstehende Frau glücklich sein kann, nichts vermisst, auf niemanden wartet und niemanden sucht, ist für die meisten ein Mythos. In der Realität verpasst man uns drei Stempel: traurig, einsam, unerfüllt. Frau, vierzig, ohne Partner und Kinder, das bedeutet, dass irgendetwas nicht mit mir stimmt. Da packt viele der Ehrgeiz herauszufinden, was.
»Was sehen die Männer nicht in dir?!« »Warum du nicht verheiratet bist … Du bist doch nett.«
Wie oft ich das kriege – diese scheinbar unschuldigen Fragen, die mitleidigen Blicke, die ungelenken Komplimente. Aber unter der Oberfläche der freundlichen Schmeichelei lauert der Vorwurf: »Hm, du bist sicher toll, aber schon vierzig und immer noch Single. Die anderen Frauen kriegen es doch auch gebacken!«
Dann folgen die Verdachtsmomente: »Wahrscheinlich machst du den Männern Angst. Wie wäre es mit weniger Widerworten?«
»Anstrengen musst du dich schon. Aber hetz sie nicht! Männer können Verzweiflung riechen.«
Ernsthaft? Wir leben im 21. Jahrhundert. Haben Frauen nicht ihre Büstenhalter verbrannt und auf High Heels gestaubsaugt, um sich von tradierten Rollenbildern und konventionellen Lebens- modellen freizumachen? Um eben nicht so sein zu müssen, dass es irgendjemandem, vielleicht, unter Umständen, gefällt? Anspruchsvoll, intelligent, unabhängig – in welchen anderen Lebensumständen werden einer Frau diese Eigenschaften negativ angekreidet? Bloß wenn es um die Wirkung auf Männer geht, sollen sie in die Sackgasse führen. Was für ein Humbug! Ich glaube, selbst ein Mann ist selig, wenn es seiner Frau gelingt, allein die 40-Watt-Birne in die Fassung zu schrauben und die Batterien der Fernbedienung zu tauschen.
Ich staune jedes Mal, wenn gestandene Frauen, Singles zwischen dreißig und vierzig, auf naiv und unterwürfig machen. Gerade erst in der Bar gelandet, geht schon das Radar an: Wer ist süß, guckt er mich an, passen wir zusammen? Charmant wird die Checkliste runtergeprüft: guter Job, eigene Wohnung, eigenes Auto? Dreimal ja gekreuzt, und wer man ist, bestimmt der Mann, Frau will gefallen. Also wird jeder bekloppte Witz belacht.
Anscheinend ist das Single-Sein ein planmäßig zu bekämpfendes Problem. Das hat auch eine ganze Armada von Beratern verstanden. Ihre Ratgeber und Programme zum Sich-selbst-rundum-Erneuern klingen so heilsversprechend wie Anti-Pickel-Tonics, der Standardablauf von der Vision zur Realität Paarbeziehung lautet: Selbstanalyse, Fehler finden, sich für das, was man ist, ein bisschen schämen, Fehler ausmerzen, sich wieder lieb haben, spannendes Single-Leben führen (meditieren, Yoga, Fitness, Tiere anschaffen, reisen), das Leben wieder in die Hand nehmen und mit verbesserter Ich-Fassung in die Offensive gehen. Ich habe die Bücher bald zur Seite gelegt und mich geärgert, wie schweißtreibend und teuer man in seinen schwachen »Alle haben einen Mann, ich will auch«-Momenten repariert werden soll. Grüne Glamour-Smoothies, per App Schritte zählen, mir mit Wachs die Schamhaare ausreißen und vielleicht noch ein raffiniertes Tattoo stechen lassen? Ohne mich.
Bemerkenswert ist, dass kein Mann für schwachsinnig gehalten wird, wenn er mit vierzig noch Single ist. Das »Schäm dich, hinterfrag dich, erfinde dich neu«-Spiel betrifft offenbar nur Frauen. Für ihn gibt es kaum Behelfsliteratur. Und ich habe noch nie einen Mann getroffen, der vom Barkeeper gefragt worden wäre: »Auf der Resterampe hängen geblieben, hm?«
Neulich nannte mich ein Geschäftspartner »Frau B.«, um sich kurz darauf mit »Äh, offensichtlich Fräulein B.« zu korrigieren und abschätzig zu grinsen. Auch das passiert einem Mann wohl eher selten. Seit dem Vorfall trage ich einen Silberring am Finger. Oder sollte ich besser ehrlich sein und sagen: »Ich habe den Richtigen halt noch nicht getroffen. Ich weiß nicht, warum.« Genauso wenig weiß ich, weshalb ich noch nie zehn Euro in der Straßenbahn gefunden habe und noch nie Schneeschuhwandern war. Es ist einfach nicht passiert.
Ich hatte zwei mehrjährige Beziehungen, beide scheiterten, weil wir unterm Strich nicht gut zueinanderpassten. Vor ein paar Jahren habe ich noch aktiv gesucht, berauscht von der Schwärmerei einiger Freundinnen. Als Kalenderspruch klingt »Das Glück fällt nicht vom Himmel« dämlich, aus dem Mund einer Freundin aber erschreckend einleuchtend. Unterwegs in einem Chatforum, habe ich erst mal Stunden damit verbracht, passende Fotos zu finden, um mich letztlich von einer Freundin fotografieren lassen. Was für ein Theater! Nach ein paar Tagen kam ich mir in dem ganzen Balzgedöns albern vor. Mich irgendjemandem als irgendwie besonders anpreisen zu wollen, um aus der Masse der Konkurrenz herauszustechen – das ist, als ob ich mich, die »beschädigte Ware«, kurz vor dem Ablaufdatum unbedingt loswerden müsste.
»Bist du zu wählerisch, sind es deine hohen Ansprüche?«
Auf diesen Vorwurf ist Verlass. Eine Untat, die alles erklären würde. Ist es nicht komisch? Die Menschen haben Verständnis für jemanden, der sich von seinem Beruf nicht nur ein ordentliches Gehalt, sondern auch etwas Erfüllung verspricht. Es geht in Ordnung, sich über die Afrika- Safari und das neue Küchendesign den Kopf zu zerbrechen. Aber wenn es um den Lebenspartner geht, soll man doch bitte schön nehmen, was den Weg kreuzt.
Mein Single-Leben ist unbekümmert. Ich fühlte mich allein immer wohler als mit Partner. Das lag nicht nur an den Männern. Was will er? Geht es ihm gut? Fehlt ihm etwas? Diese Fragen trieben mich ständig um. Genauso, dass ich mich jedes Mal erklären musste, wenn ich spät von der Arbeit kam. Nein, ich bin nicht die verbissene Karrierefrau, ich arbeite in einem kleinen Ingenieurbüro. Bleibe ich länger vor dem Bildschirm sitzen, dann weil ich gern arbeite. Ich habe nicht den Anspruch, mich durch meine Arbeit zu verwirklichen, die Aufgaben dort sind mir aber wichtig. Oft erschienen sie mir dringender, als zu zweit auf der Couch abzuhängen.
»Wer fängt dich denn auf, wenn es dir schlecht geht?«
»Jeder braucht doch eine Schulter zum Anlehnen. Berührung.«
Meine Freunde und Familie sind zur Umarmung fähig. Sex lässt sich gut, nicht selten sogar besser außerhalb einer Beziehung haben. Natürlich bin in manchen Stunden einsam, so wie jeder Mensch. So ist das eben.
Von mir aus kann es ewig so weitergehen. Es geht mir gut, ich bin gesund, habe tolle Freunde, einen Job, der mir Spaß macht, eine schöne Wohnung, ich fahre in den Urlaub, wann und wohin ich will.
Dass man mich nicht falsch versteht: Ich habe kein Problem damit, wenn zwei Menschen sich lieben, heiraten und Kinder kriegen. Für viele kann eine Beziehung ein besseres Leben bedeuten. Bloß kenne ich keine Beziehung, für die ich mein jetziges Leben tauschen wollte.
Beobachte ich Paare, denke ich oft: »Die haben sich zwar, aber leicht haben’s die nicht miteinander.« Entweder sind sich die zwei der ganze Ozean, Pärchen-Paare, die nicht wissen, mit welchen Freunden sie Hochzeit feiern sollen, weil ihr Schiff in den vergangenen Jahren ausschließlich Platz für zwei hatte (in dem Fall heißt es: »Lass uns was ganz Verrücktes machen und ohne Gäste in Las Vegas heiraten!«). Dann sehe ich viele Nicht-Paare, die nur noch in Kontakt sind, weil so viel dranhängt: die Ehe, Bausparverträge, Firmen, die Doppelhaushälfte, die Kinder. Sie gehen hin und wieder zum Italiener, um sich über die neue Tageskarte auszutauschen. Die dritte Gruppe, die Wow-Paare – selten, aber existent – sind diejenigen, die gemeinsam cooler sind als allein und den anderen so sein lassen, wie er ist. Die Liste zur Frage »Was verpasse ich als Single?« hat also eine überschaubare Länge.
Bevor die Menschen mich als hoffnungslosen Fall aufgeben, stellen sie noch die Gretchenfrage:
»Willst du denn keine Familie?«
Ich habe die biologische Uhr nie ticken gehört. Ich bin leidenschaftlich Tante, eine gute Freundin und kümmere mich um viele Menschen. Die Idee einer Familie ist für mich nicht ausschließlich die von Vater, Mutter, Kind. Es gibt auch die Wahlfamilie, einen Kreis von Menschen, die sich gern haben, einander bedingungslos vertrauen und füreinander sorgen. Auch das ist Liebe. Wenn mir Frauen vorwerfen: »Meine Kinder zahlen später deine Rente!« (was ohnehin ein Märchen ist), dann frage ich schon mal zurück: »Und was, wenn das Schluffis werden, für deren täglich Brot ich Steuern zahle?« Die Mutter-Kind-Liebe ist bloß ein viel zu schöner Mythos, um diesen Gedanken zuzulassen.
Wer weiß, was das Leben an Überraschungen bereithält. Vielleicht heirate ich spät? Bekomme doch noch ein Kind? Was auch immer passiert, eines weiß ich schon: Keine Lebensform hat die Sonnenseite gepachtet.
Den Silberring habe ich übrigens abgelegt. Er steht mir einfach nicht.
Foto: Fabian Zapatka