Es heißt, der Schriftsteller Maxim Biller sei eine Diva. Er sei schwierig, ja kapriziös. Wir hatten uns auf komplizierte Verhandlungen und viele E-Mails eingestellt, als wir ihn baten, über seine Eltern im SZ-Magazin zu schreiben – für das Frauen-Heft über seine Mutter und für das darauffolgende Männer-Heft über seinen Vater. Aber Biller sagte einfach zu, und wirkte dabei äußerst umgänglich, geradezu euphorisch. Als hätte er nur drauf gewartet.
Eine Bedingung stellte er aber doch: Er wolle kein Memoir verfassen, sondern zwei Kurzgeschichten. Also Erzählungen, in denen seine echten Eltern zwar vorkämen, aber eben nur fiktiv. Ein bisschen wirkte es so, als fand er es unter seiner Würde, sich einfach nur zu erinnern. Wer Billers wöchentliche Kolumne in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung kennt, ahnt auch: Es macht ihm einfach zu viel Spaß zu fabulieren, sich Geschichten auszudenken und das Eigenleben zu beobachten, das sie entfalten. Seine große Kunst besteht darin, dahinter doch die Wahrheit hindurchschimmern zu lassen. Für uns war es trotzdem ein Experiment mit offenem Ausgang, denn wir wollten in unseren Ausgaben über Mütter und Väter ja echte Schicksale erzählen aus dem echten Leben.
Biller trennt scharf zwischen Journalismus und Literatur. Journalistisch schreibt er nur noch selten. Und wenn, will er damit Debatten setzen. Dann rechnet er mit der deutschen »Schlappschwanzliteratur« ab oder mit den 68ern, die er für wohlstandsverwahrloste Träumer hält, unfähig ihre Kommunismusverklärung kritisch aufzuarbeiten. Billers Ton ist dabei nie abwägend, sondern schneidend und unerbittlich. So trat er auch im neuen »Literarischen Quartett« auf, wo er dankbar die Rolle des Scharfrichters annahm, was ihn aber schon bald langweilte. Kürzlich gab er seinen Abschied aus der Sendung bekannt.
Und dann gab es noch diesen 900-Seiten Roman, den Biller im vergangenen Jahr veröffentlichte, der zwar Biografie hieß, aber natürlich alles andere als eine solche war; sondern vielmehr ein überbordendes, Generationen überspannendes, jüdisches Panoptikum mit neurotischem Personal, viel Sex und Humor.
Wir waren also gewarnt.
Doch dann kamen die Geschichten und alle Zweifel waren weggewischt. Sie spielen Mitte der Sechzigerjahre, als die aus Russland stammende Familie Biller noch nicht nach Hamburg ausgewandert war und in Prag lebte. In Prager Depressionen beschreibt Biller seine Mutter Rada als eine von Zweifeln, Migräne und Liebeswirren gebeutelte Frau vor dem Hintergrund der sozialistischen Diktatur, deren Schergen ihre Familie fest in Griff halten. Ein Onkel sitzt im Gefängnis, der Schwiegervater war einem Todesurteil zum Opfer gefallen. Selbst die Fürsprache von John Wayne, Bertrand Russel und Eleonor Roosevelt hatte ihn nicht retten können.
Spätestens an dieser Stelle lacht man als Leser laut und fragt sich: Im Ernst? Auch wissen wir nicht, ob es den sozialistischer Ingenieur Scheinpflug wirklich gab, der Rada immer wieder Avancen machte, wenn er sie in seinem Skoda mitnahm. Wir werden nie erfahren, was Erinnerung und was ausgedacht, was den Tatsachen entspricht und was geflunkert ist an diesen beiden Geschichten, und das müssen wir auch nicht, denn es ist Literatur. Sie ist frei. Nur eins können wir uns nicht vorstellen: Dass die beiden Menschen über die Maxim Biller so unterhaltsam, so lustig und traurig, so kunst- und liebevoll schreibt, in dieser und in der nächsten Ausgabe des SZ-Magazins, irgendjemand anderes sind als seine Mutter und sein Vater.
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Foto: Christian Werner