SZ-Magazin: Sie haben einen Horrorthriller geschrieben, der von einem siebenjährigen Jungen handelt. Am Ende Ihres Buches danken Sie Stephen King. In welchem Alter haben Sie ihn das erste Mal gelesen?
Stephen Chbosky: Ich war zwölf, als ich Shining von King gelesen habe. Die Verfilmung von Stanley Kubrick hatte ich zuvor schon gesehen, mein Vater meinte, das Buch sei noch besser, deshalb konnte ich es kaum erwarten, das Buch in die Hand zu bekommen.
Ist man mit Zwölf alt genug für Horrorthriller?
Jünger sollte man wirklich nicht sein, aber wenn man mit zwölf schon solche Sachen mag und daran gewohnt ist, geht das schon.
Wie alt sind Ihre Kinder?
Meine Tochter sieben, mein Sohn vier. Viel zu jung, als dass ich ihnen etwas aus meinem Buch vorgelesen hätte, da wäre ich wirklich ein schlechter Vater.
Sie danken auch der Schauspielerin Emma Watson. Wofür?
2011 haben wir meinen ersten Roman verfilmt, Emma spielte Sam darin. Irgendwann beim Mittagessen fragte sie mich mal nach meinem nächsten Projekt, woraufhin ich ihr eine neue Buchidee erwähnte. Sie sagte: Erzähl doch mal. Also erzählte ich, und sie rutschte immer weiter vor auf die Stuhlkante. Aber dann sah ich an ihrem Gesichtsausdruck, dass ihr mein ursprüngliches Buchende überhaupt nicht gefiel. Wir sprachen darüber. Sie hatte recht. Also änderte ich das Ende.
Sie hatten bereits vor acht Jahren ein erstes Manuskript?
Ich hatte eine lose Sammlung Notizzettel und eine vage Geschichte im Kopf, bevor ich mich ans Schreiben machte.
Auch eine Struktur mit Anfang und Ende?
Ich hatte eine vage Ahnung, wohin die Handlung führen könnte. Die Geschichte entwickelte sich langsam mit den Charakteren.
»Als ich mein erstes Buch schrieb, habe ich weder an das Publikum noch an mich gedacht. Ich habe nur an das Buch gedacht«
Ihr erster Roman Das also ist mein Leben war eine Coming of Age-Geschichte, das bei Erwachsenen wie Jugendlichen Kultstatus erreichte und mit Der Fänger im Roggen von Salinger verglichen wurde. Für wen haben Sie Ihr zweites Buch Ein unsichtbarer Freund geschrieben, mit einem Siebenjährigen als Hauptfigur?
Ich war 26 Jahre alt, als ich das erste Buch schrieb. Nie habe ich zu der Zeit an ein Publikum gedacht, ich war viel zu jung, um mir darüber Gedanken zu machen. Das erste Buch wurde in den USA als Erwachsenenbuch veröffentlicht, aber es fand auch zwölfjährige Leser. Ich habe das Buch aus persönlichen Gründen geschrieben, für mich. Ich war damals schon Drehbuchautor und dachte, es wäre wunderbar, einen Roman zu veröffentlichen. Aber als ich es schrieb, habe ich weder an das Publikum noch an mich gedacht. Ich habe nur an das Buch gedacht.
Wie alt waren Sie denn, als Sie Ihr erstes Drehbuch schrieben?
16, ich ging noch auf die High School. Dann studierte ich an der University of Southern California Drehbuch. Vor meinem ersten Roman hatte ich einen Haufen Kurzfilme gedreht und sieben Drehbücher geschrieben.
Haben Sie Ein unsichtbarer Freund also auch geschrieben, ohne einen Leser im Sinn zu haben?
Nun, ja, ich bin inzwischen erwachsen geworden und ich liebe Stephen King. Schon immer. Ich wollte dieses Mal eine Geschichte schreiben, in der Übernatürliches und Furchterregendes sich mit der Art vermischen, Charaktere, Herz und Optimus zu beschreiben, eben den Elementen meines ersten Buches. Ich habe also an eine Kombination aus dem Stephen-King-Publikum und meinem eigenen gedacht.
So unterschiedlich ihre beiden Bücher sind, in beiden Romanen sind die Helden Außenseiter und Jugendliche.
Ja. Die Kindheit fasziniert mich. Ich liebe es, über Freundschaften von Jugendlichen zu lesen, und darüber, wie deine Freunde dich durch dunkle Zeiten bringen können.
Hatten Sie eine glückliche Kindheit?
Meine Kindheit spielte sich in gewisser Weise in zwei Welten ab: In der einen hatte ich mit meinen Freunden Spaß, war sportlich, spielte gerne Fußball und Baseball, war eine sehr freundliche Person, die Menschen mochte. Aber wenn ich allein war, war ich ganz anders und führte ein anderes Leben, ein eher einsames. Mit Leuten zusammen war ich glücklich, allein nachdenklicher und ein wenig einsam.
»Ich habe Erwachsenen unbequeme Fragen gestellt. So ein Kind war ich«
Waren Sie auch ein Außenseiter so wie ihre Romanfiguren?
Nicht in dem Sinn, dass ich an der Schule nicht viele Leute kannte, einige sind immer noch gute Freunde. Ich fühle mich nicht als Sonderling. Aber als Kind bemerkte ich Dinge, über die andere Leute nicht sprachen oder nicht reden wollten, sondern lieber unter den Teppich kehrten. Oh, sie lassen sich scheiden? Warte mal, warum, wieso? Ich habe Erwachsenen unbequeme Fragen gestellt. So ein Kind war ich.
Ihr Buch beginnt damit, dass ein Junge ein Gesicht in den Wolken entdeckt. War das die urspüngliche Idee für den ganzen Roman?
Ich habe als Kind in den Wolken alles Mögliche entdeckt, und ich fragte mich einfach, was passieren könnte, wenn ein kleiner Junge immer wieder dasselbe Gesicht in den Wolken sieht und das Gesicht blickt auch ihn an. Und der Junge fragt das Gesicht: Wenn du mich hören und sehen kannst, dann blinzel doch mit dem linken Auge. Das war die grundlegende Idee zu meinem Buch.
»Ich konnte sehr gut nachempfinden, was Christophs Mutter durchmachen musste, als ihr Sohn vermisst wurde«
Der Junge verschwindet daraufhin sechs Tage lang spurlos. Haben Sie das auch selbst erlebt?
Wir haben unseren Sohn einmal, da war er vier Jahre alt, in einem Vergnügungspark kurzzeitig verloren. Er ist einfach losgerannt, das waren die schrecklichsten Minuten, die meine Frau und ich erlebt haben. Und dieses Erlebnis hat tatsächlich Einfluss gehabt auf mein Buch, und es in vielerlei Hinsicht verändert. Ich konnte sehr gut nachempfinden, was Christophs Mutter durchmachen musste, als ihr Sohn vermisst wurde. Sie ist danach auch viel strenger mit ihm, weil sie ihn in Sicherheit wissen will.
Wie lange haben Sie an dem Buch geschrieben?
Oh, ich habe es im Laufe der letzten zehn Jahre geschrieben, wann immer ich Zeit dafür hatte. Ich habe in dieser Zeit auch geheiratet, zwei Kinder bekommen, für mein erstes Buch das Drehbuch geschrieben und bei der Verfilmung selbst Regie geführt, einige Ghostwriting-Projekte kamen. Zwischen den Jobs bin ich immer wieder ins Buch gesprungen. Alles in allem hat die Arbeit daran vielleicht vier Jahre Arbeit gedauert.
In Hollywood ist es sehr ungewöhnlich, dass jemand seinen Roman verfilmen darf, so wie Sie bei Vielleicht lieber morgen. Wollen Sie das wieder probieren?
Unbedingt. Ich weiß nicht, warum das so unüblich ist. Michael Chrichtons Film Der große Eisenbahnraub mag ich sehr gern, es gibt noch einige andere gelungene Beispiele. Ich sitze schon am Drehbuch zu Ein unsichtbarer Freund und kann es kaum erwarten, bis die Dreharbeiten beginnen. Vielleicht werde ich der erste in der Geschichte Hollywoods sein, dem es zweimal gelingt, sein eigenes Buch zu verfilmen.
Haben Sie die Rechte schon verkauft?
Ich hatte mehrere Angebote, aber habe sie alle abgelehnt. Ich weiß noch nicht, ob ich zwei Filme oder eine Miniserie aus dem Stoff machen werde. Ich will erst wissen, was die reichtige Länge für das Buch und die Fans ist, bevor ich mich entscheide.
Macht Ihnen das Schreiben Spaß oder ist es harte Arbeit für Sie?
Kommt auf den Tag an. An guten Tagen gibt es wirklich nichts Besseres, oder? Und an den schlechten nichts Schlimmeres.
Schreiben Sie lieber Drehbücher oder Romane?
Beide Formen könnten nicht unterschiedlicher sein. Drehbücher erfordern Kürze. Jeder Fehler in der Struktur ist unverzeihlich. Wenn man vom Pfad des Drehbuchs abrückt, fällt ein Film auseinander. Bei einem Roman darf man ruhig ein paar Seiten oder sogar Kapitel vom Weg abkommen, man kann in die Köpfe der Charaktere eindringen, die Arbeit am Roman ist viel freier und sie macht mehr Spaß.
Ihre Romane sind auch persönlicher als Ihre Filme.
Einen Film zu drehen und einen Roman zu schreiben sind wiederum sehr ähnliche Aufgaben, beides erfordert Detailgenauigkeit. Die meisten Entscheidungen beim Film sind unsichtbar. Du glaubst nicht, dass über jedes Kleidungsstück eine Entscheidung getroffen wurde, über jeden Drehort, die Linsenwahl oder die Musik wurde diskuttiert. Für mich sind das Drehen und das Romanschreiben die persönlichsten Formen.
Einige Schriftsteller beginnen irgendwann, sich mit ihren Romanfiguren zu unterhalten. Sprechen Sie mit Ihren Figuren?
Auf jeden Fall. Die Charaktere werden so real, dass sie für ununterscheidbar werden von den Menschen, die da draußen in der Welt sind, die man als Schriftsteller verlässt. Das kann manchmal richtig beängstigend werden.
Hat Emma Watson das fertige Buch gelesen?
Kurz vor Veröffentlichung, ja.
In den USA kam »Ein unsichtbarer Freund« eine Woche nach Erscheinen in die Bestsellerliste. In wieviele Länder wurden die Rechte verkauft?
Ich glaube, wir sind jetzt bei 25.
Fürchten Sie nicht, viele Fans Ihres ersten Buches mit dem zweiten zu erschrecken?
Ich bin schon auf Lesereise in den USA gewesen. Ein Großteil des Publikums scheint wegen meines ersten Buches neugierig auf das zweite zu sein, aber einige kommen auch nur, weil sie sich einen guten Gruselthriller erhoffen. Bisher wüsste ich nicht, dass ich irgendwelche Leser enttäuscht hätte.
Wussten Sie von Beginn an, dass Ein unsichtbarer Freund ein Horrorthriller werden würde?
Ja, das war immer das Ziel. Ich wollte eine emotionale Geschichte schreiben, die man auch als Allegorie auf viele Probleme der heutigen Zeit verstehen könnte, zum Beispiel psychische Erkrankungen. Aber viele dieser Themen habe ich auch im ersten Buch aufgegriffen. Nur dass mein erstes Buch eben nicht von Übersinnlichem handelte und nicht so beängstigend war.
Haben Sie Stephen King inzwischen kennengelernt?
Leider nein, aber er ließ mir über seinen Sohn ein wunderbares Zitat für den Klappentext übermitteln.