Das Versprechen, Berlin sei arm, aber sexy, wird vom Stadtteil Hohenschönhausen nur zur Hälfte eingelöst. Menschen mit Plastiktüten vom Netto-Discount sitzen an der Haltestelle Sandinostraße, die Straßen hier sind breit, aber keine Alleen. In den oberen Stockwerken, zum Beispiel an der Konrad-Wolf-Straße: Unterhemdenträger hinter Balkon-geranien. Im Erdgeschoss, auch an der Konrad-Wolf-Straße: das Nagelstudio Miss Nails, der Blumenladen Baccara-Floristik, der Außer-Haus-Verkauf-Grieche. In Hohenschönhausen war der Stasi-Knast. Im Bezirk Lichtenberg, zu dem Hohenschönhausen gehört, wählen überdurchschnittlich viele Menschen die Linke und die NPD. Berlins Neue Mitte ist nur ein paar Trambahnstationen entfernt und zugleich Welten. Ein Samstag im August, gleich spielt auf dem Fußballplatz jenseits der Konrad-Wolf-Straße der BFC Dynamo Berlin gegen Greifswald. Oberliga Nordost/Nord. Kurzhaarige oder komplett rasierte Kugelköpfe sammeln sich vor dem Nagelstudio, sie tragen schwarze Klamotten oder weinrote, dazu Stiefel und Gesichter, in denen man nicht lesen kann, weil die Augen hinter Sonnenbrillen versteckt bleiben, auch wenn die Sonne nicht scheint. Die paar hundert Meter bis zum Platz legen sie schweigend, plaudernd, gelegentlich geräuschvoll rülpsend zurück. Die Auskunft am Ticketschalter, dass Frauen günstiger reinkommen, regt zwei der Männer zu einer Debatte darüber an, ob beide weniger bezahlen müssten, wenn sie sich hier an Ort und Stelle gegenseitig die Eier abbeißen.
Zwei Spiele finden parallel statt an diesem Samstag: das auf dem Platz und das auf den Tribünenplätzen drum herum. Die Fans spielen mit ihrem Image, sie bewegen sich an der Grenzlinie zwischen Provokation und Propaganda. Draußen, an einem Müll-eimer neben der Haltestelle Sandinostraße, klebt ein Werbesticker der Unabhängigen Nachrichten, einer Publikation, die vom nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz rechtsextremistisch genannt wird. Der Aufkleber ist halb abgerissen; so wie er da klebt, kann er beides bedeuten: Bekenntnis und Distanzierung. Wie der DVU-Sticker hinten an Tor 2 bei den Trainingsplätzen. Abgeschabt und weiß gewienert, aber immer noch lesbar.
Am Stadioneingang wird ein Programmheft mit den Aufstellungen beider Teams verkauft, ein Greifswalder Stürmer heißt Kampf, die Nummer 14. Ein Fan liest den Namen laut vor: »Stürmer Kampf.« Meckerndes Lachen. Der Fan gluckst: »Ja, wer is denn hier jetzt rechtsradikal?«
Ist es ein Wagnis, hierherzukommen? Auch für jemanden, der schon Hunderte von Fußballspielen gesehen hat, von der Kreisliga bis rauf zur Champions League, ist ein Besuch beim BFC so etwas wie eine Prüfung, die Konfrontation mit einer unterschwellig daherkommenden Bedrohung. Es wird keine Schlägereien geben bei dem Spiel, keiner wird einen anderen mit erhobenem rechten Arm begrüßen. Es sind auch Frauen da und ein paar Gruftimädchen. Nichts wird sich entladen, aber etwas könnte sich entladen. Das ist das Gefühl dieses Nachmittags. Wenn man einer von ungefähr 700 Zuschauern ist und auf der Tribüne sitzt, also auf den besseren Plätzen, und diese Männer sieht, die T-Shirts tragen, auf denen »Hoolywood« steht oder »Fanclub Erich Mielke«, schleicht sich das Gefühl an. Journalisten reden gern von Ängsten, die sie hatten; Ängsten aus-
gesetzt gewesen zu sein klingt spannend. Journalisten wollen gern spannend sein, wenn sie schon nicht spannend schreiben können. Aber mit Angst ist das Gefühl beim BFC nicht gut beschrieben. Man empfindet Fremdheit. Und dass man sich irgendwo fremd fühlt, ist manchmal auch ein sehr beruhigendes Gefühl.
Es ist anders als in Bundesligastadien, wo man Teil der Masse wird, auch wenn man nur flüchtiger Gast ist. Über Fußball kann jeder mit jedem reden, sogar der Banker mit dem Hartz-IV-Empfänger, deshalb ist Fußball ja so beliebt.
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Gewalt ist Teil der Geschichte des BFC: 1990 wurde ein Berliner Hooligan von einer Polizeikugel getroffen, er starb. Im vergangenen Dezember sagte Energie Cottbus ein Testspiel gegen den BFC ab, aus Angst vor Krawall. Ostdeutsche Fußballklubs in den unteren Ligen haben viele rechtsextreme Fans, deren Hass sich gegen die Fans der anderen Vereine richtet und manchmal gegen die Fußballer des eigenen Klubs. Anhänger von Dynamo Dresden hoben vor Kurzem nach einer Niederlage elf Gräber aus, eines für jeden Spieler. Ostfußball ist der Gegenentwurf zur Sommermärchenstimmung, die seit der WM 2006 so gern beschworen wird.
Halbzeit, es steht 2:0 für den BFC, rüber in die Vereinskneipe. Bier und Bratwurst. Man wird beobachtet, wenn man Fotos und Notizen macht. Gespräche brechen ab, wenn man sich nähert. Die Ostdeutschen, heißt es, können einen Westdeutschen immer noch an der Haltung erkennen, an der Kleidung.
Der BFC Dynamo Berlin, Trikotfarbe Weinrot, war zehnmal hintereinander Meister in der DDR, ein Stasi-Verein mit Erich Mielke als mächtigstem Fan. Die Fans der anderen Vereine begegneten dem BFC mit Hass, Neid, Häme. Hass, weil die Berliner das Gesetz des gerechten Wettbewerbs außer Kraft zu setzen schienen. Vielleicht steckten sie mit den Schiedsrichtern unter einer Decke, auf jeden Fall mit Mielke. Neid, weil sie dauernd Meister wurden. Und Häme, weil sie im Europapokal nichts gewannen. Der BFC war wie die DDR: in der Idee größer als in der Realität.
Zweite Halbzeit, die Berliner daddeln rum; auch im Fanblock, wo die härteren Jungs stehen, wirkt die Hitze wie ein Beruhigungsmittel. Greifswald schießt das 2:1, ein Tor des Stürmers Kampf. Die Glatzen der Fans leuchten schweißig, die Gesichter sehen nach Kopfweh aus. Dann ist das Spiel aus.
Der Verein war ein Outlaw, und er wurde zur Heimat der Outlaws: Punks kamen zum BFC, schließlich Hools und Rechtsradikale. Die DDR war links, das war Staatsdoktrin, aber in den Achtzigern lehnten sich die Jungen gegen den Staat auf, und eine Spielart der Auflehnung war, rechts auszusehen und sich rechts zu benehmen. Die Rechten wollten Fan eines Vereins sein, der überall gehasst wurde, weil sie selbst das Gefühl hatten, überall gehasst zu werden. Als der BFC nach der Wende tiefer und tiefer abstieg, blieben die Outlaws, der Verein war gefangen zwischen Stasi-Vergangenheit und Hooligan-Gegenwart und ist es immer noch.
Nach dem Spiel noch mal ins Vereinsheim, zu den alten Fotos, die überall an den Wänden hängen. Riediger, Terletzki, Rudwaleit, alter DDR-Fußballadel. Man kann dabei zusehen, wie die Bilder miteinander kämpfen: Schwarz-Weiß im Hintergrund die Helden des Sozialismus, eher langhaarig, den Ball am Fuß.
Die Geschichte eines großen Irrtums. Was werden sollte, und was geworden ist.
Man könnte jetzt was sagen, blöde Runen-Tätowierung, Scheiß-Frisur. Man könnte fragen: Warum sitzt eigentlich kein einziger Schwarzer bei euch hier im Stadion? Man fragt nicht. Klar, man hat jetzt irgendwie auch Angst.
Seit Kurzem hat der BFC ein neues Logo. Es gab Debatten um das Logo im Internet und in den Zeitungen, es ging um die Frage, ob das Logo aus Gedankenlosigkeit so aussieht, wie es aussieht, oder voller Absicht. Der BFC bewegt sich immer an Grenzen. Es ging auch darum, ob es weniger schlimm aussieht, wenn man alle Buchstaben groß schreibt statt klein. Es ging um vieles, aber nicht um das Entscheidende.
Das neue Logo ist auf den Wimpeln im Fanshop und groß auf der Rückseite der Haupttribüne zu sehen. Man kann es fotografieren, ohne dabei gestört oder beobachtet zu werden. Die Leute hier stehen zu ihrem Logo, auf dem der Berliner Bär vom Vereinsnamen umrahmt wird. Der BFC Dynamo, ein Verein aus Berlin, aus Ostberlin, aus Deutschland, bezeichnet sich als BERLINER FUSSBALL CLUB, in altmodischem Schrifttyp und in der Mitte mit großem SS.
SZ-Reporter Holger Gertz, früher Sportredakteur und immer noch Fußballfan, hat die schönste Stimmung im kleinen Stadion des FH Hafnarfjörður erlebt. Der FH Hafnarfjörður ist ein Spitzenverein aus Island. Seine sympathischen Fans sind so, wie man sich isländische Fans vorstellt: laut und lustig und ausgesprochen rotgesichtig, wegen der Kälte.
Peter Rigaud (Fotos)