Man hört so häufig: »Das wäre aber ein Traummann!« Oder liest: Haben Sie Ihren Traummann noch nicht gefunden?
Der Mann, von dem ich nachts träume, ist damit jedenfalls nicht gemeint. Der ist ein Sniper, der mich in eine stolpersteingepflasterte Sackgasse verfolgt. Er ist ein Zwerg, der gar nichts sagt, nur guckt, wenn man ihn etwas fragt. Oder er trägt einen rötlichen Bart und erklärt mir, dass ich mein Abitur jetzt leider, leider, doch nicht bestanden habe.
Vielleicht habe ich in meiner Jugend zu viele Twin Peaks-Folgen gesehen und nicht genügend Bravo gelesen. Denn da lernte man ja spätestens, dass das was Tolles war, so ein Traummann, und dass man sich unbedingt einen zulegen müsste. Der aber, Voraussetzung Nummer eins, nicht in der Nachbarschaft leben durfte, da er ja eine viel wichtigere Funktion als Erreichbarkeit zu erfüllen hatte: Er war die Benchmark, an der sich die Jungs aus der Nachbarschaft messen lassen mussten. Damit man so den eigenen Durchschnitt anheben und sich nicht etwa aus Versehen oder Fantasielosigkeit an den nächstbesten Trottel vergeben würde.
Das steckt hinter der Idee des Traummannes: Nur so, mit diesem Referenzpunkt, kommt man voran mit der Auslese. Bloß: Die auf diese Weise gewonnenen Erkenntnisse waren schon damals so sinnvoll wie die Ratschläge einer neidischen Freundin; nämlich bei näherer Betrachtung ungenau, kurzsichtig und irreführend wie nur was.
Die Jungs aus der Informatik-AG, die während jeder anderen Stunde als Informatik mit den Zahlenschlössern ihrer Lederkoffer herumhantierten, waren ausdrücklich keine Referenzpunkte. Auch wenn sie möglicherweise noch die nächsten siebzig Jahre zu emsig und zu verliebt sein würden, um einen zu betrügen, auch wenn sie Kinder aller Wahrscheinlichkeit nach bombig fänden, weil sie deren Spieltrieb nachvollziehen könnten, und auch wenn sie wahrscheinlich nur ein paar Jahre später Bill Gates für eine Milliarde Dollar ein Programm zur Früherkennung von Krebs verkaufen würden.
Dagegen wichtige, riesengroße Referenzpunkte: Hollywoodstars oder Musiker, die mit ein bisschen schief gucken oder leidend singen unanständig viel Geld verdienten. Und die einem selbstverständlich nibelungentreu sein würden, und mit Sicherheit auf Familie aus waren.
Referenzpunkte laut Bravo-Titelbildern waren Anfang der Neunziger: Den Harrow (wer?), Ralph Macchio (der aus Karate Kid) und Tom Cruise. Zwei in der Versenkung Verschwundene. Und ein dreimal Geschiedener.
Das mit dem Traummann kriegen wir trotzdem nicht korrigiert, im Gegenteil. Jahrzehnte später wird immer noch von ihm geredet. Die Kriterien, die er heutzutage erfüllen sollte, werden alle paar Monate in wichtigtuerischen Studien erfasst, meist steckt ein Partnervermittlungsbusiness dahinter.
Da wir ja mit ein paar Jährchen Erfahrung alle wissen, wie einzigartig und vom Zufall bestimmt die Faktoren bei der Auswahl unserer Beziehungen waren, müssten wir dazu eigentlich sagen: Nonsens. Geht ja gar nicht. Welche Studie sollte denn bitte das erfassen?
Stattdessen lesen wir wieder und wieder, aus welchen Attributen sich angeblich die Idealvorstellung der Frauen – unsere! – zusammensetzt. Sie klingen griffig, diese Attribute, überzeugend und zwingend, etwa zwei, drei Sekunden lang.
Frauen können viel besser, ohne Zögern und präzise, das irrationale Moment, den Impuls – und damit sich selber – beschreiben, der sie aus sechs identischen Welpen genau diesen oder jenen aussuchen lässt: Er kam so unbeirrbar direkt auf mich zu … Er ließ sich von den anderen gar nicht unterkriegen … Er saß nur in der Ecke, so rührend und schutzbedürftig, dass er mir leid tat … Er war der liebste … Er war der flauschigste … Er war der verspielteste … Er wich mir einfach nicht mehr von der Seite … Er roch so gut.
Erfüllt Ihr Ehemann die Traummann-Kriterien?
In Traummann-Studien klingen sie, als würden sie gehorsam genau das sagen, was ein manipulativer Marktforscher von ihnen hören will. Der Traummann soll demnach und vor allem anderen sympathisch sein – ist das nicht Hauptkriterium bei dem Bewerber eines Versicherungsunternehmens? Er soll immer treu bleiben (während die Frau es nicht immer ist, aber das ist wieder eine andere Studie). Er soll ihr die Kinder abnehmen, sich die Figur eines Trapezakrobaten antrainieren und – wahrscheinlich mit einer dieser beiden Tätigkeiten? – viel Geld verdienen.
Welche Frau ist auch nur annähernd mit dem Mann verheiratet, der die Kriterien erfüllt, die sie immer wieder in irgendwelchen Studien zu Protokoll gibt? Sind diese Frauen todunglücklich, wenn ihnen dämmert, wie weit sie sich von ihren Träumen entfernt haben?
Bei mehr als 40 Prozent liegt in Deutschland die Scheidungsrate, und in den meisten Fällen stellen die Frauen die Anträge. Fast die Hälfte wacht demnach eines Morgens auf und merkt, wie unaushaltbar Idee und Ausführung doch auseinanderklaffen. Und das kann durchaus damit zusammenhängen, dass ihnen fortwährend suggeriert wird, dass sie sich selber suggerieren sollen, dass irgendwo da draußen der Traummann auf sie wartet; ihre perfekte Ergänzung, der Rest ihrer Formel, der fehlende Stein für ihre Lego-Burg. Ein Gedanke, der gleichsam tröstlich ist und tief verstörend.
Denn was bedeutet er für die vielen Frauen, die glücklich wurden mit jemandem, von dem sie weiß Gott niemals geträumt hätten? Oder ist so etwas auch schon immer implizit im Traum verankert? Oder müssten sich nicht auch die Glücklichen darüber Gedanken machen, dass da draußen einer wäre, der noch viel, viel besser zu ihnen passt? Eben ideal ist?
Wenn man seinem Herzen folgt, geht es bei der Wahl des Partners um eine Mischung aus Erfahrung, aktueller Situation und der Variablen X, dem eben nie Herbeigeträumten. Es geht um die André-Heller-CD-Sammlung. Um einen Haarwirbel. Krümmungen von Fingerkuppen. Um Details, bei denen sich Attraktion und Aufmerksamkeit plötzlich einhaken, Besonderheiten, die jede Vernunft – und der Traummann ist eben letztlich etwas ganz Rationales, nämlich ein Korrektiv – aushebeln und neue Realitäten schaffen.
Den Rest erledigt, ganz unverträumt, die Chemie. Das alles wissen wir. Wenn wir ehrlich sind, gibt es eine Riesenkluft zwischen dem, was wir bei Befragungen angeben, und dem, was wir in der Realität anstreben. Wahrscheinlich hätten weder Thelma noch Louise den Cowboy geheiratet. Haben sie ja auch nicht. Aber beide hätten ihren Traummann wie ihn beschrieben.
Warum also überhaupt noch sein Bild heraufbeschwören? Weil man sich daran, meistens in der Zeit zwischen zwei Beziehungen, wie an einem Kaminfeuerchen wärmt. Der Traummann ist ein Pin-up. Ein Spindfoto. Der Platzhalter zwischen unseren wahren und wichtigen Beziehungen.
Und manchmal ist er als Spiegelbild ganz amüsant. Wie in den Ergebnissen der letzten groß angelegten Traummann-Studie – dieses Mal durchgeführt von einer großen Bekleidungskette –, an der 2000 Frauen teilnahmen. Man konnte sie vor ein paar Wochen in allen großen Zeitungen und Internetportalen nachlesen.
Demnach hat unser Traummann, neben den üblichen, aktuell noch folgende Kriterien zu erfüllen, er muss:
– einen muskulösen, trainierten und athletischen Körperbau haben
– auf gute Kleidung achten
– gerne mit seiner Freundin shoppen gehen
– gern Soaps gucken
– immer glatt rasiert sein, auch seine Brust rasieren
– einen stylishen Geschmack haben
– regelmäßig seine Mutter anrufen
Der Traummann 2012 ist demnach das Klischee eines Homosexuellen, auch wenn das so nicht in der Studie stand. Aber da die Frauen in dieser Studie auch gar keine erotischen Anforderungen formulierten, ist es eindeutig.
Also, tun wir einfach weiterhin so, als würden wir es glauben: Es gibt für jeden das Ideal.
Und übrigens, auch Harald Glööckler ist sicher der Traummann irgendeiner Frau.
Fotos: dpa, afp