Kein Anflug von Traurigkeit

Wenn eine Frau keinen Partner hat, gilt sie als arme Sau. Ein Mann hingegen als cooler Hund. Blödsinn, ruft unsere Autorin. Auch Frauen, die allein leben, sind frei. Kleiner Tipp: Sparen Sie sich die mitleidigen Blicke.

Das waren noch Zeiten damals, als wir Kugelmenschen waren. Dann hat Zeus uns in zwei Hälften zerschnitten. Seitdem sucht der Topf seinen Deckel. Andere Geschichte: Am Anfang schuf Gott den Mann, dann schnitzte er aus seiner Rippe ein Weib. Das sollte ihm untertan sein. Dritte Geschichte: Schon das Affenweibchen warf ihr Haar zurück und wackelte mit dem Arsch, um das Affenmännchen um den Verstand zu bringen. Die Botschaft aller Geschichten: Die Frau allein ergibt keinen Sinn. Sie ist nicht komplett. Der Wunsch nach Vereinigung sitzt tief.

Oder sind das alles Propagandamärchen? Gibt es die Frau ohne Mann, die vom Mann freie Frau, kurz: Freifrau? Die klassische Freifrau war mit einem Freiherrn verheiratet, so wie Marie Freifrau Ebner von Eschenbach. In diesem Text passe ich den Begriff dem dritten Jahrtausend an: »Frau« bezeichnet eine weibliche Erwachsene, »frei« einen Zustand der Unabhängigkeit: Eine Freifrau ist also nach meiner Definition ein unverpaarter weiblicher erwachsener Mensch.

Freifrauen weichen vom traditionellen Frauenbild ab. Sie haben keine Ehemänner, keine Verlobten, keine mentalen Zuhälter. Sie leben allein, und zwar häufiger in Großstädten als auf dem Land. Sie sind finanziell unabhängig. Man erkennt sie daran, dass sie essen, wenn sie Hunger haben, tanzen, als würde keiner zusehen, und ein unbürokratischeres Sexleben haben als verpaarte Frauen. Sie wünschen in ihrem Leben niemanden, der ihnen Vorgaben macht, niemanden, der heimkommt und fragt: »Wie war dein Tag Schatz?« oder »Was gibts heut zu essen?« Es wartet keiner auf sie, und es gängelt sie keiner. Sie müssen nicht den Tag, den Lebensraum, den Urlaub, im Kompromiss erkämpfen. Sie kümmern sich um ihre Freunde, reisen gern, neigen zu Spontanpartys, Haustieren und Weltrettung. Zuweilen sieht man Freifrauen sonntags an verschlossenen Supermarkttüren rütteln. Nachts wühlen sie heißhungrig in Tiefkühltruhen von Tankstellen.

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INNENLEBEN

Zeitliche und emotionale Unabhängigkeit ist eine schöne Sache. Manchmal allerdings kehrt sie sich ins Gegenteil. Dann grübelt die Freifrau über ihr Schicksal, empfindet sich als Auswurf der Gesellschaft und bricht über der Angst, einsam zu sterben, in Tränen aus. Freifrauen kämpfen zuweilen gegen gefühlte Einsamkeit, die, ähnlich dem Windchill beim Wetter, eine schwer messbare, aber subjektiv stark empfundene Größe ist. Polarkreis 18 bringt es auf den Punkt: »Wir sind allein, allein allein, allein allein, allein allein, allein allein.« Aber wieso ist es eigentlich »nicht gut, dass der Mensch allein sei« (Moses)? Diese Parole – ausgerufen von einem Mann – setzt Single-Frauen unter Paarungszwang und hindert sie daran, Freifrauen zu werden. Sie hören von Platons Hälftentheorie, in ihnen sticht Adams Rippe, sie werfen zwanghaft die Haare zurück, fühlen sich als Deckel, und es fehlt ihnen sozusagen körperlich der Topf. Manche schlittern in halbherzige Beziehungen, weil man ihnen predigt, dass sie jemanden brauchen, mit dem sie regelmäßig Mahlzeiten einnehmen und das Bett teilen. Und wenn sie nicht schlittern, dann träumen sie davon zu schlittern. Bis dahin behaupten sie tapfer, ein Single zu sein, aber ein glücklicher. Sie rechtfertigen sich, fast automatisch, wenn sie gefragt werden, ob sie verheiratet sind, ob sie in einer Beziehung leben. Ein dürres Nein reicht nicht. Es wird interpretiert. Es provoziert Nachfragen und gipfelt in Beziehungsanbahnungstipps: Vielleicht mal eine andere Frisur?

VORURTEILE

So frei eine Frau auch sein mag: Der Mythos der Verschmähten klebt an ihr wie Scheiße am Schuh. Immer gibt es Leute, die hinter vorgehaltener Hand sagen: Die hat keinen abgekriegt. Hinter jeder Entscheidung der Freifrau steht angeblich Frust, und wenn eine nicht Mister Big nachstöckelt wie Carrie Bradshaw in Sex and the City, heißt es, mit der stimmt doch was nicht. Sitzt eine Freifrau in einer Hotelbar und trinkt, kann niemand glauben, dass sie nicht auf Männersuche ist. Warum sollte eine Frau schließlich sonst in einer Hotelbar sitzen und trinken? Und auch noch mit Lippenstift?

Männer und Frauen passen nicht zusammen? Eine Frau ohne Mann ist wie ein Fisch ohne Fahrrad? Von wegen! Die Trauben sind dir wohl zu sauer, was? Was bist du, verlassen, geschieden, verwitwet? Du bist bindungsunfähig! Karrieregeil! Zu hässlich! Du machst nichts aus dir. Bist verzweifelt. Frustriert. Bitter. Hast den richtigen Mann nicht gefunden. Oder nach dem Geschlechtsakt aufgefressen wie eine Gottesanbeterin. Pfui! Dein Leben ist nichts als emotionale Leere und fehlende Geborgenheit. Das kannst du nicht mit Geselligkeit übertünchen! Das muss doch in Alkoholismus, Depression oder Selbstmord gipfeln. Also, ab in die Single-Börse mit dir!

»Ach, Mark, ich will nicht ins Gefängnis. Ich bleib lieber bei dir«

DER ALLEINLEBENDE MANN

Ihr Pendant, der alleinlebende Mann, wird selten als Mängelwesen interpretiert. Ihm trieft die Freiheit aus jeder Pore, wie beim Marlboro-Mann. Der Freimann ist der einsame Wolf, der lone-some Cowboy. Ein Hauch von Hemingway, John Wayne, Edward Hopper umweht ihn. Wenn er allein in der Bar sitzt und trinkt, hat er nichts als Durst. Er ist quer durch alle gesellschaftlichen Schichten akzeptiert. Er wird von gebundenen Männern beneidet und von Frauen umschwärmt. Unbeirrt zieht er seine Bahn, losgelöst von Pflicht und Verantwortung. Die Bindungsangst steht ihm gut. Paarung würde ihn nur unnötig beschmutzen. Der alleinlebende Mann liegt voll im Trend. Zwischen 1996 und 2011 stieg die Zahl alleinlebender Männer um fast die Hälfte – in Westdeutschland um 40,5 Prozent und in Ostdeutschland sogar um 78,1 Prozent.

Freifrauen sind seltener. Aber nicht neu. In der Literatur wimmelt es nur so von ihnen: Penthesilea, Königin der Amazonen, die sich angeblich ihre Brüste abschnitt, um besser Bogenschießen zu können. Brechts Mutter Courage, die die männlichen Kriegsspiele für ihre Geschäfte ausnutzte, Lara Croft, eine Art weiblicher Indiana Jones, Lisbeth Salander von Stieg Larsson, die aus Rache »Schwein« auf den Bauch ihres Vergewaltigers tätowiert. Den meisten von ihnen bekommt die Freiheit nicht. Kriemhild aus dem Nibelungenlied wird von Hildebrand erschlagen, Antigone lebendig eingemauert, Betty Blue von Philippe Djian reißt sich ein Auge heraus.

Auch die Freifrau im Film nimmt oft kein gutes Ende. »Ach, Mark, ich will nicht ins Gefängnis. Ich bleib lieber bei dir«, sagt Hitchcocks Marnie zu Sean Connery, der sie zur Ehe gezwungen hat. Das ist, was ich ein gruseliges Happy End nenne. Sue aus Sue – eine Frau in New York ist zu stolz, um andere um Hilfe zu bitten. Einmal zeigt sie einem Obdachlosen im Park ihre Brüste. Das ist alles, was sie an Nähe erträgt. Zum Schluss verhungert sie auf einer Parkbank.

Oder Thelma und Louise – zwei amerikanische Ehefrauen, die lieber in den Tod gehen als zurück an den Herd. Etwas heiterer Maude aus Harold and Maude. Sie geht in bunten Kleidern zu fremden Beerdigungen, kaut Lakritze, flicht ihr Haupthaar zu dünnen Zöpfen und hat, bevor sie an ihrem 70. Geburtstag selbstbestimmt ihr Leben beendet, jede Menge Greisensex. Sigourney Weaver in den Alien-Filmen ist eine Freifrau bis zum Ende. Sie kämpft und siegt und steigt hinterher unbemannt in die Kälteschlafkapsel. Miss Marple, die scharfsinnige Amateurdetektivin, ist eine Freifrau, Penélope Cruz in Almodóvars Volver – und natürlich die Rächerin Uma Thurman mit ihrer Five Point Palm Exploding Heart Technique in Kill Bill.

FREIFRAUEN IN DER WIRKLICHKEIT

Es gab sie wirklich – in mehr oder weniger reiner Form. Kleopatra, die zwei mächtige römische Feldherren verführte, um ihr Reich zu retten, Nofretete, eine der rätselhaftesten Königinnen der Antike, die einsam im Ägyptischen Museum in Berlin endete. Katharina die Große, um die es das Gerücht gab, sie sei von einem Pferd beim Liebesspiel erdrückt worden – denn Männer konnten sie nicht besiegen. 40 000 Frauen, die die Inquisition als Hexen verbrannte. Auch die eingangs erwähnte Marie Ebner von Eschenbach war eine Freifrau: Sie war zwar verheiratet, blieb aber frei. Schon als Kind las sie alles, was ihr unter die Finger kam. Als junge Frau machte sie – sehr untypisch für die Zeit – eine Uhrmacherlehre. Sie schrieb Romane, reiste nach Italien und erhielt 1900 den ersten weiblichen Ehrendoktor der Universität Wien. Von ihr stammt der Aphorismus: »Eine gescheite Frau hat Millionen geborener Feinde: alle dummen Männer.« Zeitlos. Freifrauen in der Gegenwart: Annette Schavan, Claudia Roth, Condoleezza Rice, Rachida Dati, Regina Halmich, Margot Käßmann – und die vielen namenslosen, die jetzt zustimmend nicken.

AUSBLICK

Der glückliche weibliche Single – ist er ein Oxymoron? Ein Euphemismus? Gehört er einer unfreiwilligen Avantgarde an? Ist er eine Folgeerscheinung von übertriebenem Individualismus? Macht sie Schule, die unbemannte Frau, oder markiert ihr Rollenbild-Boykott den Untergang des Abendlandes? Für »Glückliche Singles« haben Social Networks den Beziehungsstatus »Es ist kompliziert« erfunden. Freifrauen geben ihn gar nicht erst an. Sie haben keinen Leidensdruck.

Ich fand es immer herrlich, allein zu leben. Man kann schlafen und schweigen, wann man will. Man muss niemandem zuliebe Dinge tun, kann ein Ferkel sein, sogar ein Schwein. Man kann vor sich hin träumen, ohne dass jemand fragt: »Was denkst du grad?« Man kann scheitern, ohne dass jemand sagt: »Siehste!« Man kann anarchisch essen, mittendrin das Kino verlassen, spontan die Reiseroute ändern, verkehrt herum im Bett liegen oder nachts Spaghetti kochen – und niemand beschwert sich. Im Alleinleben sammeln wir Freifrauen Kraft für Begegnungen.

Viele meiner Freundinnen wohnen allein. Sie sind geschieden, leben für ihre Arbeit oder sind einfach zu schrullig geworden, um ihr Leben zu teilen. Sie sagen, es sei nicht immer leicht, aber die Vorteile überwiegen: hässlich zu sein, falsch zu singen, Knoblauch zu essen, die Käserinde hinter sich zu schmeißen – und immer ist das Bad frei. Die Wahrheit ist doch, dass wir uns draußen permanent verstellen, egal, mit wem wir zusammen sind. Ganz bei uns sind wir nur allein. Wir sind Königin unseres Schlosses, Herrscherin unseres Kontinents. Wir sind das einzige Mitglied unserer eigenen Sekte. Wir haben sogar unsere Beerdigung schon geplant und bezahlt – denn eine muss es ja tun.
Wir sind frei! Oder?

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Dieser Artikel erscheint im heutigen SZ-Magazin: Ein Heft zum Thema Frauen und Freiheit – sehen Sie hier schon alle Themen.

Foto: Tereza Vlčková Illustration: Danilo Agutoli