SZ-Magazin: Therapeuten raten Paaren oft zu Ritualen. Etwa sich einmal pro Woche Zeit füreinander zu nehmen, dann sitzt man sich gegenüber, die Knie berühren sich, zwanzig Minuten spricht der eine, zwanzig Minuten der andere. Machen Ihre Partner das mit Ihnen?
Ilse Gutjahr-Jung: Dieses Ritual empfiehlt mein Mann, aber wir haben andere Regeln. Wir hatten uns mal sehr in der Wolle, auch noch im Urlaub, und ich dachte: Verdammt noch mal, mit einem Paartherapeuten, und dann so ein Zoff! Da habe ich in einer Blumenhandlung zwei Porzellanschafe gekauft, ein großes und ein kleines. Ich habe an seine Tür geklopft, erst hat er nicht aufgemacht. Ich habe heftiger geklopft, er stand ganz sauer in der Tür, ich habe gesagt: Ich glaube, ich war das größere Schaf. Mein Mann musste lachen. Jetzt wandert das Schaf hin und her: Wenn einer das Gefühl hat, er war zu zornig, bringt er es dem anderen.
Bettina Jellouschek-Otto: Das heißt: Ich bitte um Verzeihung?
Gutjahr-Jung: Ja. Es gibt schon mal Ärger, logisch. Welches Paar hat nicht irgendwann auch Spannungen?
Empfiehlt Ihr Mann das Schaf seinen Patienten?
Gutjahr-Jung: Manche haben in seinen Vorträgen davon gehört und es von sich aus angeschafft. Wir sind beide zum zweiten Mal verheiratet. Er sagt oft, aus der ersten Ehe hat er viel gelernt, was man nicht wiederholen sollte. Mir geht es genauso.
Was sollten Sie denn nicht wiederholen?
Gutjahr-Jung: Ich würde bei Problemen nie wieder schweigen. Mein erster Mann war alkoholkrank. Nicht der Penner auf der Parkbank, sondern Wohlstandsalkoholiker. Ich hatte ihn mit 22 Jahren geheiratet und war die perfekte Co-Abhängige.
Ist es ein Vorteil, mit einem Paartherapeuten liiert zu sein?
Gutjahr-Jung: Manchmal kommt mein Mann nach Hause und sagt: Wie gut wir verheiratet sind, habe ich heute wieder erfahren.
Jellouschek-Otto: Das sagen wir uns gegenseitig auch, wenn wir sehen, wie schwer es andere haben.
Warum haben Sie es nicht so schwer?
Jellouschek-Otto: Wir schweigen nicht. Darum eskalieren Konflikte nicht so sehr.
Enrico Landgraf: Wir versuchen allerdings, die Therapien aus der Beziehung rauszulassen, so weit es geht.
Auf Ihren Wunsch hin?
Landgraf: Auf beider Wunsch hin. Sonst ist man Therapeut und Therapierter. Wir wollen aber Mann und Frau und ganz normale Menschen sein. Natürlich bringen wir beide unsere Biografien mit, die uns eigen machen und manchmal auch einen Crash verursachen. Und dann reden wir drüber.
Zieht Ihre Partnerin dann nicht was aus ihrer therapeutischen Werkzeugkiste?
Landgraf: Doch, natürlich. Ich muss auf der Hut sein, dass da nicht irgendwas hintenrum kommt. Dass sie sich Verhaltensweisen wünscht, die gut für sie sind, und ich denke: Aber das bin doch nicht mehr ich!
Fühlen Sie sich manchmal manipuliert?
Landgraf: Nein, nicht wirklich. Unbewusst kann das aber schon mal vorkommen.
Läuft das über positive Verstärkung: »Schatz, du hast aber toll aufgeräumt«?
Landgraf: Anders. Ein Beispiel: Wir sollen zu Dieter und Maria gehen, und ich sage: Och nö, ich hab keine Lust. In meinen früheren Beziehungen hieß es nur: Aha, er hat keine Lust. Jetzt heißt es: Warum willst du da nicht hin, was steckt dahinter? Dabei will ich einfach nur nicht da hin – und sitze am Ende doch dort! Mittlerweile lernt man, genauer in sich reinzuhören: Warum habe ich so reagiert? Ich kann Dinge, die ich vorher nicht so zuordnen konnte, besser verstehen, bleibe mir aber treu.
Ihre Lebensgefährtin Carla Thiele ist auf Sex spezialisiert. Reden Sie dauernd über Sex?
Landgraf: Auf alle Fälle ist das ein Thema. Ich höre von Problemen, die ich interessant finde und von denen ich als Mann auch nicht wusste, dass es da Lösungen gibt. Vom Kopf her und auch medizinisch.
Fahren Sie manchmal von Paaren wie Dieter und Maria zurück, und Ihre Lebensgefährtin sagt im Auto: Ich hab das Gefühl, bei denen läuft’s im Bett grad nicht so?
Landgraf: Natürlich. Der Arzt betrachtet Menschen durch seine Brille, der Therapeut durch seine, und ich als Steuerberater habe auch meine Sicht der Dinge.
Ob steuerlich was nicht stimmt oder im Bett, ist ja ein Unterschied.
Landgraf: Ja, klar. Ich kann Typen zuordnen, die im Porsche rumfahren und eine große Klappe haben, aber eigentlich ist nichts dahinter. Der erste Eindruck deckt sich oft zwischen meiner Lebensgefährtin und mir. Ob jemand zum Beispiel Minderwertigkeitskomplexe hat.
Geben sich befreundete Paare vor Ihnen Mühe, harmonisch zu wirken?
Jellouschck-Otto: Ich versuche, in Runden unter Freunden darauf zu achten, nicht so typische Therapeutenfragen zu stellen. Aber ich denke immer wieder, ach, da könnte ich vielleicht helfen…
Landgraf: Ich habe das Gefühl, manche Leute haben Angst, dass man sie durchschaut, wenn jemand aus der Psychoecke am Tisch sitzt. Die verkrampfen dann.
Frau Jellouschek-Otto, Ihr Mann und Sie sind beide Paartherapeuten. Kommt man da aus dem Reden über die Liebe gar nicht mehr raus?
Jellouschek-Otto: Wir reden natürlich anonymisiert über die Paare, die wir begleiten. Auch im Sinne einer Supervision: Ich verstehe nicht, was da läuft, dieses Problem sehe ich, dieses und jenes habe ich ausprobiert, und das hat nichts gebracht – fällt dir mehr dazu ein? Für uns ist besonders wichtig zu verstehen, in welcher Entwicklung ein Paar ist. Wir gucken natürlich auch, in welcher Entwicklung wir selbst sind. Wenn wir einen Diskonsens haben oder einen Streit, schauen wir: Warum gerade jetzt? Was ist da für eine Veränderung in unserem Leben?
Das klingt so professionell und unwütend. Fahren Sie nie aus der Haut?
Jellouschek-Otto: Wenig. Wir sind eher ein Konsenspaar. So wie es Paare gibt, die sehr viel streiten, das muss nicht besser oder schlechter sein. Wenn’s ganz doll kommt, gehen wir einander aus dem Weg.
Sind Sie mal sauer aufeinander?
Jellouschek-Otto: Kurzzeitig schon. Wenn ich in meiner früheren Ehe sauer war, habe ich vor mich hin gegrollt und nicht geredet. Das geht mit uns viel besser.
Landgraf: Das kenne ich. Ich habe früher bestimmte Dinge auch nicht ausgesprochen, sondern runtergefressen und unterdrückt. Meine jeweilige Partnerin auch, und so wurden es immer mehr Tabuthemen, bis man gar nicht mehr wusste, wo man hintreten durfte, weil überall Fettnäpfchen standen. Mit meiner jetzigen Partnerin fand ich es erst unangenehm, alles auszudiskutieren. Aber du merkst dann: Es macht Sinn. Du weißt, wo der andere steht und wo er verletzlich ist. Früher habe ich auch nie nachgefragt: Du warst krank, was hattest du denn? Wie war der Urlaub? Und so weiter. Ich hätte das als Insis-tieren empfunden, als Rumbohren – bis mir gespiegelt wurde: Der andere kann auch denken, dass ich mich nicht für ihn interessiere.
»Gespiegelt werden« – ist das so ein Begriff, den Sie übernommen haben?
Landgraf: Natürlich. Manche dieser Begriffe treffen es einfach.
Jellouschek-Otto: Wir verwenden auch viele Ausdrücke aus der Therapie, zum Beispiel: Das habe ich so und so erlebt.
Landgraf: Letztendlich ist es ein großer Schritt, wenn man versteht, dass man Empfindungen hat, die nicht denen des anderen entsprechen müssen.
Was haben Sie gedacht, als Sie erfuhren, dass Carla Thiele Sexualtherapeutin ist?
Landgraf: Man stellt sich da viel vor, allerlei Praktiken und so, aber sie berät eher psychologisch oder medizinisch. In größeren Runden ist ihre Arbeit aber ständig Thema.
Sagt sie manchmal, sie sei Orthopädin, wenn sie keine Lust hat, über ihren Beruf zu reden?
Landgraf: Nein, sie sagt schon, was sie macht. Letztes Wochenende waren wir auf einem Grillfest, plötzlich hieß es: Jetzt stellen sich mal alle vor. Nachdem sie dran gewesen war, sprachen natürlich alle darüber.
Worüber genau?
Landgraf: Es ging um Viagra für die Frau. Aber mehr so als Gag. Dann wurde es schnell ruhig. Wer wirklich sexuelle Probleme hat, sagt ja wenig.
Auch nicht nach drei Bier?
Landgraf: Das habe ich noch nicht erlebt. Viel öfter wird sie zum Beispiel von Ärzten auf Kongressen angesprochen: Ich hab da ein Problem, ich würde Sie gern mal in Anspruch nehmen.
Könnten Sie sich vorstellen, mit Ihrem Partner in Paartherapie zu gehen?
Jellouschek-Otto: Wir müssten großes Vertrauen haben und uns ganz dem Therapeuten überlassen können. Sonst würden wir oft denken: Aha, jetzt kommt dieser Schritt, und jetzt kommt jene Intervention – das würde schwierig.
Wie sehr wird ein Konflikt bei Ihnen und Ihrem Mann zum Fachgespräch mit Argumenten wie: »Du weißt genau, was Freud dazu schon gesagt hat«?
Jellouschek-Otto: »Was will die Frau eigentlich?«, das zitiert mein Mann hin und wieder von Freud. Aber er benutzt es nicht als Waffe. Wie laufen Konflikte bei uns ab … Kürzlich war es so: Ich nutze zu meinen Therapien auch Pferde. Da bin ich viel im Stall beschäftigt. Ich wollte gerade los, da sagte er: »Aber komm bald wieder, sei um sieben wieder da.« Ich sagte, es kann auch später werden. Da war er deutlich enttäuscht, und das hat mich geärgert, weil er mich in meiner Autonomie beschränkte. Ich kam relativ pünktlich nach Hause, da lief er mir entgegen: »Das war nicht gut, verzeih mir.«
Sie erkennen die Untergeschosse von Konflikten früher?
Jellouschek-Otto: Ja. Wir überlegen: Was habe ich nicht gut gemacht? Danach tauschen wir uns aus: Was ist gerade eigentlich los?
Und was war gerade los?
Jellouschek-Otto: Ich baue beruflich auf, er reduziert. Daraus entsteht ein Ungleichgewicht: Er möchte mehr mit mir machen und ist auf der Suche nach neuen Inhalten, ich brauche niemanden mehr zu versorgen und möchte meiner Leidenschaft nachgehen.
Sind Sie überrascht, wenn Sie in solche Fallen tappen – nach Jahrzehnten der Beziehungsarbeit?
Jellouschek-Otto: Ich sage Patienten oft: Privat sind wir alle Amateure. Auch wir reagieren emotional und nach Mustern von anno dunnemals. Nur: Wir merken es früher. Und haben andere Möglichkeiten, Lösungen zu finden.
Landgraf: Bei uns war es neulich so: Meine Partnerin hat gekocht, in der Soße war Wein. Viel früher hatte sie mich mal gefragt, ob ich das mag, und ich hatte Ja gesagt. Diesmal habe ich gesagt, eigentlich schmeckt mir das nicht so mit dem Wein. Da war die Stimmung im Eimer. Sie meinte: Jetzt weiß ich ja überhaupt nicht mehr, was du wirklich magst! Dahinter steckte ihr Versorgungswunsch. Sie möchte mich als Partner optimal versorgen, glaubt aber: Ich versorge ihn nicht richtig, wenn ich ihm nicht anmerke, dass er das Essen nicht mag.
Wessen Diagnose ist das?
Landgraf: Ich kenne sie inzwischen gut genug, um selbst darauf zu kommen.
Gutjahr-Jung: Mein Mann ist leichter als ich gekränkt und der Temperamentvollere von uns, auch nach Jahrzehnten der Beziehungsarbeit. In seinem neuen Buch bezeichnet er sich als Zornbinkel.
Sagen Sie manchmal: Jetzt bist du so lange Paartherapeut und kriegst es selbst nicht hin?
Gutjahr-Jung: Das habe ich noch nie gesagt.
Gedacht?
Gutjahr-Jung: Schon eher.
Jellouschek-Otto: Es ist wichtig, dass man privat auch mal unprofessionell sein kann.
Frau Gutjahr-Jung, Sie wohnen Tür an Tür mit Ihrem Mann, aber in getrennten Wohnungen. Ihr Mann sagt, das sei »für die Ehehygiene außerordentlich sinnvoll«.
Gutjahr-Jung: Wir wohnen überwiegend in meiner Wohnung, aber er kann sich in seine zurückziehen, zum Beispiel zum Arbeiten. Dass er mault und auch mal da schläft, ist vielleicht zweimal in zwanzig Jahren vorgekommen. Dann bin ich doch hin und habe geklingelt, und er kam rüber mit seinem Schaf.
Jellouschek-Otto: Was uns ziemlich geholfen hat: Man sollte verschiedene Bedürfnisse nicht werten. Ich bin eher unordentlich, mein Mann ordnungsliebend. Ich bin in sein Haus gezogen, in dem er mit seiner Frau gelebt hatte. Meine Unordnung half mir, da meinen Platz zu finden. Bei ihm bin ich irgendwann darauf gekommen, dass er mich nicht kontrollieren und dominieren will, sondern Angst vor dem Chaos hat. Und er hat rausgefunden, dass ich nicht egoistisch bin, sondern dass das ein Teil meiner Identität ist und Ausdruck meiner Kreativität, die ihm auch guttut. Wenn er jetzt sagt, du hast vergessen, den Tisch ganz abzuräumen, da sind immer noch Salz und Pfeffer drauf, dann kann ich darüber hinwegsehen – und er darüber, wenn ich Dinge liegenlasse.
Gutjahr-Jung: Da sind zwei Wohnungen toll.
Jellouschek-Otto: Wir haben von Anfang an Beziehungszeiten gemacht, ganze oder halbe Tage. Dann sind wir in ein Café gegangen oder haben es uns zu Hause schön gemacht und geredet: Wie geht’s dir grad mit mir?
Gutjahr-Jung: Autofahrten sind auch gut. Da können beide nicht weglaufen.
Jellouschek-Otto: Oder spazieren gehen. Wanderungen.
Geschwiegen wird nicht?
Jellouschek-Otto: Nur kurzzeitig. Schweigen gehört zu den apokalyptischen Reitern einer Beziehung.
Wollen Sie Ihren Partner im Affekt auch mal verletzen?
Jellouschek-Otto: Bis jetzt nicht. Toi, toi, toi.
Landgraf: Nein. Aber man kann sich da missverstehen. Neulich waren wir in Eile. Ich fand, dass sie bummelt, also sagte ich: Los jetzt, ins Auto, fort! Das war schon zu hart. Nee, sagte sie, so redest du nicht mit mir! Ich meinte, entschuldige, aber wir haben einfach Stress, da möchte ich nicht die Samthandschuhe auspacken, das muss mal gesagt werden können!
Gutjahr-Jung: Bei uns ist ein Thema unser Hund. Mein Mann hat eine große Neufundländerin, die ich ihm geschenkt habe. Sie sabbert mir oft die Wohnung voll. Ich kümmere mich natürlich um Bella: Weil sie schon da ist, können wir uns auch nicht mehr wirklich streiten. Wenn mein Mann sich aber so einen Hund noch mal anschafft, hole ich mir mal Rat bei Ihnen, Frau Jellouschek-Otto.
Jellouschek-Otto: Schwierig. Es gibt keinen Kompromiss, ein halber Hund ist nicht möglich. Das ist wie beim Kind. Es gibt ja diese Sehnsucht nach einem gemeinsamen Dritten, das kann natürlich auch ein Projekt sein. Das ist wichtig für Beziehungen. Wenn ich ein Paar zu beraten hätte, würde ich fragen: Wofür steht der Hund? Wie beim Kind: Was ist für den einen das Wichtige, was verbindet er damit, was sind die Ängste dessen, der das Kind nicht möchte?
Frau Gutjahr-Jung, Ihr Mann zitiert in einem seiner Bücher den Historiker Sebastian Haffner: »Damit eine Ehe glücklich bleibt, müssen sich meist beide Ehegatten gutmütig damit abfinden, für ihre jeweilige Person auf Glück zu verzichten.«
Gutjahr-Jung: Wie bitte?
Jellouschek-Otto: Auf dauerhaftes Glück vielleicht.
Gutjahr-Jung: Dieses Haffner-Zitat versteht mein Mann aber als zu pessimistisch. Er dagegen meint: Das Glück muss ich bei mir finden, das kann ich nicht vom Partner erwarten. Jellouschek-Otto: Ich habe an mich den Anspruch, in einer Beziehung auch dienend zu sein. Nicht nur zu gucken, dass für mich alles gut ist, sondern wie es dem anderen geht. Gutjahr-Jung: Ohne Liebe geht gar nichts. Wenn die schon zum Fenster raus ist, helfen keine Ratschläge.
Ihr Mann hat mal erzählt, dass der Übergang von seiner ersten Ehe zu Ihnen voller Heimlichkeiten und Lügen war. Klingt nicht sehr professionell für einen Paartherapeuten.
Gutjahr-Jung: Das ist ja hundert Jahre her. Er war damals noch kein Paartherapeut. Tatsächlich hat er seinen Anteil am Scheitern seiner ersten Ehe in einer Therapie aufgearbeitet. Er hat sich die Trennung nicht leicht gemacht. Ich liebe meinen Mann, weil er so ist, wie er ist. Er ist klug, es macht mir Freude, mit ihm zu diskutieren. Dann sieht man auch über Dinge hinweg, notfalls auch über den Sabber des Hundes.
Landgraf: In einer Beziehung mit einem Therapeuten erlebt man jemanden, der sich mehr Mühe gibt, eine Beziehung aufrechtzuerhalten, als andere das oft tun. So ein Mensch gibt vielleicht mehr. Bringt sich ein, überlegt sich was, das finde ich wertvoll.
Geben Sie die Verantwortung ab? Nach dem Motto: Sie merkt schon, wenn bei uns was schiefläuft?
Landgraf: Nein. Sie verlangt da auch viel von mir. Aber mir ist meine Eigenverantwortung sowieso wichtig.
Wäre ein Paartherapeut, der nicht liiert ist, glaubwürdig?
Jellouschek-Otto: Ist eine Hebamme, die kein Kind hat, gut?
Gutjahr-Jung: Aber ein Paartherapeut, der dauerhaft Single ist, wäre komisch, oder? Wo holt er sich den Alltag her, den er braucht, um Beziehungen zu verstehen?
Jellouschek-Otto: Wenn er Einfühlungsvermögen hat, kann ich mir das schon vorstellen. Er hat Modelle um sich herum, Eltern, Freunde. Wichtig sind ja nicht die Tipps, die wir geben und möglicherweise selber ausprobiert haben. Sondern dass wir zwei Menschen miteinander ins Gespräch bringen.
Landgraf: Nehmen wir jemanden, der nur kurze Beziehungen hatte: Ich glaube, er kann ein guter Berater sein, weil er ein großes Spektrum hat – und bei sich einen blinden Fleck. Kommt ja oft vor, dass man von außen schlauer ist als von innen. Ich habe mal gelesen, man sollte 12,8 Beziehungen gehabt haben, weil man dann einen Erfahrungshorizont hat, aus dem man schöpfen kann.
Wie sehr spielen Ihre Ex-Partner in die aktuelle Beziehung hinein?
Gutjahr-Jung: Ich habe meinen Mann damals vor seiner Trennung sehr ermutigt, seine Beziehung mit seiner Ex-Frau wirklich zu Ende zu leben. Ich habe sogar versucht, ihn davon zu überzeugen, mit ihr eine Paartherapie zu machen. Und natürlich spielt seine erste Ehe eine Rolle in unserer Ehe, auch die Tochter, die seine Ex-Frau mit in die Ehe brachte. Aber Konkurrenz habe ich nie empfunden. Wenn seine Ex-Frau krank würde, täte ich alles dafür, dass er hinfährt und ihr hilft.
Jellouschek-Otto: Unsere vorigen Partner haben uns auch abgeschliffen. Man hat viel gelernt. Ich empfinde da auch Anerkennung und Dankbarkeit.
Landgraf: Ich habe zu meinen Ex-Partnerinnen weiter Kontakt. Wenn nichts Schlimmes vorgefallen ist, wäre ein kompletter Abbruch eigenartig, oder nicht? Das muss man als neuer Partner akzeptieren. Außerdem merkt man doch, ob einer noch in der alten Beziehung hängt oder nicht.
Wer ist bei Ihnen jeweils der Eifersüchtigere?
Jellouschek-Otto: Ich. Jedenfalls gebe ich es öfter zu. Mein Mann ist viel unterwegs, und in seinen Seminaren sind viele Frauen. Dann sage ich: Du passt schon auf, nicht? Das ist humorvoll gesagt, aber auch ernst gemeint. Ich kriege in der Paartherapie immer wieder mit, dass eine Außen-beziehung einen ziemlich überfallen kann. Man darf ein Auge auf den anderen haben.
Gutjahr-Jung: Bei meinem Mann kommen immer wieder schwärmerische Briefe von Frauen an. Ich glaube, das geht vielen Therapeuten so. Man muss da Vertrauen haben. Aber wir teilen uns auch jeden Tag etwas Liebes mit. Wenn er auf einen Vortrag fährt, bekommt er in seine Brotdose einen Liebeszettel, zum Beispiel: Vergiss nicht, ich liebe dich, auch wenn du tolle Frauen siehst!
Landgraf: Jeder will einen Partner haben, den auch andere attraktiv und interessant finden. Wir sind recht offen miteinander und zeigen uns E-Mails von Verehrern. Sie hat Verehrer aus ihren Seminaren, und ich mache ja auch Musik, da gibt es natürlich auch welche. Früher war ich eifersüchtiger, weil ich mir so klein vorkam. Wenn meine Freundinnen einen anderen trafen, habe ich mir oft vorgestellt, das ist der ultimative Typ, und der spannt sie mir jetzt aus. Heute denke ich, wenn sie einen anderen besser findet als mich, kann ich’s auch nicht ändern. Gutjahr-Jung: Das könnte ich nicht so ruhig sehen.
Landgraf: Ich habe gemerkt, mit Eifersuchtsszenen wird es nur schwieriger. Kämpfen würde ich aber schon.
Gutjahr-Jung: Wie alt sind Sie?
Landgraf: 44.
Gutjahr-Jung: Ach, ein junger Knabe. Wenn ich mich in das reinversetze, was Sie sagen: Wenn mal was im Vorbeigehen passieren würde, müsste man drüber reden. Aber wenn mein Mann was Ernstes anfangen würde, müsste man mit Anstand auseinandergehen. Wobei ich finde, wir sind zu alt für solche Faxen.
Jellouschek-Otto: Gefühle kennen kein Alter.
Landgraf: Wenn man mit einem Therapeuten zusammen ist, wird erst mal darüber diskutiert, wie es zu einer Außenbeziehung kommen konnte. Dass man durch Unaufmerksamkeit dahin gebracht wurde, zum Beispiel. Dann muss man sich auch als Betrogener an die eigene Nase fassen.
Gutjahr-Jung: Das stimmt. Eine Außenbeziehung ist eine schwere Beziehungskrise. Da müssen beide ihren Anteil an diesem Gau analysieren. Mein Mann zitiert oft Brecht: »Liebe ist eine Produktion.« Sie ist mitunter harte Arbeit.
Haben Sie manchmal genug von der Beziehungsarbeit?
Gutjahr-Jung: Nein.
Jellouschek-Otto: Ich erlebe das nicht als Arbeit.
Landgraf: Eine Beziehung ist doch immer nur dann Arbeit, wenn man entgegengesetzte Lebensentwürfe hat.
Fotos: Ramon Haindl