Klimaanlage für die Hand

Jetzt, wo die Temperaturen und die Energiepreise steigen, entdeckt die Modeindustrie den Fächer wieder. Manchen Neuling scheint die alte Kulturtechnik des Luftzufächerns aber noch zu überfordern.

Modebloggerin Chiara Ferragni bei einer Dior-Show in Sevilla, Streetstyle aus Mailand und ein großer Fächer-Fan der Vergangenheit: Karl Lagerfeld.

Fotos: Getty Images

Arthur Miller schrieb für den New Yorker einmal über die »Before Air-Conditioning«-Zeit in der Stadt. Die Leute in den weniger wohlhabenden Vierteln legten nachts die Matratzen auf die Feuerleitern und schliefen dort in ihrer Unterwäsche. Jedes einzelne Fenster von New York habe offen gestanden und Straßenverkäufer verteilten für ein paar Pennies gespachteltes Eis mit buntem Zuckerwasser darüber, erinnerte sich Miller. Klingt das nicht herrlich ursprünglich? Nach Sommer »pur«, wie man so sagt?

Dass er am Schluss auch erwähnt, wie die Welt im Schweiß versank, überlesen wir jetzt einfach mal, denn fürs Klima und wegen der steigenden Energiepreise müssen wir ja genau da wieder hin, zum puren Schwitzen. Kaum etwas frisst im Sommer schließlich so viel Strom wie Klimaanlagen. In Griechenland dürfen sie wegen der aktuellen Kosten nur noch auf maximal 26 Grad laufen, und die Bahn hat endlich eine super Ausrede, wenn mal wieder die Klimaanlage im Zug ausfällt. Das sind sie schon, die von Robert Habeck geforderten freiwilligen Einsparmaßnahmen! Flugscham war gestern, jetzt ist AirCon-Scham angesagt!

Welches Accessoire feiert dafür, mitten in der Hitzewelle, ein Comeback? Richtig, der Fächer, die ganz alte Luftnummer, tiefste Pre-Air-Con-Epoche. David Beckham war kürzlich in Venedig bereits mit einem pinkfarbenen Modell unterwegs, in Ascot sollen sie den ausladenden Hüten allmählich Konkurrenz machen, schließlich waren sie früher schon unverzichtbare Ausstattung und Statussymbol der feinen Gesellschaft. Selbst beim Sónar in Barcelona, einem der größten Festivals für elektronische Musik, waren inmitten der feiernden Menge überall total analoge Fächer zu sehen.

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Auf dem Laufsteg tauchten sie gerade ebenfalls auf. Bei der Dior Cruise Show in Sevilla hielten manche Models geöffnete Fächer in der Hand, bei anderen baumelten sie cool am Gürtel, was eine lässige »Marie Antoinette meets MacGyver«-Ästhetik ergibt. Eigentlich waren die Accessoires hier eher als Folklore gedacht, eine Hommage an den Flamenco, wo das kunstvolle, temperamentvolle Auffächern fester Bestandteil der Choreographie ist. Aber weil die Temperaturen in Andalusien passenderweise auf 40 Grad kletterten, wedelten auch die Gäste sofort mit. Immer lustig zu beobachten, was so eine alte Kulturtechnik mit dem modernen Menschen macht: Er fühlt sich gleich ein bisschen nobler, spreizt die Finger, reckt das Kinn nach oben und wedelt übereifrig drauf los. Bis er dann nach zehn Minuten glaubt, kurz vor der Sehnenscheidenentzündung zu stehen. Ja und? Niemand hat behauptet, Nachhaltigkeit sei bequem.

Karl Lagerfeld benutzte ihn, um den Mundgeruch anderer Menschen wegzuwedeln

Aber so ein Fächer kann viel mehr als Wind machen. Queen Elizabeth I hielt ihn stets, um die Aufmerksamkeit auf ihre schönen Hände zu lenken, Kaiserin Elisabeth von Österreich verbarg im fortgeschrittenen Alter ihr Gesicht und ihre schlechten Zähne dahinter, Karl Lagerfeld benutzte ihn, um den Mundgeruch anderer Menschen wegzuwedeln. Der Designer war vor seiner Radikal-Diät sowieso nie ohne Fächer zu sehen, er schwitzte damals einfach noch mehr.

Bis ins frühe 19. Jahrhundert benutzten vor allem junge Leute den Fächer auch als Kommunikationsmittel. Wurde das Blatt vor der Brust geöffnet, sollte das »ja« bedeutet haben, die Rückseite zu zeigen hieß hingegen »nein«. Öffnete die Dame den Fächer in der Nähe der Lippen, wollte sie angeblich einen Kuss. Deswegen haftet dem Fächer bis heute etwas überaus Weibliches an, was jemand wie Harry Styles schleunigst in Angriff nehmen und ändern sollte. In diesen Zeiten müssen wir alle an einem Strang wedeln, ganz gleich welchen Geschlechts.

Dior kündigte bereits an, ihre in einem alten Handwerksbetrieb in Valencia hergestellten Modelle würden demnächst ins ständige Accessoire-Sortiment aufgenommen. Bei Gucci gibt es längst einen Fächer mit passendem Etui im gleichen Muster für erfrischende 430 Euro. Zum gleichen Preis kann man wahrscheinlich drei Monate lang nonstop die Klimaanlage ballern lassen. Aber so kann man heute natürlich nicht mehr denken. Lagerfeld liebte das Accessoire übrigens auch als »Wand zwischen mir und der Welt«, wie er einmal sagte. Warum ist da eigentlich während der Corona-Abstandsregeln keiner drauf gekommen? Vor der nächsten Welle brauchen wir dringend einen »Fächerdeal« – und zwar im ganz großen Stil.