Kopiert wurde immer. Man begehrt etwas, das man gesehen oder geschmeckt hat, und möchte es auch haben. Entweder macht man es selber nach oder lässt nachmachen. Jeder, der sich einen Rock nach einem Schnitt näht, kopiert. Jeder, der ein Gericht nach einem Rezept kocht, kopiert. Aber manchmal kann man zwischen Kopieren und Klauen kaum noch unterscheiden.
Neu ist vor allem das Tempo, in dem kopiert wird, erzeugt durch das Internet und das Smartphone. Während die Models noch in ihren Haute Couture-Kleidern über den Laufsteg schweben, werfen die Näherinnen bei Zara schon ihre Maschinen an. Und sobald der Teller des Sternekochs auf dem Tisch landet, stehen Fotos des einmaligen Gerichts auf Instagram.
Das SZ-Magazin wollte wissen, wo hört die Kopie auf, wo hört die Inspiration auf, wo fängt die Abzocke an? Und was bedeutet in diesen Zeiten überhaupt noch das Copyright? Wir haben zwei sehr unterschiedliche Menschen dazu an einen Tisch gebeten: einen Mann der Haute Cuisine, den Sternekoch Tim Raue. Und eine Frau der Haute Couture, die Modetheoretikerin Barbara Vinken.
Tim Raue weiß: »Wenn du wirklich gut bist, wirst du kopiert.« Aber er weiß auch, dass man nichts wird, ohne selber zu kopieren. Man braucht Ziele und Idole, und nur, wenn man sich selber ein Fundament baut, bestehend aus dem Wissen, das die Köche der Menschheitsgeschichte zusammengetragen haben, kann man daraus seine eigene Sprache entwickeln.
Kultivierung, nennt Barbara Vinken das. Zivilisierung. Barbara Vinken wird nicht kopiert, denn als Professorin für Literaturwissenschaften in München produziert sie nichts Kopierbares. Aufgrund ihrer Arbeit und ihrer Liebe zu Frankreich hat sie sich zur Expertin für Mode und Kultur entwickelt. »Frankreich war universal was die Literatur, die Mode, den Stil und das Essen anging«, sagt sie im Gespräch.
Alles musste französisch sein, sagt auch Tim Raue. Als er zu kochen anfing, kamen die Produkte aus Frankreich, die Bezeichnungen der Zutaten waren französisch und und natürlich waren die weltbesten Köche auch Franzosen. Alle Köche haben sich an den Franzosen orientiert, haben sie vielleicht auch kopiert – und sich im Idealfall weiterentwickelt. Heute haben sich die deutschen Köche nicht nur emanzipiert, sie trauen sich sogar mehr als die Franzosen. »Wenn lange Zeit eine Kultur in einem Land nicht besonders ausgeprägt war, habe es ein höheres Innovationspotential«, erklärt Barbara Vinken.
Die beiden sind sich allerdings nicht in allem so einig, dazu sind sie zu verschieden. Als Vinken sagt, Mode und Haute Cuisine fänden erst in dem Moment statt, wo gegessen oder getragen würde, schüttelt Raue den Kopf und sagt: »Es ist wunderbar Ihnen zuzuhören, Ihre Sätze und Gedanken sind eine Wolke, die vorbeifliegt, aber mit meinem Alltag hat das nichts zu tun.«
Lesen die das ganze Interview hier mit SZ Plus
Foto: Andreas Lux