»Die Liebe meiner Eltern schüchtert mich ein«

Sophie Auster, Sängerin und Tochter der Schriftsteller Paul Auster und Siri Hustvedt, über den Moment, an dem sie ihre Kindheit für beendet erklärte, und den besten Ratschlag, den sie je von ihrem Vater bekam.

Foto: Stefan Ruiz


SZ-Magazin: Wenn Sie an Ihre Kindheit denken, was riechen Sie?

Sophie Auster: Den leicht modrigen Geruch des Kellers in unserem Haus in Brooklyn. Und ich rieche das Parfum meiner Mutter, Chanel No. 5. Jede Nacht legte sie sich zu mir ins Bett und las mir vor, ein, zwei Stunden lang, über viele, viele Jahre.

Wählten Sie das Buch aus oder Ihre Mutter?
Wir zusammen. Es war viel Charles Dickens dabei, die Brontë-Schwestern, Jane Austen. Beide meiner Eltern haben wunderbare Vorlesestimmen. Zu unserem Abendritual gehörte auch, dass mir meine Mama die Haare flocht, weil sich sonst über Nacht Knoten gebildet haben.

Sind Sie nachts in das Bett Ihrer Eltern gekrochen?
Ja, und ich habe mich darin unglaublich breit gemacht. Mit fünf habe ich die beiden fast aus dem Bett geschoben.

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Sie haben einen Halbbruder. Sind Sie eher als Einzelkind oder als Teil eines Geschwisterpaares aufgewachsen?
Schon eher als Einzelkind. Ich bin das einzige Kind meiner Eltern. Ich war stets das einzige kleine Kind im Haus.

Familie Auster

Paul Auster
, 69, hatte seinen Durchbruch als Romanautor 1985 mit
Stadt aus Glas, zuletzt erschien das autobiografische Buch Winterjournal. Die Karriere seiner Frau Siri Hustvedt, 61, mit der er seit 34 Jahren verheiratet ist, startete später, berühmt wurde sie mit Was ich liebte (2003). In ihrem jüngsten Roman Die gleißende Welt (2015) erzählt sie von einer Künstlerin, die nach dem Tod ihres Mannes endlich selbst Anerkennung sucht. Sophie Auster, 29, nahm schon früh Gesangs- und Schauspielunterricht und besuchte das Sarah-Lawrence-College. Als sie 17 war, erschien ihr erstes Album zusammen mit Musikern von One Ring Zero. Es folgten Red Weather (2012) und Dogs and Men (2015) mit eigenen Texten. Aus Paul Austers erster Ehe stammt Sophie Austers Halbbruder Daniel. Der heute 39-Jährige war 1996 in einen Mord verwickelt: Der Partyveranstalter Michael Alig tötete im Drogenrausch einen Dealer, und Daniel Auster stahl der Leiche am Tatort Geld. Er wurde dafür zu fünf Jahren Haft verurteilt.

In diesem Haus waren oft berühmte Künstler zu Gast: Salman Rushdie, Don DeLillo, Lou Reed, Wim Wenders …
Ruhm ist nichts, was Kinder beeindruckt. Ich kenne diese Leute, seit ich ein Kleinkind bin. Es sind einfach alte Freunde der Familie. Einmal haben meine Eltern Quentin Tarantino getroffen. Ich habe zu meiner Mama gesagt: »Wer ist der Mann, der ohne Unterbrechung mit dir redet?« Sie sagte: »Ein berühmter Regisseur.« Es war mir vollkommen egal. Mit neun kannte ich doch Pulp Fiction nicht!

Wie war das für Sie, wenn die Erwachsenen mit ihren Freunden beim Abendessen saßen?

Ich wanderte viel umher, während die Erwachsenen stundenlang redeten. Mir war so langweilig! Meistens hat mein Vater mich dann aufgefordert, etwas zu singen. Oder eine Grimasse zu schneiden. Ich war ein sehr lustiges kleines Mädchen, das gerne auf einen Stuhl stieg.

Ab wann war Ihnen bewusst, dass Ihre Eltern berühmte Schriftsteller sind?
Im Alltag merkte ich nichts davon, aber bei den Lesungen. Als ich sehr klein war, half ich manchmal meinem Vater beim Signieren und öffnete die Bücher für ihn. Einmal sagte ein Mann »Wow, du bist so ein Glückspilz, dein Vater ist Paul Auster!« Ich sagte: »Haha, wie bitte?« Ich habe das überhaupt nicht verstanden. Erst jetzt ist mir bewusst geworden, was es heißt, Eltern zu haben, die beide erfolgreiche Schriftsteller sind. So eine Konstellation ist einzigartig. Heute verstehe ich, warum die Leute das faszinierend finden.

Ihre Eltern haben von zu Hause aus gearbeitet. Hatten Sie als Kind oft das Gefühl, sie in ihrer Konzentration zu stören?
Ich konnte mich gut alleine beschäftigen, aber ja, manchmal schon. Ich wusste auch, dass ich sie nicht nerven oder unterbrechen darf. Von meinen Schulfreunden erfuhr ich, dass deren Eltern »zur Arbeit gehen«. Ich konnte mir nichts darunter vorstellen. Bis mein Vater dann auch eine Zeitlang zum Schreiben in ein gemietetes kleines Studio ging.

Haben Sie je mitbekommen, dass Ihre Eltern beim Schreiben verzweifelten?
Als Kind fiel mir das nicht auf, nein. Das ließen sie mich nicht spüren. Später fand ich schon heraus, dass sie Texte nicht zu Ende brachten.

Sie scheinen ein sehr inniges Verhältnis zu Ihren Eltern zu haben, wenn man Ihren Instagram-Account verfolgt. Gab es auch eine Zeit, in der Sie mit ihnen über Kreuz lagen?
Oh ja, und wie. Der Übergang von Kind zu Teenager fiel mir schwer. Mit 12,13 war ich barsch und zurückgezogen. Ich wollte weg von meinen Eltern und habe sie dennoch gebraucht. Eines Tages zum Beispiel beschloss ich, alle meine Spielsachen aus dem Zimmer zu verbannen. Meine Mutter sah traurig dabei zu. Danach saß ich allein in meinem kahlen Raum und dachte: »Was hast du nur gemacht?« Oder mein armer Vater: Er hat mich jeden Tag zu Fuß zur Schule gebracht und immer gewitzelt, dass er auch noch mitkommt, wenn ich aufs College gehe. An einem Tag teilte ich ihm mit, dass ich von nun an lieber mit meinen Freunden zur Schule gehen würde und ihn nicht mehr brauche. Niemand ist brutaler als zwölfjährige Kinder.

Foto: Stefan Ruiz

Gesangsstunden mit acht, das erste Album mit 17: Sophie Auster, heute 29.
Ihre Eltern gelten als Traumpaar der Literaturszene. Folgerichtig ist Sophie Auster nach einer Figur aus der
New-York-Trilogie ihres Vaters benannt.

Was war der Grund für Ihr Verhalten?
An meiner Schule in Brooklyn ging es mir nicht gut.

Wurden Sie gemobbt?
Nein. Ich hatte ein immenses Selbstbewusstsein als Kind. Ich trug die irrsten Klamotten in der Schule, riesige Ohrringe. Wenn mich jemand darauf ansprach, sagte ich: »Du kapierst es nicht, das ist mega-cool.« Nein, es war diese Schule, die mir nicht guttat, es gab viele Cliquen und Zerwürfnisse.

Schließlich wechselten Sie die Schule.
Ja, und der erste Tag an meiner neuen Highschool war der 11. September 2001. Die Schule lag in Manhattan. Von Brooklyn aus fuhr ich eine halbe Stunde vor den Anschlägen unter dem World Trade Center durch. Als meine Eltern nach Stunden endlich auf meinem Handy durchkamen, sagten sie, ich solle bei einer älteren Schülerin übernachten, deren Eltern sie kannten. Sie neigen zum Glück nicht zur Panik. Ich habe erst im Nachhinein verstanden, was für ein Glück ich an diesem Tag hatte.

1996 war Ihr Halbbruder Daniel in den Mord an einem Dealer verwickelt: Er stahl der Leiche am Tatort 3000 Dollar und kam dafür ins Gefängnis. Sie waren elf. Wie war das für Sie?
Ich möchte nicht über meinen Bruder sprechen, das ginge zu weit.

Mich interessiert auch mehr, wie es Ihnen dabei ging.
Ich kann auf jeden Fall sagen, dass es eine sehr schwere Zeit für die ganze Familie war.

Was war das Rebellischste, das Sie Ihren Eltern angetan haben?
Einmal übernachtete ich bei einem Jungen, obwohl ich meiner Mutter sagte, ich sei bei einer Freundin. Natürlich flog ich auf. Im Sommer nach meinem Schulabschluss war ich wie ein wildes Tier, ich wollte einfach frei sein. Meine Eltern verstanden das nicht, sie meinten, ich hätte doch immer meine Ferien für Sinnvolles genutzt, für Auftritte oder ein akademisches Projekt. Ich sagte: »Hey, ich habe schon die Zusage fürs College, ich habe das Jahrbuch gestaltet, bin bei der Abschlussfeier mit einem eigenen Song aufgetreten und hatte obendrauf nur Einsen: Ich brauche einen einzigen Sommer, in dem ich wie ein normales Kind bin!« Das verstanden sie dann.

War das die Zeit, in der Sie beschlossen, Musikerin zu werden?
Nein, das war schon früher. Ich fand es schon mit acht Jahren so aufregend zu singen, dass ich beschloss, später auf einer Bühne zu stehen. Ein normaler Beruf wäre angesichts meiner Herkunft sehr unwahrscheinlich gewesen. Ich finde das Werk meiner Eltern übrigens ganz unglaublich, ich könnte das niemals, was sie tun.

Romane schreiben?
Ja, Geschichten auf so vielen Seiten zu erzählen. Wie gut sie sind, ist regelrecht entmutigend für mich. Ich habe immer die kurze Form gewählt.

Wann schrieben Sie Ihre ersten Songs?
Mit 16 fing ich an, Gedichte und Songtexte miteinander zu kombinieren. Aber ich behielt viel für mich. Erst seit ein paar Jahren sehe ich mich selbst als Songwriter.

Was war der Auslöser?
Als ich vom College abging, sagte mein Vater: »Wenn es das ist, was du im Leben tun willst, dann musst du produktiv sein. Schreib, so viel du kannst.« Und das tat ich dann. Ich habe so viel geschrieben, dass ich heute sagen kann: Von diesen 25 Texten hau ich jetzt mal zwanzig weg. Diesen Fundus an Material zu haben ist sehr wertvoll. Inmitten von viel Banalem finde ich dann die Stellen, die funkeln. Insofern war dieser Tipp von meinem Vater vielleicht der beste, den ich je bekommen habe.

Der Schriftsteller Michel Houellebecq hat einmal gesagt, nicht man selbst entscheide, ob man Künstler sei, sondern die Welt. Stimmen Sie zu?
In vielerlei Hinsicht braucht man tatsächlich die Ermutigung von außen, um weiterzumachen. Aus eigener Erfahrung weiß ich aber auch, dass man als Künstler so viel Frust und Ablehnung erfährt, dass man sich des eigenen Talents sehr sicher sein muss. Wir haben eine Tendenz, eher auf die Kritiker zu hören als auf die, die uns bestärken.

Ihr erstes Album kam durch Kontakte Ihres Vater zustande. Es waren surrealistische Gedichte, die er als junger Schriftsteller übersetzt hatte und die Sie als 16-Jährige vertonten. War die Zusammenarbeit mit ihm schwierig?
Nein, ich habe sie sehr genossen. Dieses Duo aus Brooklyn war zu Besuch bei uns, One Ring Zero, es erschien uns absolut natürlich, ein Projekt zusammen zu starten.

Lagen Sie und Ihr Vater künstlerisch weit auseinander?
Nein, gar nicht. Wissen Sie, ich habe richtig coole Eltern. Sie sind kreativ und liberal. Und ich selbst war in der Regel ein Kind, mit dem man leicht zurechtkam.

Heute schreiben Sie Ihre Texte selbst. Spüren Sie den Druck, etwas Anspruchsvolles schaffen zu müssen?
Ja, schon. Meine Eltern waren immer ehrlich zu mir – was ich ihnen hoch anrechne. Das heißt, dass sie mich als Künstlerin ernst nehmen. Ich erinnere mich, dass ich zu Collegezeiten ein Gedicht schrieb und es dann in meiner besten Rezitierstimme meiner Mama vorlas, die gerade das Abendessen kochte. Sie verzog das Gesicht und sagte: »Nee, Sophie, das kannst du besser.« Mir gefiel das Gedicht bald selbst nicht mehr. Die Sache ist: Meine Eltern wissen, wann ich wirklich ich bin. Genau das braucht man. Gleichzeitig sind sie keine Experten in Popmusik, sie kennen nicht die neuesten Sachen. Ich wäge ab, welche ihrer Einwände ich ernst nehme und welche ich ignoriere.

In Die gleißende Welt schreibt Siri Hustvedt: »Berühmtsein heißt Leben in der dritten Person.« Wollen Sie berühmt sein?
Viele Menschen haben da Vorbehalte, aber ich bin überzeugt, dass man sein Privatleben behalten kann, wenn man berühmt ist. Es gibt viele Musiker, die abseits der Öffentlichkeit ziemlich normal leben. Meine Eltern ja auch: Fans jagen die nicht durch die Straßen von Brooklyn. Sie werden erkannt, ja, aber das ist doch etwas Schönes! Etwas, was man als Künstler auch will. Ich möchte sicher keine Kardashian werden, aber ich wünsche mir, dass Menschen meine Musik kennen. Und einmal vor riesigen Menschenmengen zu spielen würde mir auch gefallen.

17 Verlage haben Stadt aus Glas, den ersten Teil der New-York-Trilogie Ihres Vaters, abgelehnt. Haben Sie eine Ahnung, wie sich eine solche Zurückweisung anfühlt?
Ich glaube, je mehr man in Frage gestellt wird, desto trotziger kann man auch werden. Ich wurde auch krass zurückgewiesen.

Wirklich?
Ja, absolut! Man muss immun gegen Zurückweisungen werden. Mir passieren täglich solche Dinge, ich sage mir dann: »Pah, du hast es vielleicht nicht dahin geschafft, aber guck, stattdessen hat sich dieses ergeben.« Künstler zu sein heißt, zehnmal Nein zu hören und einmal Ja.

Von den Büchern Ihrer Eltern heißt es, sie seien extrem persönlich und wiesen viele Bezüge zur eigenen Biografie auf. Wann haben Sie begonnen, die Bücher Ihrer Eltern zu lesen?
Mit 16. Es war toll, aber auch seltsam. Da gibt es ja einige … pikante Stellen. In ihrem ersten Roman Die unsichtbare Frau beschreibt meine Mama einen schlaffen Penis – mich schüttelte es vor Peinlichkeit.

Foto: privat

Es ist ja nicht nur Sex. In Winterjournal schrieb Ihr Vater zuletzt über seine Abhängigkeit von Alkohol und Zigaretten, seinen alternden Körper, sein Sterben. Schockieren Sie diese intimen Geständnisse?
Nein, ich bin ja kein normaler Leser, sondern eine von fünf Personen, die all das wirklich aus nächster Nähe kennen. Wir sind sehr eng miteinander, die Themen liegen auf dem Tisch.

Was erfahren Ihre Eltern aus Ihren Songtexten über Sie?
Bei meinen neuesten Songs ganz sicher von Liebschaften, von denen sie nichts wussten. Zuletzt sprach mich meine Mutter auf einige Texte an und meinte besorgt, ich sei wohl immer noch nicht über meine letzte Beziehung hinweg. Ich widersprach und erklärte ihr, wie ich mich beim Schreiben in bestimmte Situationen zurückfühle, um daraus emotional zu schöpfen.

Über Ihre Mutter sagten Sie mal, sie sei die stärkste und klügste Person, die Sie kennen.
Mir ist noch kein Mensch begegnet, der belesener ist als sie. Sie ist in sehr vielen Bereichen bewandert. Wie tiefgründig sie über Dinge informiert ist, fasziniert mich. Außerdem steht sie für ihre Ideale ein. Von ihr habe ich gelernt, dass sich Direktheit auszahlt. Viele Frauen haben Angst, als Zicke abgestempelt zu werden, wenn sie entschieden ihre Meinung sagen. Aber meine Mutter hat mir gezeigt, dass man sich so Respekt verschafft. Ich sehe viele junge Frauen, die Dinge nicht ansprechen und stattdessen passiv-aggressiv reagieren. Auf diese Weise sind Frauen selbst ihr schlimmster Feind.

In den Neunzigerjahren, hat Ihre Mutter einmal gesagt, sei es ihr so vorgekommen, als wären alle über sie hinweggetrampelt auf dem Weg zu Paul Auster. Ist das immer noch so?
Sie hat sich zu einem bestimmten Zeitpunkt in ihrem Leben sicher übersehen gefühlt. Heute haben sich die Zeiten geändert, sie ist meinem Vater ebenbürtig. Ich glaube, wenn man so klug, stark, schön und selbstbewusst ist – das macht anderen erst einmal Angst. Sie ist mehr, als viele aushalten können. Vor allem Männer. Einem Mann gesteht man zu, so gut zu sein, aber einer Frau? Wir leben immer noch in einer sexistischen Gesellschaft.

Einem deutschen Magazin sagte Ihre Mutter, dass sie und Ihr Vater einander bis heute Liebesbriefe schreiben und dass er diese in einer Kiste unter dem Bett aufbewahrt.
Ja, sie zeigt sie nicht einmal mir, so intim sind sie. Neulich sagte sie, vielleicht dürfe ich sie irgendwann lesen.

Beeindruckt Sie die Liebe Ihrer Eltern?
Ja. Es ist eine Bilderbuchbeziehung und schüchtert mich gerade deshalb manchmal ein. Was, wenn ich so etwas nicht finde? Eine Partnerschaft über so einen langen Zeitraum zu führen, in der man vom anderen nicht nur nicht gelangweilt ist, sondern sich auch noch immer weiter intellektuell inspiriert – das ist etwas Besonderes. Sie sind einander näher als je zuvor und die besten Freunde. Selbst wenn ich andere tolle Paare sehe, die eine intakte, langjährige Beziehung führen, sind sie doch nicht wie meine Eltern.