SZ-Magazin: Ist die Familie Wagner eine glückliche Familie?
Katharina Wagner: Die Familie Wagner ist ja groß. Ich kann da nur für meinen Teil sprechen, nicht für alle.
Ist Ihr Teil der Familie glücklich?
Ich bin glücklich. Ich habe einen Partner, der meinen sehr zeitintensiven Beruf mitträgt. Er ist Pilot, hat also selbst ungewöhnliche Arbeitszeiten.
Er wusste nicht, wer Sie sind, als Sie sich kennengelernt haben. Wie haben Sie es ihm erklärt?
Zunächst habe ich gesagt, ich arbeite in der Kunstbranche, am Theater. Man muss ja nicht gleich ungefragt seine verwandtschaftlichen Verhältnisse preisgeben. Als ich ihm sagte, ich sei Regisseurin, konnte er dann anhand des Berufs und des Namens eins und eins zusammenzählen.
Viele Ihrer Kritiker sind überzeugt, Sie sind überhaupt nur gezeugt worden, um eines Tages Festspielleiterin zu werden.
Da müssten Sie jetzt meinen Vater fragen.
Verletzt es Sie, wenn Leute das über Sie sagen?
Nein. Weil ich das Gefühl hatte, dass es nicht so ist. Ich habe meine Kindheit jedenfalls nicht so empfunden. Man kann das natürlich wunderbar unterstellen, meine Eltern kann man ja nicht mehr fragen.
Sie sind auf dem Grünen Hügel aufgewachsen, Ihr Elternhaus steht einen Katzensprung entfernt vom Bayreuther Festspielhaus. Ist an diesem Ort eine normale Kindheit möglich?
Ja. Das Elternhaus war für mich ein Ort der Geborgenheit. Mein Vater hat mich oft ins Festspielhaus mitgenommen, ich war ein ruhiges Kind und konnte stundenlang bei ihm im Büro spielen, ohne ihn bei der Arbeit zu stören. Dadurch habe ich von klein auf das Festspielhaus ganz ungezwungen kennengelernt. Obwohl er das Vermächtnis von Richard Wagner verwalten durfte, war er sehr bodenständig. Meine Eltern haben sich immer bemüht, mir eine unbeschwerte und normale Kindheit zu ermöglichen.
Ihr Vater hat die Bayreuther Festspiele 57 Jahre lang geleitet. Wie alt waren Sie, als Ihnen klar wurde: Eines Tages kommt diese Pflicht vielleicht auch auf mich zu?
Ich habe als Kind meinen Vater in erster Linie als Regisseur und Bühnenbildner wahrgenommen, da er stets zu Hause seine Bühnenbildmodelle baute und ich dabei zusah. Zu der Aufgabe des Festspielleiters sagte er mir als Jugendliche: Wenn du tatsächlich eines Tages die Verantwortung für die Festspiele übernehmen solltest, musst du es mit Liebe machen. Es ging nicht um Pflicht, sondern um eine ganz persönliche Verbundenheit zu diesem wunderbaren Festspielhaus und dem Werk meines Urgroßvaters. Wenn ich es nur aus Pflichtgefühl machen würde, wäre ich hier falsch.
War es für Sie als Kind ausgemacht, dass Sie eines Tages die Festspielleitung übernehmen?
Nein, die Frage stellt man sich ja als Kind nicht. Ich habe mich auch von meinen Eltern nie bedrängt gefühlt. Sie haben mir stets die Wahl gelassen, einen anderen Beruf zu ergreifen. Dennoch denkt man irgendwann darüber nach, ob man in die Fußstapfen der Eltern treten möchte. So ist es dann auch gekommen.
Wie hat Ihnen Ihr Vater erklärt, wer Richard Wagner ist?
Ich schätze, das ging von mir aus. Ich wollte immer alles ganz genau wissen. Was machst du da, warum machst du das so, warum nicht anders? Und aufgrund meiner ständigen Fragen klärte sich dann wahrscheinlich auch, wer Richard Wagner war.
Haben Sie Ihren Vater um Rat gefragt, ob Sie Festspielleiterin werden sollen?
Ja, natürlich. Mein Vater hat gesagt, dass er mir das zutraut.
Es gibt auch Eltern, die ihren Kindern von ihrem Beruf abraten.
Mein Vater hat seinen Beruf geliebt. Das war sein Leben. Auch wenn es natürlich mehr ist als ein Beruf, hat er mir nicht abgeraten.
Mehr als ein Beruf? Wie meinen Sie das?
Man lebt hier mit dem Haus und für das Haus, man ist ein Teil davon. In der Festspielzeit gibt es kein Privatleben mehr.
Sie sind als Einzelkind aufgewachsen, Ihr Vater hat einen Sohn und eine Tochter aus erster Ehe: Gottfried und Eva. Eva könnte Ihre Mutter sein, heute leiten Sie zusammen mit ihr die Festspiele. Welche Rolle hat sie in Ihrer Kindheit gespielt?
Ich erinnere mich, dass einmal das Telefon klingelte und sie unseren Vater sprechen wollte. Über meine Schwester wurde nie viel geredet, vor allem wegen meiner Mutter. Mein Vater hatte kaum Kontakt zu ihr und ich leider gar nicht. Es hieß immer, wenn ich groß bin, könne ich mir ein eigenes Bild von ihr machen. Es war meinem Vater anzumerken, dass er über die Situation unglücklich war. Deshalb habe ich nicht nachgefragt, um ihn nicht zusätzlich zu belasten.
Was war der erste Satz, den Sie gewechselt haben?
»Schön, dich mal zu sehen«, »Schön, dich mal endlich kennenzulernen«. Das war 2007 oder 2008, nach dem Tod meiner Mutter. Bis dahin kannten wir uns nur flüchtigst.
»Die Oma erfreute sich eine Stunde lang an mir und rauchte«
Katharina Wagner, 36, leitet seit 2008 zusammen mit ihrer Halbschwester Eva Wagner-Pasquier die Festspiele in Bayreuth.
Waren Sie eine Vatertochter?
In jedem Fall. Das heißt aber nicht, dass ich zu meiner Mutter eine schlechte Beziehung hatte. Aber er hatte immer etwas zu erzählen und wusste unglaublich viel. Wenn wir irgendwo hingefahren sind, kannte er sowohl die Geschichte jeder Burg als auch jeder Straßenecke. Als ich den Führerschein gemacht hatte und mich in Nürnberg verfuhr, habe ich ihn angerufen, habe beschrieben, wie die Ecke aussieht, an der ich stehe, und dann kam schon: Ja ja, du fährst jetzt weiter geradeaus und nach der nächsten Ampel links …
Haben Sie mit Ihrem Vater darüber gesprochen, was er im Zweiten Weltkrieg gemacht hat?
Wenig. Er hat selten über dieses Kapitel gesprochen. Die Ereignisse haben ihn sehr belastet. Mein Vater wurde als Soldat zum Kriegsdienst eingezogen. Nachdem er schwer an der Hand verwundet worden war, musste er nicht mehr an die Front zurück. Wahrscheinlich war das sein Glück. Wer weiß, ob er sonst wieder lebend nach Hause gekommen wäre.
In den Jahren vor dem Krieg ging die Nazi-Elite in Bayreuth ein und aus, Hitler war ein enger Freund Ihrer Großmutter Winifred, die selbst eine glühende Nationalsozialistin war.
Ich weiß nicht, wie kritisch sich mein Vater als junger Mann mit dem Regime des Dritten Reichs auseinandergesetzt hat. Ich kenne von ihm nur eine klar ablehnende Haltung gegenüber den Nationalsozialisten. Die hat er, seitdem ich ihn kenne, zum Ausdruck gebracht.
Wie denn?
Privat hat er sich ernsthaft mit seiner Mutter zerstritten, weil sie sich noch Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg von Hitler nicht eindeutig distanziert hatte.
Winifred Wagner starb, als Sie zwei Jahre alt waren. Können Sie sich an sie erinnern?
Mein Kindermädchen Evi musste mich einmal in der Woche nach Wahnfried bringen, immer mittwochs. Dann wurde eine Decke ausgebreitet, ich wurde daraufgesetzt, und die Oma erfreute sich eine Stunde lang an mir und rauchte. Nach einer Stunde musste Evi dann wiederkommen, und Winifred sagte: Die Kleine ist sehr niedlich, Sie können sie jetzt wieder mitnehmen. Das weiß ich aus Erzählungen, erinnern kann ich mich daran nicht.
Solange Wolfgang Wagner lebte, gab es auf dem Grünen Hügel nie einen offiziellen Akt der Aufarbeitung der Jahre 1923 bis 1945. Haben Sie das Gefühl, Sie müssen das jetzt ausbaden?
Der private Nachlass meines Vaters ist bereits im Bayerischen Hauptstaatsarchiv und wird dort aufgearbeitet. Leider sind viele Dokumente verstreut. Es ist nicht immer eindeutig auszumachen, ob sie der Bayreuther Festspiele GmbH gehören, der Richard-Wagner-Stiftung oder einer Privatperson. Ich kann niemanden zwingen, sein Privateigentum zugänglich zu machen.
Ihre Cousine in München hütet angeblich einen Schrank, der nach dem Tod Winifreds zu ihr geschafft wurde. Darin sollen Briefwechsel zwischen Winifred und Hitler liegen.
Ich weiß nicht, was der Inhalt des Schranks ist. Ich weiß nicht einmal, ob es diesen Schrank noch gibt. Aber genau das ist das Problem. Solange das nicht geklärt ist, gibt es Raum für Spekulationen, und man setzt sich dem Vorwurf aus, das Material nicht zugänglich zu machen. Aber weil es sich um Privateigentum handelt, kann man die Offenlegung des Inhalts nicht so einfach erzwingen.
Denken Sie manchmal: In was für eine Familie bin ich da nur reingeraten?
Natürlich geht es manchmal bei den Wagners wortreich zu. Aber ist das
in anderen Familien tatsächlich anders? Es wird nur nicht bei allen öffentlich darüber berichtet.
Hilft es Ihnen heute, Wagner zu heißen? Oder schadet es eher?
Ich bewerte das gar nicht. Es ist, wie es ist. Ich könnte jetzt heiraten und den Namen meines Mannes annehmen, das würde aber nur auf dem Papier etwas ändern. Ich komme ja trotzdem aus dieser Familie.
Würden Sie, wenn Sie heiraten, den Namen Wagner ablegen?
Ich glaube nicht. Ich wäre dann für einen Doppelnamen.
Aus Angst um die Marke Katharina Wagner?
Wenn ich Regie führe und plötzlich einen anderen Namen habe, dann würde das verwirren. Wenn ich mich aufgrund des Regisseurs entscheide, eine Oper zu besuchen, wäre es auch unpraktisch, wenn sich Hans Neuenfels plötzlich Hans Müller nennen würde. Nach diesem würde ich nämlich nicht den Spielplan durchsuchen.
Was wären Sie ohne Bayreuth?
Eine Regisseurin. Der Beruf macht mir sehr viel Spaß.
Glauben Sie, dass Bayreuth Ihnen einen großen Startvorteil verschafft hat – viele Türen, die sich automatisch öffneten?
Zwar öffnen sich Türen leichter, aber sie schließen sich auch wieder schneller, wenn man sich nicht bewährt.
Wie lange haben Sie gebraucht, um zu dieser Abgeklärtheit zu kommen?
Ich würde nicht sagen, dass es eine Abgeklärtheit ist. Natürlich trifft mich das, aber wenn Sie in der Öffentlichkeit stehen und sich jeden Kommentar, den Sie über sich lesen, zu Herzen nehmen: Dann können Sie so eine Aufgabe nicht mehr erfüllen. Diese Erkenntnis habe ich schon sehr früh von meinem Vater mit auf den Weg bekommen, da dieser auch teilweise heftige Kritik einstecken musste.
Besonders in diesem Jahr haben ein paar Kollegen kein gutes Haar an den Bayreuther Festspielen gelassen – und damit an Ihrer Arbeit.
Wenn Sie frühere Kritiken der Bayreuther Festspiele lesen, werden Sie sehen, dass es seit Bestehen der Festspiele immer wieder negative Kritiken gab. Das ist kein besonderes Vorkommnis dieses Jahres.
Ist diese Nüchternheit, mit der Sie antworten, typisch für die Familie Wagner?
Ich kann nicht sagen, ob das bis Richard zurückgeht. Aber mein Vater war sehr ähnlich. Der hat die Dinge auch immer eher so genommen, wie sie waren. Obwohl er selbst eher ein aufbrausender Typ war, konnte er Auseinandersetzungen, die emotional aufgeladen waren, schnell auf den Boden zurückbringen und versachlichen.
Aber gerade in Bayreuth kracht es doch immer wieder besonders laut.
Das ist ein schönes Klischee. Aber das wäre grauenvoll. Und der Betrieb würde in kurzer Zeit nicht mehr funktionieren.
Was noch ist typisch Wagner?
Tatendrang, in künstlerischer Hinsicht Neues zu schaffen und zuzulassen. Auch eine gewisse Beharrlichkeit. Nicht: Wäre schön, wenn dies und das so wäre, wird schon werden. Sondern: Wann ist es so weit, kann ich das mal sehen, bitte, gleich, sofort, was fehlt noch, wo kann ich helfen? Eine Form der Zielstrebigkeit. Und: Hunde. Diese unendlich große Tierliebe.
Wie viele Hunde sind es zurzeit?
Zwei. Louise und Helga. Eine englische Bulldogge und ein Mops. Ich hätte auch nichts gegen drei.
»Er war ein Mensch, der anderen seine Meinung gelassen hat – auch wenn er vieles komplett anders gemacht hätte«
Katharina Wagner hat es als Tochter, Urenkelin und Ururenkelin berühmter Männer und Musiker nicht leicht. Ihr Vater ist Wolfgang Wagner (im Bild mit Katharina Wagners Mutter, seiner zweiten Frau Gudrun Mack), ihr Urgroßvater ist Richard Wagner - und ihr Ururgroßvater ist Franz Liszt (Foto: dpa).
Im Frühjahr 2010 starb Ihr Vater, in den letzten Monaten haben Sie ihn gepflegt.
Das Gute ist, dass ich mich verabschieden konnte – bei meiner Mutter konnte ich das nicht, das ist brutal. Wirklich selbst gepflegt habe ich ihn nicht, ich bin dazu ja nicht ausgebildet. Ich war einfach da. Habe mir viel Zeit genommen, die wir beide brauchten, und habe versucht, ihm jeden Wunsch zu erfüllen.
Was waren das für Wünsche?
Ganz unterschiedliche. In erster Linie gemeinsame Zeit. Auch während ich inszenierte, bin ich wirklich ständig nach Hause geflogen. Das ging so weit, dass jemand aus dem Regieteam meinte, wenn dein Vater einen Elefanten will, dann kaufst du ihn. Meistens waren es aber ganz einfach erfüllbare Wünsche, zum Beispiel sein Lieblingsgericht: fränkisches Schweineschäufele.
Hat er Ihnen noch etwas mit auf den Weg gegeben?
Nein, in dem Sinn nichts Neues. Er hat mir schon zuvor das Gefühl gegeben, dass er überzeugt ist, dass ich meinen eigenen Weg machen werde. Er hat mich immer bestärkt.
Warum, glauben Sie, hat er das gemacht?
Zum einen, weil ein Elternteil immer sein Kind bestärken sollte, zum anderen weil er ein sehr liberaler Mensch war. Ich kann mich da an eine schöne und charakteristische Szene erinnern. Christoph Schlingensief war auf der Bühne und schrieb mit weißer Farbe einen Satz in sein Parsifal-Bühnenbild: »Hier beten, max. drei Minuten.« Ich stand als Assistentin daneben und hielt den Farbeimer. Mein Vater lief abends immer einmal über die Bühne, das war eine alte Gewohnheit. Er kam, schaute sich das an, die Atmosphäre in diesem Moment werde ich nie vergessen. Schlingensief sagte: »Herr Wagner, ich mache hier Kunst.« Und mein Vater sagte nur: »Das freut mich!«, er merkte genau, dass hier gerade etwas entsteht. Er war ein Mensch, der anderen seine Meinung gelassen hat – auch wenn er vieles komplett anders gemacht hätte. Das ist vielleicht das Wichtigste, was ich von ihm gelernt habe.
Bei der Parsifal-Inszenierung krachte es heftig zwischen Christoph Schlingensief und Ihren Eltern. Ihr Vater hat Herrn Schlingensief über seinen Anwalt verboten, am Tag der Premiere die Bühne zu betreten. Schlingensief drohte an, abzureisen, wenn Ihr Vater die Projektionen manipuliert. Sie waren Regieassistentin. Sind Sie zwischen die Fronten geraten?
Dazu waren meine Eltern zu professionell. Natürlich war da bei mir eine große Loyalität – zu beiden Seiten. Aber da wurde auch vieles hochgespielt. Es gab kein Bühnenverbot für Schlingensief, lediglich die Auflage, am Premierentag nichts mehr zu ändern. Dies war notwendig, um den sicheren Ablauf des Stücks zu gewährleisten. Infolgedessen sind dann die Kommunikationsstrukturen verrutscht, und man hat zwischenzeitlich über die Anwälte kommuniziert. Das hat sich dann aber auch wieder hin zum persönlichen Gespräch entwickelt.
Wie haben Ihre Eltern eigentlich erfahren, dass Sie rauchen?
Papa hat mich erwischt, auf dem Balkon. Mehrfach.
Wie hat er reagiert?
Nicht sonderlich erfreut. »Sollte man nicht tun, ist gesundheitsschädlich, aber das weißt du selber«, sagte er. Ganz sachlich. Typisch.
Fotos: Julian Baumann