Wer schon mal im Homeoffice eine Videokonferenz mit Kleinkind auf dem Schoß absolviert hat, weiß, dass das ein Höchstmaß an Multitasking verlangt. Im Idealfall ist das Kind vom Bildschirm so fasziniert, dass es einfach mit offenem Mund vor sich hinstarrt. Im Normalfall aber quengelt es nach spätestens vier Minuten rum, will runter, will hoch, will den Schnulli, was zu trinken, und natürlich am liebsten die ganze Zeit auf irgendwelchen Knöpfen rumdrücken. Und man selbst muss währenddessen zuhören, reden, seriös und kompetent wirken, sprich: arbeiten.
Wer also diese Situation schon einmal erlebt hat, ahnt, wie es Anton Hofreiter am Montag im EU-Ausschuss ging. Der Grünen-Politiker hatte seinen 15 Monate alten Sohn auf dem Schoß, während er die Diskussion im Bundestag leitete – und zwar nicht per Video, sondern live. Auch wenn der Junge währenddessen sehr brav mit einem Spielzeugauto spielte: Es hätte auch jederzeit chaotisch und laut werden können, Kinder kennen da wenig Gnade.
Ein Mitarbeiter des Online-Dienstes des Deutschen Bundestages veröffentlichte ein Foto von den beiden auf Twitter, wo sich die Diskussion sofort in zwei Lager teilte: Die einen warfen Hofreiter Inszenierung und Show vor, andere wie die Grünen-Politikerin Katharina Schulze verwiesen darauf, dass er sicher gute Gründe gehabt und seinen Sohn schon häufiger durch die Flure des Bundestags geschoben habe.
So oder so: Das Bild hat Wirkung. Und das ist sehr gut.
Ein Vater, der während der Arbeit sein Kind auf dem Schoß hat, ist einfach noch immer so ungewöhnlich, dass er polarisiert. Klar, Hofreiter steht als Politiker in der Öffentlichkeit, die Bilder der Debatte waren im Fernsehen zu sehen. Das ist eine Ausnahmesituation. Dass ein Elternteil zugleich arbeitet und Kinder betreut, aber nicht. Allerdings handelt es sich dabei eben in den allermeisten Fällen um Mütter. Und die jüngsten Studien zur Belastung von arbeitenden Müttern während der Pandemie haben erschütternde Ergebnisse zutage geführt: Gerade während der vorletzten Coronawelle, als die Kitas und Schulen offiziell geöffnet waren, de facto aber wegen der Unmenge an Infektionen ständig dicht machen mussten, blieb ein Großteil der Betreuungsarbeit an den Frauen hängen, viele haben ihre Arbeitszeit verkürzt oder ihren Job ganz aufgegeben. Noch nie waren Mütter so erschöpft wie in diesem Frühjahr, berichtete unter anderem das Müttergenesungswerk.
Genau deshalb ist es so wichtig, dass es Bilder wie jenes von Anton Hofreiter mit seinem Sohn im Bundestag gibt, egal, ob es auch aus symbolpolitischem Kalkül entstanden ist (wovon man natürlich ausgehen darf und was auch nicht verwerflich ist, Politik ist immer auch Performanz). Die Diskussion zeigt, dass unsere Gesellschaft noch ganz weit weg davon ist, eine solche Situation als normal anzusehen. Und damit sie normaler wird, damit die Sorgearbeit gerechter verteilt wird, müssen eben viele Menschen solche ikonischen Bilder sehen. Wir wissen um die Macht des Optischen, oft kann das mehr bewirken als Tausende Worte. Als Debattenbeiträge, Artikel, Studien, in denen auf die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen, Vätern und Müttern in unserer Gesellschaft hingewiesen wird.
Man kann jetzt natürlich darauf hinweisen, dass eine Politikerin mit Kind auf dem Schoß vermutlich von vielen Menschen wahlweise als Rabenmutter oder unprofessionell bezeichnet würde, während Hofreiter zumindest von Teilen als Superdad gefeiert wird, nur weil er sein Kind auf der Arbeit dabei hat (ersteres hat der Fall der thüringischen Landtagsabgeordneten Madeleine Henfling vor vier Jahren gezeigt, die mit Baby in der Trage zur Sitzung erschienen und dann rausgeworfen worden war). Aber auch das beweist ja nur wieder die enorme Diskrepanz in der Wahrnehmung dessen, wer für die Sorgearbeit für Kinder in unserer Gesellschaft zuständig ist. Darüber muss gestritten werden, und nicht darüber, ob Hofreiter sich als Vater des Jahres inszeniert oder ob er wirklich einen Betreuungsengpass überbrücken musste.