Einen Tag vor dem Treffen mit dem Kurdenführer Ali Bapir kam es mit seinem Sekretär Mostafa zu folgendem Dialog: »Welche Zimmernummer hat Ali Bapir?« – »Room number nine eleven.« – »Which number?« – »Nine eleven!« In Mostafas braunen Augen war kein Zwinkern, kein Aufleuchten zu erkennen. Nicht eine sichtbare Regung oberhalb seines buschigen schwarzen Bartes.
Im Hotel »Azadi« im Norden Teherans findet die alljährliche Konferenz »zur Unterstützung des Befreiungskampfes Palästinas« statt. Ein Treffen für Kämpfer der palästinensischen Sache aus aller Welt, um Kontakte zu knüpfen, Gedanken auszutauschen. Und für den Iran regelmäßig eine gute Gelegenheit, sich als eine der führenden islamischen Nationen im Nahen und Mittleren Osten zu profilieren.
Mostafa erscheint zum verabredeten Zeitpunkt in der Lobby. Im Hotelcafé sitzt Leila Khaled, zusammen mit zwei Afrikanern. Leila Khaled entführte 1969 eine Linienmaschine auf dem Weg von Rom nach Athen, ihre zweite Flugzeugentführung scheiterte 1970. Sie gilt als Heldin der palästinensischen Befreiungsbewegung. Khaled und ihre Begleiter sitzen auf den grünen Sesseln, dem Bereich, der für Raucher reserviert ist. Die Decken der Hotellobby verzieren längliche Ornamente, die daran erinnern, dass man sich trotz der Marmorvertäfelung und Spiegelsäulen im Orient befindet. Geübte Augen hätten das auch an den weit offen stehenden Hemden der Kellner erkannt, denn Krawatten sind hier inzwischen verpönt.
Auch Ali Bapir ist zu dem Kongress eingeladen und Mostafa geleitet den Reporter in den neunten Stock. Ali Bapirs Sekretär hat ein gutes Jahr in Mannheim gewohnt, bevor die Behörden seinen Asylantrag ablehnten und ihn abschoben. Doch seine Sprachkenntnisse sind gut genug, dass er den Reporter gestern als Deutschen erkannte: Er lud ihn kurzerhand zu seinem Chef ein.
»Nine eleven« ist nur der Warteraum. Ali Bapir, ein kleiner gedrungener Mann mit freundlichem Blick, empfängt seine Gäste in 912. Das Zimmer ist für seine Größe spärlich möbliert: ein Doppelbett, eine Anrichte aus dunklem Holz, auf der ein Fernseher thront. Al-Jazeera meldet soeben den Durchbruch bei den Verhandlungen über die Bildung einer Regierung in Bagdad. Im Hintergrund eine Sitzgruppe in gedecktem Erdbeerrot, farblich passend zum abgenutzten Teppichboden.
Die Zimmer 911 und 912 liegen nach hin-ten hinaus, aus dem Fenster blickt man auf das bekannte Teheraner Ewin-Gefängnis, in dem das Regime seine politischen Gefangenen einsperrt. Auch Ali Bapir war politischer Gefangener. Aber beim US-Militär. Er wurde im Irakkrieg von den Amerikanern verdächtigt, eine Giftküche für chemische Waffen zu betreiben, und saß 22 Monate ohne Anklage im berüchtigten Sicherheitstrakt am Bagdader Flughafen ein. Die Konferenz will er dazu nutzen, Werbung für sein neues Projekt zu machen: eine weitere islamistische Partei im Irak, die bereits 10 000 Mitglieder haben soll. Auf die Frage, was er vom gegenwärtigen iranischen Präsidenten hält, sagt Bapir: »Ahmadinedschad ist auf dem Weg, eine bedeutende Figur in der islamischen Welt zu werden. Viele finden, da ist endlich mal jemand, der zum Holocaust und zu Israel sagt, was wir alle denken. Er ist frei gewählt worden, hat also große Unterstützung. Und er ist ein bescheidener Mann. Das beeindruckt viele.«
Wenn es in Teheran derzeit einen internationalen Treffpunkt gibt, an dem unverhoffte Begegnungen wie diese möglich sind, dann ist es das »Azadi Grand Hotel«, eines der besten Hotels im Iran. Fünf Sterne und alles, was zu einem Haus der Weltklasse gehört: Swimmingpool (Öffnungszeiten nach Geschlechtern getrennt), Health Club, zwei Restaurants, eine Cafeteria und das Café in der Lobby. Es gibt sogar eine eigene Bank in dem 26-stöckigen Gebäude sowie eine kleine Einkaufspassage. Mit seiner kastenförmigen Struktur, der schmucklosen braunen Fassade und der nüchternen Siebziger-Jahre-Architektur könnte das Gebäude auch das Stadtzentrum einer durchschnittlichen amerikanischen Großstadt bestimmen.
Als das Hotel vor 28 Jahren gebaut wurde, hieß es »Hyatt«, der Schah regierte und das Haus war eine beliebte Adresse für Gäste aus den USA. Diese Zeit währte nicht lange. Ein gutes Jahr später kam die Revolution und das amerikanische Eigentum wurde in den Besitz einer karitativen religiösen Stiftung überführt. Der heutige Stand der Beziehun-gen zwischen dem Iran und den USA zeigt sich im »Azadi« etwa daran, dass die gängigen US-Kreditkarten aufgrund der Sanktionen hier nicht gültig sind. Die Gäste behelfen sich mit Bargeld, wobei die Zimmerpreise weiterhin in US-Dollar berechnet werden, 138 für das Einzel-, 173 für das Doppelzimmer. 50-Dollar-Noten aus der Zeit vor 1990 und 100-Dollar-Noten vor 1996 akzeptiert die Hotelleitung allerdings nicht, wie ein Schild an der Rezeption verrät: Nur Banknoten jüngeren Datums gelten als fälschungssicher.
Hohe Gäste der Regierung werden gewöhnlich im »Azadi« untergebracht, es ist ein Seismograf der internationalen Beziehungen des Iran. Die deutsche Fußballnationalmannschaft hat hier früher übernachtet, ebenso Joschka Fischer und auch der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde Mohammed ElBaradei steigt im »Azadi« ab, wenn er wieder einmal versucht, mit der iranischen Regierung ins Gespräch zu kommen. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier war noch nicht da, derzeit führt die Bundesregierung kaum direkte Gespräche mit der Staatsführung in Teheran. Die Kontroverse um das iranische Atom-programm hat zu einer Eiszeit im Verhältnis zwischen dem iranischen Regime und den europäischen Regierungen geführt. Zumindest die besonnenen Politiker in der iranischen Regierung befürchten, dass das Land auf dem Weg in die internationale Isolation ist.
Mit viel Mühe hatte man in den letzten Jahren im Iran versucht, die freundliche Seite des Landes zu zeigen und die Vergangenheit vergessen zu lassen. Der frühere Präsident Mohammed Khatami schlug einen »Dialog der Zivilisationen« vor, bereiste die Nachbarländer und erklärte dem Rest der Welt, der Iran sei ein Staat wie jeder andere auch. Sein Nachfolger Mahmud Ahma-dinedschad dagegen verfolgt offenbar das Motto »Viel Feind, viel Ehr«: Wer will mit einem Mann reden, der behauptet, der Holocaust sei nicht bewiesen, um sich bei radikalen Islamisten einzuschmeicheln?
Der Hotelbedienstete Ali – seinen Nachnamen will er lieber nicht erwähnen – arbeitet im »Azadi« seit dem Tag der Eröffnung. Er kennt die 480 Zimmer besser als sein eigenes Zuhause; beim Gang durch die Zimmerflucht der Präsidentensuite (700 US-Dollar pro Nacht) erzählt er nicht ohne Stolz, wer schon darin gewohnt hat. Früher waren es Präsidenten und Diplomaten, dann Scheichs und religiöse Führer. Jetzt steht das Zimmer 2412 seit Wochen leer, überhaupt ist gerade nur ein Fünftel des Hotels belegt. »Jemand von einem kuwaitischen Fußballverein hat neulich die Suite reservieren lassen«, seufzt Ali, »aber dann ist doch nichts daraus geworden.« Etwas melancholisch streicht er über die Rückenlehne des Sofas und den runden Tisch des hohen Raumes, dessen große Fenster einen Rundblick über die smogverhangene Stadt bieten.
Ali gefällt die Arbeit, auch wenn er seit seiner Einstellung auf eine Gehaltserhöhung wartet. »Als die Amerikaner noch hier waren, war das gutes Geld, aber seither ist alles teurer geworden.« Er trägt die braun-beige Jacke aus den alten »Hyatt«-Beständen, die Bordüren an den Taschen sind verschlissen, nur das neue Logo des »Azadi« mit dem Bogen und der stilisierten Tulpe über den fünf Sternen hat man auf die Brusttasche genäht.
Zum Beruf des Hotelmitarbeiters gehört Diskretion. Ali redet daher nicht viel und erst recht nicht über Politik. Nur das: Seine beiden Söhne, 24 und 27 Jahre alt, sind arbeitslos. Die Revolution hat seiner Familie keinen Wohlstand gebracht. Und Ahmadinedschad? Alis müdes Gesicht hellt sich auf, aber er schweigt, denn das ist Politik.
Die Fußballer aus Kuwait, die nun mit den billigeren Zimmern vorlieb genommen haben, lümmeln in den Sesseln in der Lobby, trinken Tee und machen Lärm. Die iranischen Gäste versuchen, das flegelhafte Verhalten vornehm zu ignorieren. Die Truppe hat in dem bevorstehenden Spiel gegen den iranischen Meister Esteghlal ohnehin keine Chance, außerdem halten die meisten Iraner Araber für unzivilisiert – egal, wie viel Geld sie haben mögen.
Said, der den kleinen Buchladen in der Einkaufspassage betreibt, ist da keine Ausnahme, aber Rassismus kann er sich nicht leisten. Er ist ja schon froh, wenn sich die Spieler bei ihm eine Packung Zigaretten kaufen, sobald der Trainer nicht hinsieht. Im Fenster des Geschäfts liegt ein Buch mit edlem rotem Einband und dem in Gold geprägten Titel Iran. Philosophy of the Revolution, der Preis: rund 250 Euro. Es ist eines der Bücher, die Schah Reza Pahlevi seinen Gästen einst als Geschenk gab. Wie das Buch in seinen Laden gekommen ist, weiß Said nicht. Vielleicht ist es noch ein Überbleibsel aus vorrevolutionären Zeiten, vielleicht hat es ein Gast im Hotel vergessen. »Ein Sammlerstück«, sagt Said.
Saids Laden birgt noch andere antiquarische Schätze, darunter eine Kollektion deutscher Krimis in roten Pappeinbänden mit Charles Bronson und Clint Eastwood auf dem Titel. Am Eingang sind eine Reihe von amerikanischen Magazinen ausgelegt, House and Garden, Interior Design oder Living. Manche sind mehrere Monate, andere mehrere Jahre alt. Gelegentlich kauft eine elegant gekleidete Dame eine Zeitschrift, um sich die Zeit zu vertreiben, während sie auf ihre Freundinnen wartet.
Das Café in der Lobby ist am Nachmittag ein beliebter Treffpunkt für Kaffeekränzchen. Der Obstkuchen und die Schwarzwälder Kirschtorte sind gut, der Cappuccino genießbar. In Teheran gibt es eine Reihe von Cafés, aber die Gäste dort sind meist sehr jung und die Räumlichkeiten eng. Das »Aza-di« dagegen weckt zumindest den Anschein von Weltläufigkeit. Mit etwas Fantasie kann man sich tatsächlich vorstellen, in einer Hotellobby in Paris oder New York zu sitzen. Besonders seitdem das Management vor drei Jahren die große Aufschrift »Imam Khomeini sagt, die USA sind der größte Feind des Volkes« abmontiert hat.
An den Tischen plaudern Damenrunden über Familie, Freunde und tauschen Einladungen zu Dinnerpartys aus. Gelegentlich werden Klagen über die neuesten Verrücktheiten der Regierung eingestreut, aber man kennt das ja: Eigentlich ist seit der Revolution immer alles nur schlechter geworden, wenn man mal vom Einkommen der Gatten absieht, die es verstanden haben, sich mit dem herrschenden Regime zu arrangieren. Ahmadinedschad zu erwähnen ist schlechter Stil, er gilt in dieser Damenrunde als primitiv. »Wer würde schon einen solchen Brief an Präsident Bush schreiben?«, fragt Newsha, eine der Damen, und wartet die Antwort gar nicht erst ab. »Da muss man schon verrückt sein. Oder ein Mullah.« Ihre drei Begleiterinnen lachen. »Ahmadinedschad spricht wie ein Bauer vom Land«, sagt Freundin Naghmeh. Mit ihren sorgfältig manikürten Fingern drückt sie wütend die Zigarette im Aschenbecher aus. Newsha liest den anderen gerade aus dem Kaffeesatz. Ihre schwere Goldkette schlägt klirrend gegen die Tasse, die Newsha im Kreis schwenkt, bis der Kaffeesatz ein Muster bildet.
Ob er auch die Zukunft vorausgesagt bekommen möchte, wird der Gast aus Deutschland gefragt. Warum nicht? Eine schöne, reiche Frau werde bald eine große Rolle spielen, beginnt Newsha zu erzählen, nachdem sie einen Moment die Reste des Espresso studiert hat. Ob sie denn auch sehen könne, wann die Amerikaner einmarschieren würden, um die Iraner von diesem Regime zu befreien? »Ich bin weiß Gott kein Freund der Mullahs«, sagt Naghmeh plötzlich sehr ernst. »Aber ein Einmarsch der Amerikaner ist das Letzte, was wir brauchen.« – »Schauen Sie sich doch an, was im Irak passiert«, ergänzt ihre Freundin Afshan. »Sie werden hier keinen finden, der sich einen neuen Krieg wünscht.«
Wenn pünktlich um halb sieben der Klavierspieler an dem großen schwarzen Flügel in der Mitte der Lobby Platz nimmt und mit seinem allabendlichen Repertoire gedämpfter Cocktailmusik beginnt, wechselt auch das weibliche Publikum. Die Damen werden jünger, die Kleider bunter und enger. »Wir wissen, wer hier wer ist«, sagt ein Hotelangestellter, der hier nur Mohammed heißen soll. Prostituierte? Kopfnicken. Die Damen dürfen aber nicht mit aufs Zimmer, auch nicht gegen ein Bestechungsgeld, es werden anderweitige Arrangements getroffen. Es gibt diskrete Zimmer in der Stadt, wo auch einheimische Kunden empfangen werden. Mit Bestechung funktioniert im Iran sonst fast alles; im »Azadi« aber nicht. Da so viele Ausländer in dem Hotel absteigen, wimmelt es vor Mitarbeitern des Geheimdienstes, zu erkennen an ihren schlecht sitzenden Anzügen in schmuddeligem Grau oder gedecktem Grün und an den ungeputzten Schuhen.
Die Spitzel sind inzwischen nahezu beschäftigungslos, denn aus dem Westen kommen kaum noch Besucher, Touristen schon gar nicht. »Nine eleven«, sagt Mohammed und diesmal ist nicht die Zimmernummer von Ali Bapir gemeint, sondern der Krieg, den die Amerikaner mehr als tausend Kilometer entfernt in Afghanistan führen. Und, sehr viel näher, der Krieg im Irak.
Nur die Geschäftsleute aus Frankreich, Deutschland oder Italien sind noch einige Zeit gekommen, gern sogar, denn der Iran ist ein kaum entwickelter Markt mit fast 70 Millionen Menschen. Das Land will wirtschaftlich nach vorn, schöpft aus den Einnahmen der Ölproduktion, und da sich die Amerikaner mit ihren Sanktionen selbst den Zugang versperrt haben, konnten die Europäer das Geschäft weitestgehend unter sich ausmachen.
Aber dann wurde Ahmadinedschad gewählt und will den Iran seitdem zur Atommacht aufbauen. Nicht nur die Amerikaner, auch die Europäer drohten mit Sanktionen, und bis sich das Verhältnis zum Iran nicht endgültig wieder entspannt, wollen die Geschäftsleute aus dem Westen nichts riskieren. Die Lücke füllen andere. Herr Salman Khan aus Karatschi zum Beispiel, der eine pakistanische Firma für Hühnerzucht vertritt. Er sagt: »Hühner werden immer gegessen. Was auch kommen mag.« Oder Herr Wang aus Shanghai, der zu seinem Apfelkuchen frisch gepressten Orangensaft bestellt hat, in bestem Englisch. Herr Wang verkauft Maschinen, mit denen man Plastik pressen kann. Viermal war er schon in Teheran, aber noch nie liefen die Geschäfte so gut wie im Moment. »Nachdem die Deutschen und die Schweizer nicht mehr hier sind, gibt es keine Konkurrenz«, sagt er. »Zudem fördert die neue Regierung die Wirtschaftsbeziehungen mit China.« China hat sich bisher immer im Weltsicherheitsrat gegen Sanktionen ausgesprochen, und je mehr wirtschaftliche Interessen auf dem Spiel stehen, desto geringer wird die Neigung sein, sich dem Druck der USA zu beugen.
Chinesen haben auch den Auftrag zur Renovierung des Hotels erhalten, erzählt Mahdi Barati, der Manager des »Azadi«. Er hat sich vom einfachen Kassierer an der Rezeption hochgearbeitet, mit Zwischenstationen in einem Hotel in Mekka und einer Schule für Hotelmanagement in Schottland. Eingebracht hat ihm dieser Aufstieg ein kleines, fensterloses Büro mit Wasserflecken unter der Decke im ersten Stockwerk. Nicht nur dieses Büro hat eine Sanierung nötig, sondern das gesamte Gebäude. Vor zehn Jahren sind die Wände das letzte Mal gestrichen worden. In zwei Monaten will Barati das Hotel deshalb für längere Zeit schließen. Woher er den Optimismus nehme, in diesen politisch angespannten Zeiten eine teure Renovierung zu planen? »Ich glaube, dass Bush nur blufft, wenn er uns droht. Am Ende werden die Amerikaner klein beigeben.« Pause. »Hoffe ich jedenfalls.«
Wenige Tage später wird die Renovierung des Hotels »Azadi« verschoben. Auf unbestimmte Zeit.