Roland Koch, geboren am 24. März 1958, gehört zu den wenigen Menschen, die mit Anzug und Krawatte auf die Welt gekommen sind. Er hat das als Verpflichtung betrachtet, sich nicht lang mit dem Jungsein aufzuhalten. In einem Alter, in dem andere rote Herzchen auf ihre Briefe malen, unterschrieb er die seinen "mit vorzüglicher Hochachtung" und gründete eine Ortsgruppe der Jungen Union. Rolli, wie ihn seine Freunde nennen, war da gerade 14 Jahre alt - und er galt den konservativen hessischen Herren, die sich gern Ränke schmiedend in der Wohnung seines Vaters trafen, als ein politisches Wunderkind, das über die Linken so herrlich herziehen konnte wie sie selber. In der Zeit, als Joschka Fischer im öffentlichen Raum Steine warf, lernte also der zehn Jahre jüngere Roland Koch zu Hause am Küchentisch von den Altvorderen der hessischen CDU die Kunst der politischen Schwarz-Weiß-Malerei und die Fertigkeit, politische Gegner unschädlich zu machen. Mit Joschka Fischer versucht er das frei- lich, wie weiter unten zu zeigen sein wird, bis zum heutigen Tage vergeblich. Aus dem jungen Roland wurde jedenfalls kein eitler Yuppie, sondern ein altkluger, beflissener und strebsamer Jungpolitiker. Wäre er ein wenig sportlicher gewesen, hätte er damals als politischer Jung Siegfried durchgehen können - zumal er später, erst als Vierzigjähriger freilich, ein Bad im Drachenblut genommen hat: Seitdem Roland Koch den hessischen Schwarzgeldskandal unerschütterlich lügend durchgestanden hat, gilt er als unverwundbar und unverfroren.
Kein anderer Unions-Politiker hat einen vergleichbar maliziösen Ruf. Am Anfang, als der Skandal aufflog, hat sich Koch noch dafür entschuldigt, nicht die Wahrheit gesagt zu haben. Schon bald korrigierte er sich und bekannte nur noch, die Öffentlichkeit "nicht vollständig informiert" zu haben. Man sieht: Koch beherrscht die Orwellsche Sprechweise. Bad im Drachenblut? Heute sagt man das so: Koch sei mit einer politischenTeflonschicht überzogen. Doch das öffentliche Urteil neigt zur Übertreibung. Kohl hat einst in seinen jüngeren Jahren mindestens drei Skandale von Koch'scher Art durchstehen müssen, bis man ihm, der bespöttelten "Birne", Steherqualitäten zuerkannte. Die Bewunderung für einen Politiker setzt heute, wie man sieht, schneller ein und sie hört dafür gegebenenfalls auch schneller wieder auf. Und ob einer ein Star bleibt oder ein maßlos überschätzter Loser wird - darüber kann ein halbes Prozent bei einer Landtagswahl entscheiden.
DER PUBERTIERENDE ROLLI war sehr gelehrig. Rolli lernte von Alfred Dregger und Manfred Kanther, von der so genannten hessischen Knüllwald-Mafia also, er lernte von ihnen, die Welt nach simplen Mustern einzuteilen. Er lernte von seinem soignierten Vater Karl-Heinz, dem Berufspolitiker, Wirtschaftsanwalt und Aufsichtsrat der Firma Triumph International, dass man bei aller politischen Rabaukerei auch etwas persönlich Distanziertes behalten muss. Er lernte also, dass ein Politiker ab und an sehr gemein sein muss, um sich Respekt zu verschaffen, dass er sich aber nicht sehr gemein machen darf mit den Gemeinen. Er lernte auch schnell, dass man nicht schön sein muss, um sich in der Politik durchzusetzen - und so sieht man auf älteren Fotos von CDU-Parteitagen, wie ein dicklicher Koch den Riesen Kohl bewundernd anstrahlt. Schon bevor Rolli strafmündig wurde, hatte er die diebische Freude daran entdeckt, den politischen Gegner aufzumischen - und das wiederum freute die schwarze Kampfgemeinschaft seiner väterlichen Freunde.
Nur eines lernte er nicht: Selbstzweifel. Rolli war nicht nur gescheit, sondern siebengescheit und daher übernahm er, ohne die üblichen Irrungen und Wirrungen der Pubertät, die Wertungen und Werte der Alten. Er wusste als Schüler, wie man die bärtigen jungen Achtundsechziger-Lehrer mittels brauner Sprüche zur Weißglut bringt. Überhaupt: Er wusste besser als fast jeder Altersgenosse, was er wollte - möglichst schnell nach oben, klar; aber Rolli wusste auch, wie: ohne Umschweife, ohne suchendes Herumprobieren, ohne Streifzug durch die Welt. Er war mit 15 schon da, wo andere mit 35 ankommen. Er drängte sich in den Aufzug der hessischen CDU und drückte dort alle Knöpfe, die er erreichen konnte.
Als er, wie sein Vater, Rechtswissenschaft studierte, natürlich rasch und an der nächstgelegenen Universität in Frankfurt am Main und sonst nirgendwo, war er nicht nur Student, sondern auch Infant: "Infant" nannten ihn misstrauische, altgediente Kreisgeschäftsführer, als der jugendliche Stadtverordnete und Kreisrat Roland Koch aus Eschborn mit 21 Jahren den CDU-Kreisverband Main-Tanus als Vorsitzender übernahm. Und von da an war er fast immer der Jüngste, wie dreißig Jahre früher sein Vorbild Helmut Kohl: Im Landtag mit 29 Jahren, Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion mit 32, Ministerpräsident mit 41, und wie das Vorbild schlüpft er des Abends am Schreibtisch gern in eine Strickjacke. Rundum-Sozialisation in einem Umkreis von vierzig Kilometern: Eschborn-Frankfurt-Wiesbaden. Der Radius der Welt des Roland Koch ist ziemlich klein, aber sie hat einen vergoldeten Tellerrand. Und weil er zeigen will, dass er auch über diesen hinausblicken kann, pflegt er Freundschaft mit dem Dalai Lama. So weit hat es Guido Westerwelle, der Altersgenosse von der FDP, der seine Karriere - Bonn, Bonn, Berlin - ähnlich zielstrebig geplant hat, nicht gebracht.
ROLAND KOCHS POLITISCHEN GEGNERN in Hessen ist das Lachen spätestens vor vier Jahren vergangen. Insgeheim hatten sie nämlich über das in ihren Augen semmelartige Gesicht des Kandidaten gefeixt und ihm, auf den Spuren Lavaters, einen Hässlichkeitsmalus angedichtet. Der alte pietistische Pfarrer Johann Kaspar Lavater aus Zürich und seine alberne Lehre von der Physiognomik, die auf den Charakter schließen lasse, feierte also 200 Jahre später unter Sozial- demokraten und Grünen fröhliche Urständ. Sie glaubten, im Fernsehzeitalter, das vom schönen Schein lebt, könne so einer wie Koch partout keinen Erfolg haben.Wer das gebildet sagen wollte, zitierte Cicero und seinen Satz "Alles liegt im Gesicht" oder Ludwig Wittgensteins "Das Gesicht ist die Seele des Körpers". Aber Lavater und Cicero und Wittgenstein kamen gegen Koch und die Mobilisierungskraft seiner Kampagne gegen den Doppelpass nicht an. Dabei hätten die Linken es aus ihren wilden Studentenzeiten wissen müssen, dass man nicht wie Robert Redford aussehen muss, um ein Publikum in Bann zu schlagen. Sie hatten das Charisma des Studentenführers Hans-Jürgen Kahl vergessen, des SDS-Cheftheoretikers mit dem Glasauge, eines Mannes, von dem der Schriftsteller Gerhard Zwerenz sagte, er sei so hässlich, dass er schon fast wieder schön sei.
Sicher: Roland Koch ist kein Sympathieträger, er ist keiner, dem die Herzen zufliegen. Die Leutseligkeit des Helmut Kohl steht ihm nicht zu Gebote und vom Typ Landesvater ist er so weit weg wie die Erde vom Mond. Nolens volens verzichtet er darauf, dass die Leute ihn lieben; es reicht ihm, wenn sie ihn respektieren. Und wenn es um seine politischen Gegner geht, dann hält er es mit dem Lieblingswort des römischen Kaisers Caligula: Oderint, dum metuant - mögen sie mich hassen, wenn sie mich nur fürchten. Und das tun diese auch, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil dieser Roland Koch etliche unerhörte Gaben zeigt: nicht nur die Gabe der Kaltschnäuzigkeit und der unerhört schnellen Auffassungsgabe, sondern auch die des hervorragenden Redners.
Die seltsame Scheu, die er hat, wenn er einzelnen Menschen begegnet, und die vielleicht damit zu tun hat, dass er weiß, dass er nicht den hessischen Kennedy darstellt - diese Scheu ist wie weggeblasen, wenn er sein Publikum in Vielzahl und ein Rednerpult vor sich hat. Dann kann er reden wie ein Demosthenes, druckreif ohne Zettel, ohne jede Notiz, eine Stunde, eineinhalb Stunden lang - und trotzdem besser als andere, die ein sorgfältiges Manuskript vor sich liegen haben. Und er kann dabei den Eindruck erwecken, dass er etwas zu sagen hat; er kann, Doppelpass-Kampagne hin oder her, sogar so tun, als sei ihm die Integration von Ausländern ein Anliegen.
ER KANN MÄCHTIG STAUB AUFWIRBELN und wenig später den Nachdenklichen mimen, der sich wundert und darüber klagt, dass es so heftig staubt. Er ist, wie einst der junge Ministerpräsident Helmut Kohl in Rheinland-Pfalz, für Überraschungen gut, die zum hart erarbeiteten Ruf des Hardliners nicht passen wollen. Kohl beispielsweise hat damals die Fahne des Hambacher Festes, der ersten demokratischen Massenversammlung im Jahr 1832, in den Plenarsaal des Landtages hängen lassen. Er hat den Kontakt zu Wissenschaft und Kunst gesucht und er hat gesellschaftliche Randgruppen bewusst in seine Arbeit einbezogen - er setzte sich für die Humanisierung des Strafvollzuges ein und begnadigte in seinem ersten Amtsjahr als Ministerpräsident acht zu lebenslanger Haft verurteilte Strafgefangene. Letzteres würde zwar Koch nicht im Traume einfallen, weil die hessische Law-and-Order-Truppe, die sich von jeher gern an der CSU orientiert hat, dann in Heulen und Zähneknirschen ausbrechen würde.
Aber mit Kunst und Künstlern schmückt sich Roland Koch auch gern und hat zu diesem Zweck den hessischen Kulturpreis geschaffen, den er mit größtem Vergnügen an Habermas und Co. verleiht. Die Intellektuellen und die großstädtischen Bürger sollen ihn, der den Leviathan und das Glasperlenspiel liest und der sogar Niklas Luhmanns Kunst der Gesellschaft kennt, nicht für einen ungebildeten Trottel halten.
WER ALSO IST DIESER ROLAND KOCH? Er ist eine Mischung aus einem Neoliberalen und einem Nationalkonservativen mit einem Schuss gut kalkulierter Unberechenbarkeit, die er gern als Liberalität verkauft, weil er als Rechtsintellektueller gelten möchte. Und was treibt diesen Mann an, was hat er über das hinaus, was andere umtriebige und machtbessene Politiker auch haben? Roland Koch hat ein Joschka-Fischer-Trauma. Er kann es schier nicht aushalten, dass so einer, mit einem Lebenslauf wie ein geringelter Schweineschwanz, fast ganz oben an der Staatsspitze steht. Er empfindet es als persönliche Beleidigung, dass so einer, der sich einst aus der ehrbaren Gesellschaft verabschiedet hatte, nun in aller Welt mit mili-tärischen Ehren empfangen wird. Er empfindet es als historisch ungerecht, dass so einer, der diesen Staat einst zum Teufel gewünscht hat, nun diesen Staat repräsentiert.
Roland Koch sieht in Fischer einen ehemaligen Halb-Terroristen, einen Feind der strebsamen Nachfolge-Generation, als deren Repräsentant er, Roland Koch sich wähnt. Alles, was ihm widerstrebt, repräsentiert dieser Joschka Fischer, der in seinem Leben alles so ganz anders gemacht hat als er. An diesem Fischer arbeitet er sich also ab, seitdem er in den Landtag eingezogen ist. Als umweltpolitischer Sprecher seiner CDU-Fraktion hat sich Koch mit dem Grünen gemessen, er hat sich in zwei Atom-Untersuchungsausschüssen als Konterpart gegen ihn profiliert - und doch war ihm dieser Fischer letztendlich wieder voraus in Bonn, in Berlin, auf Bundesebene. Und Fischer hat die Popularität, nach der sich Koch vergeblich sehnt.
Roland Koch muss schon deswegen Kanzler werden, weil er die Achtundsechziger schlagen muss, weil er den Kampf, den er schon in der Schule mit den Achtundsechziger-Studienreferendaren aufgenommen hatte, zu Ende führen muss. Der Zweck heiligt dabei die Mittel, auch die Mittel der hessischen Justiz. Der dringende Verdacht der Instrumentalisierung der hessischen Straf- justiz zu parteipolitischen Zwecken steht im Raum: Das Ermittlungsverfahren beispielsweise, das die Staatsanwaltschaft Frankfurt im Februar 2001 gegen Fischer wegen angeblicher Falschaussage einleitete, war die Abdankungsurkunde einer unabhängigen Ermittlungsbehörde - sie machte sich damals zum Exekutivorgan der hessischen CDU-Regierungspolitik.
Der Vorwurf der Falschaussage war gegen Fischer ausgelegt worden wie eine Leimrute, um im Zuge der Ermittlungen irgendetwas Anrüchiges gegen den Außenminister zu finden - was angesichts der gewalttätigen frühen Jahre des Joschka Fischer nicht auszuschließen war. Merkwürdige Hausdurchsuchungen fanden statt, unter anderem in den Büro- und Privaträumen des Hamburger Politologen und Fischer-Biografen Wolfgang Kraushaar (Fischer in Frankfurt - Karriere eines Außenseiters). Festplatten wurden aus Kraushaars Computern ausgebaut, wohl in der Hoffnung, darauf Belastendes gegen Fischer zu finden. Das hessische Ermittlungsverfahren gegen den amtierenden Außenminister musste wieder eingestellt werden. Aber das Duell gegen Fischer ist für Koch noch lang nicht zu Ende.
ROLAND KOCH IST 44 JAHRE ALT. Als seine Vorbilder nennt er Hannibal, Kolumbus und Kohl. Hannibal überquerte samt Heer und 37 Kriegselefanten die verschneiten Alpen im Alter von 28 Jahren. Kolumbus entdeckte Amerika mit fünfzig Jahren. Kohl wurde mit 59 Kanzler der Einheit. Roland Koch hat also noch ein wenig Zeit für seine Taten; es sei denn, er verliert, wie einst Vorbild Hannibal, die Unterstützung aus der Heimat. Danach sieht es momentan nicht aus. Die erste Entscheidung darüber fällt am 2. Februar.
Erschienen im SZ-Magazin vom 24. Januar 2003
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