Zwei Diener vor dem Herrn: Erzengel Michael und CSU-Mann Huber, am Eingang der Pfarrkirche Reisbach.
Das Kartell der Verdienstvollen sitzt vorne am Tisch. Drei Herren in dunklem Anzug. Drei Herren jenseits der 60. Drei Herren, die wissen, was sie wollen: keine Überraschungen. Als Erstes steht der altgediente Landrat auf. Geschlossenheit, sagt er, darauf komme es an. Eigentlich müsse die CSU gar keinen Wahlkampf machen, man könne doch überall die Früchte ihrer erfolgreichen Politik sehen. Und der Mann, der das möglich gemacht habe, müsse wieder in den Landtag, der Beste, das sei doch klar. »Ich bin dankbar, Erwin, dass du dich wieder bereit erklärt hast, zu kandidieren.« Dann erhebt sich der langjährige Kreisvorsitzende. Er fragt: »Gibt es weitere Bewerber?« Er wartet genau zwei Sekunden. Es gibt keine.
Es ist Anfang November und es ist der wichtigste Tag in diesem Jahr für Erwin Huber. Es geht um seine Zukunft, vielleicht sogar sein Leben, auf jeden Fall um den Sinn seines Lebens. Er will noch einmal in den Landtag, noch einmal fünf Jahre in die Politik. Es sitzen 150 CSU-Mitglieder im Saal des »Gasthauses Köck« in den niederbayerischen Weiten hinter Landshut. Sie sollen ihn nominieren – und dort hinten im Saal scharren sie schon mit den Füßen. Die Jungen, Hungrigen, Ehrgeizigen, von der Frauen Union, von der Jungen Union, all diese Zweiten Bürgermeister, die riechen, dass man jetzt wieder etwas werden kann in der CSU. Denn die Umfragen stehen gut für die bayerische Regierungspartei, vielleicht kann sie sogar die absolute Mehrheit zurückgewinnen. Doch da vorne steht Huber, seit 34 Jahren im Landtag, Ex-Generalsekretär, Ex-Finanzminister, Ex-Wirtschaftsminister, Ex-Staatskanzleichef, Ex-Parteichef. 66 Jahre alt.
Wer es gut mit ihm meint, hat ihm abgeraten, noch einmal anzutreten. Wer ihn schätzt, will nicht hören, wie seine Parteifreunde tuscheln, warum er ihnen das antue. Eine langjährige Vertraute hat ihn entgeistert angestarrt und spontan gefragt: »Erwin, wie tief willst du noch sinken?« – »Ich bin süchtig«, hat er geantwortet. »Es gibt für mich nichts Schöneres als Politik.«
Sie sitzen da hinten im Saal, mit dem unterdrückten Grimm derer, die nicht wagen aufzumucken. Dann spricht Huber. Er braucht jetzt einen coolen Spruch. Einen, der den Kritikern klarmacht, warum nur er infrage kommt für den Landtag, trotz allem. Er sagt: »Jugend ist keine Garantie für Innovation.«
Hinten ächzen sie.
Huber war vor ein paar Tagen im Kino. Er hat den neuen James Bond gesehen. Und er hat bei Bond abgeschaut, wie man im Job überlebt, obwohl man durch die Tauglichkeitstests fällt. Bond sagt das mit der Jugend und der Innovation zu seinem neuen Waffenmeister »Q«, einem milchgesichtigen Computer-Nerd. Huber aber sagt ihn zu einem Saal voll ehrgeiziger Nachwuchspolitiker.
»Wir Jungen sind dann nicht innovativ, oder?«, mault ein stämmiger Kerl aus der Jungen Union. »Das will er uns doch sagen, der James Bond von Reisbach.« Aus Reisbach stammt Huber. Ein ganz Schneidiger sagt: »Huber hat viele Türen geöffnet, aber jetzt schlägt er auch viele Türen zu. Es geht doch nicht, dass immer die eine Stimme gegen Seehofer von Huber kommt. Das bringt uns nichts.«
Es sind die Gleichen, die sonst über Resopalplatten-glatte Berufspolitiker klagen, über Partei-Klone, die ihre Meinung den Umfragen anpassen. Und die die großen kantigen Männer aus längst vergangener Zeit rühmen, einen Franz Josef Strauß oder einen Willy Brandt.
Dann stimmen sie ab. 108 Stimmen könnte Huber bekommen, er bekommt 87. Es ist, als halte der Saal den Atem an. Das war nicht vorgesehen. Zwei, drei Abweichler – gewiss. Aber 21? Schnell nimmt Huber die Wahl an. Er packt den Blumenstrauß ein, den sie ihm geben. Keine Diskussionen jetzt. Er ist nominiert. Die Wahl des CSU-Mannes bei der Landtagswahl im Herbst 2013 ist nur noch Formsache. Hinten im Saal sitzen zerknirscht die Jungen. Hätten Sie doch aufstehen sollen?
Nein, sagt Christian Fertl, 28 und Chef der Jungen Union im Landkreis. »Das bin ich dem Erwin schuldig, dass der jetzt noch sein Lebenswerk vollenden kann. Ich mag dem Erwin noch in zehn Jahren in die Augen schauen können.«
Denn Erwin Huber ist in einer empfindlichen Phase. In der Rehabilitierungsphase. Er ist von ganz oben gekommen, tief gefallen und an einem Punkt gelandet, wo andere aufgegeben hätten. »Ich habe nicht bei null angefangen, sondern weit unter null«, sagt er. Man konnte es sehen: Bei seinem 60. Geburtstag – als Minister – quoll der »Schlappinger Hof« in seiner Heimat Reisbach über vor Gästen. Beim 65. Geburtstag war wieder der ganze Saal festlich gedeckt, aber die Hälfte der Tische blieb leer. Dazwischen lag der Milliardenskandal der Landesbank, die die marode Kärntner Bank Hypo Alpe Adria gekauft hatte – und Huber übernahm als Finanzminister die Verantwortung. Und dazwischen lag der Verlust der absoluten Mehrheit für die CSU – nach 46 Jahren. Da ist Huber auch als Parteivorsitzender zurückgetreten.
Vier Jahre lang rackert Huber jetzt schon, um wieder hochzukommen. Er will die Scharte von 2008 auswetzen, die »Schmach« der Wahlniederlage. Er, der Mann, der die CSU liebt wie kein anderer, hat es nicht geschafft, ihre absolute Mehrheit in Bayern zu verteidigen. Er musste zusehen, wie Horst Seehofer der Vorsitzende seiner Partei wurde, dieser Partei, über die Huber wacht wie ein eifersüchtiger Vater über seine pubertierende Tochter. Und ausgerechnet mit dem Hallodri Seehofer hat sich seine CSU eingelassen. Mit dem Mann, von dem Huber einmal sagte, er werde noch auf dem Sterbebett die Hand heben, um Seehofer zu verhindern. Und nun, da ist Huber sicher, treibt Seehofer der CSU die Seele aus.
»Ich bin ein hochtoleranter Mensch, Erwin, aber es gibt Grenzen.«
Das Wasser aus dem Brunnen, das Helma Huber ihrem Mann auf das Gesicht streicht, soll Augenleiden heilen.
Seehofer ist mal eben aus der Atomkraft ausgestiegen. Er hat zugestimmt, dass die Wehrpflicht abgeschafft wird. Er will die Studiengebühren wieder streichen. Er hat die dritte Startbahn am Münchner Flughafen infrage gestellt und den Ausbau der Donau in Niederbayern – alles, wofür die CSU und Huber standen. »Der Donauausbau kommt so sicher wie der Transrapid«, feixen sie in der CSU. Auch der ist längst gescheitert. Auch der war ein Lieblingsprojekt von Huber. Und das Schlimmste: Es scheint voranzugehen mit der Partei – trotz dieses Seehofers. Und selbst wenn der Chef sie persönlich heruntermacht, sie »Glühwürmchen« nennt und »vom Ehrgeiz zerfressen« wie gerade jetzt vor Weihnachten, trauen sie sich nicht mehr aufzumucken. Nur er.
Es war im Frühjahr 2011, die CSU-Granden hatten sich in Passau versammelt – wo der Aufruhr tobte. Ein Zukunftsrat aus Professoren hatte Seehofer geraten, nur noch die Zentren zu fördern. Randgebiete wie Niederbayern sollten sich nach Österreich orientieren. Der Ministerpräsident war nach Passau gekommen, um die Leute zu beruhigen.
Da steht Huber auf. »Wir wollen nicht die Lieferanten von Pendlern an die Zentren sein und der Rest geschützte Natur. Da muss Gerechtigkeit her«, ruft er Seehofer zu. Der ganze Saal applaudiert. Und Seehofer, der Kritik sonst ironisch abtropfen lässt, wirkt plötzlich angefasst, eisig: »Ich bin ein hochtoleranter Mensch, Erwin, aber es gibt Grenzen. Ich nehme das nicht mehr hin.« Die beiden stehen sich auf Armeslänge gegenüber. Alles reibt ihm Seehofer hin, was seine Vorgängerregierung, er meint Huber, nicht geschafft hatte. Und sagt dann in den Saal: »Es geht nicht um den Zukunftsrat.« Huber kritisiere »aus anderen Gründen«. Aus persönlichen, will das heißen, weil Huber seinen Absturz nicht verkraftet habe.
Vielleicht, weil der Aufstieg so schwer war.
Erwin Huber kommt aus einer Zeit, die er selbst eine »untergegangene Welt« nennt. Als in Bayern noch die Hinterwäldler wohnten und die höhere Schule den Kindern des Lehrers, des Doktors und des Bürgermeisters vorbehalten war. Wer kein Land hatte, kein Sach, zählte nichts. Erwin Huber vereinte alles in sich, was in den Augen der Gesellschaft nichts wert war: Seine Mutter war eine Tagelöhnerin, er selbst ein uneheliches Kind, der Hof war abgebrannt. Heute ist die Zufahrt dazu von Moos überwuchert, nur der alte Birnbaum davor ragt noch in die Höhe. Es ist alles, was von seiner Kindheit geblieben ist.
Die Mutter ging im Winter von Bauernhof zu Bauernhof zum Nähen. Oft hatte sie den Buben dabei. »Was willst mit deinem Bankert?«, raunzten die Bauern. Später, wenn seine Freunde Ferien hatten, stand er in der Konservenfabrik, Essiggurken einlegen. Dazuverdienen.
Die Familie fand bei einem Bauern Unterschlupf, zwei Zimmer, ohne Strom, Petroleumlampen. Er war lange nicht mehr dort. Im November ist er hingefahren, zum ersten Mal nach 20 Jahren, und hat seinen weißen BMW auf den Hof gelenkt. Der Altbauer ist schon ganz schwach auf den Beinen und erinnert sich nur dunkel: »Ihr habt’s kein Land net g’habt«, sagt er mit hoher Altmännerstimme. »Wir haben überhaupt nix g’habt«, sagt Huber. Vor drei Jahren haben sie das alte Gebäude abgerissen, wo die Familie Huber wohnte. »A ganz a kloans Zimmer war das, ohne Heizung. War net schad drum.« Huber bemüht sich, aber mehr ist aus dem Bauern nicht rauszukriegen. Der alte Mann geht ins Haus. Huber bleibt auf dem leeren Platz stehen, wo er seine Jugend verbracht hat. In seiner Vergangenheit. Aber nirgendwo könnte er fremder sein.
Das Gymnasium konnte sich die Mutter nicht leisten. Der Sohn ging auf die Realschule, er machte den besten Abschluss, mit einem Schnitt von 1,17. Dann ging er zum Finanzamt. Und machte wieder die beste Prüfung – diesmal in ganz Bayern. Note 1, Platzziffer 1. »Das Steuerrecht«, sagt Huber heute noch fast liebevoll, »hat mir viel Freude gemacht.« Sie haben den jungen Steuerinspektor dann nach München geholt, er veranlagte die großen Aktiengesellschaften und GmbHs und spürte doch immer: Die anderen haben Abitur, er nicht. Auf dem Abendgymnasium machte er das Abitur nach. Er schaffte es mit der Note 1,6. Und dann studierte er Volkswirtschaft, auch nebenher.
Es ist ein Stachel in ihm.
Huber, etwas verdeckt, spricht zum Tag der Deutschen Einheit, der mit dem Todestag von Frant Joseph Strauß zusammenfällt.
Es ist ein Stachel in ihm. Er will es den anderen zeigen. Er, der Hinterwäldler. Niederbayern, das war für viele in München gleichbedeutend mit: Raufen, Saufen, Messerstechen. Huber machte aus dem Makel sein Markenzeichen. »Die niederbayerische Heimat Niederbayern« kam in jeder seiner Reden vor. »Wir waren das Armenhaus«, sagt Erwin Huber. »Jetzt, im September 2012, haben wir hier 2,9 Prozent Arbeitslosenquote, die geringste in ganz Bayern.« Besser als München und Oberbayern. Natürlich hat das was mit ihm zu tun, dem ehemaligen Finanz-, dem ehemaligen Wirtschaftsminister. Er hat ihnen hier Umgehungsstraßen ohne Zahl gebracht, jede Dorferneuerung durchgeboxt und jede Firmenansiedlung. Er hat dem Landstrich sogar einen neuen Namen gegeben: »Aufsteiger-Region«. So wie er aufgestiegen ist.
Und doch hält ihn Niederbayern fest. Es hat ihn nie entkommen lassen.
Es ist nicht nur seine Sprachfärbung – auch ein Wolfgang Schäuble spricht Badisch, ein Günther Oettinger spricht Schwäbisch. Es ist sein Habitus. Außerhalb Bayerns gilt Huber als Inkarnation des schwarzen Wadlbeißers, dessen Horizont höchstens bis Dingolfing reicht. Und selbst in München sagen sie in seiner CSU, dass »so einer« halt nicht ankommt bei der aufgeklärten Bevölkerung. Dass er da schnell peinlich wirkt, vor allem im Fernsehen. Sie packen ihn gern in den politischen Komödienstadl, als dümmlich-servilen Diener seines Herrn. Und sind erstaunt, wenn sie ihn dann präzise über die Details von Steuerreformen sprechen hören.
Reisbach, 3. Oktober. Es ist eine würdige Feier, die Feier zur Deutschen Einheit in Hubers Heimatgemeinde, die immer auch eine Erinnerung an den Todestag von Franz Josef Strauß ist. Theo Waigel ist gekommen, der frühere Bundesfinanzminister und CSU-Chef. Die Fahnen wehen, die Musikkapelle spielt. Waigel hat über die Einheit geredet, über FJS und die Segnungen des Euro. Und er hat mal eben den CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt abgewatscht, der die Euro-Granden »Falschmünzer« und »Zwerge« genannt hat. Jenen Mann, der Schützenkönig in Peißenberg ist und sich wegen der Aussicht vom Hohen Peißenberg (988 Meter) großen Weitblicks rühmt. »Wenn der Dobrindt am Hohen Peißenberg steht, denkt er, das ist der Nanga Parbat«, sagt Waigel. Es ist ein schöner Tag.
Sie sitzen jetzt im »Schlappinger Hof«, der Theo und der Erwin, Parteikameraden seit den Achtzigerjahren, und Waigel wird grundsätzlich. »Du hättest damals nie vom Finanzministerium in die Staatskanzlei zurückgehen dürfen«, sagt Waigel. »Wenn man einmal Herr ist, macht man nicht mehr den Knecht.« Huber hebt die Hände, als wolle er sich entschuldigen. Er weiß ja, dass Waigel recht hat, aber er konnte Edmund Stoiber, dem damaligen Ministerpräsidenten, keinen Wunsch abschlagen. Er stand immer zwischen Waigel und Stoiber, die sich in hoffnungsloser Rivalität verbunden waren. »Das war das böseste Telefonat, das ich je mit dir geführt habe«, setzt Waigel nach. »Da habe ich dir fast die Freundschaft gekündigt.« Huber war 1998 Finanzminister, er liebte das Amt. Aber Stoiber wollte, dass Huber seine rechte Hand in der Staatskanzlei wird, höchster Diener seines Herrn. Huber grinst Waigel an, er weiß, dass der ihn nicht versteht. »Großknecht ist doch auch ein guter Posten«, sagt Huber. »Du bist einfach zu anständig«, sagt Waigel. »Hättest du mal auf mich gehört.« – »Dann wäre mein Leben anders verlaufen«, sagt Huber.
Dann müsste er nicht hier stehen und den Leuten erklären, warum er unbedingt wieder in den Landtag will. Dann hätte er eine Freiheit gewinnen können, wie sie Waigel hat, wie sie auch ein Heiner Geißler hat. Zwei, die wie Huber im vollen Lauf gestoppt wurden, aber den Absprung schafften. Waigel, Finanzfachmann wie Huber, der für Siemens um die Welt flog, um sicherzustellen, dass bei Geschäften nicht geschmiert wird. Heiner Geißler, der als CDU-Generalsekretär holzte wie Huber, nun aber als Freigeist gilt, als Schlichter und Vermittler in verfahrenen Situationen wie dem Bahnhofsbau von Stuttgart. Waigel und Geißler – beide sind sie Ikonen des Eigensinns, die Lust am Widerspruch haben und ihre Partei nicht mehr brauchen.
Huber aber braucht seine Partei. Er kann nicht von ihr lassen. »Er will sich und anderen beweisen, dass er noch zu den Stützen der CSU gehört«, sagt Waigel. »Er braucht die nächsten fünf Jahre, um mit sich ins Reine zu kommen.«
»Manche waren überrascht von meiner Kandidatur«, sagt Huber am Ende der Einheitsfeier. »Wohlmeinende haben gesagt: Mach’s dir halt ein bisschen schöner. Geh auf Reisen, spann aus.« Günther Beckstein war so einer. Der frühere Ministerpräsident hatte Huber geraten, sich zurückzuziehen – so wie er selbst. »Wenn man ganz oben war, fängt man nicht noch mal ganz unten an«, sagt Beckstein. Und Huber sagt: »Aber für mich gibt es halt nichts Schöneres als Politik.«
Es ist die Wahrheit. Eine bittere Wahrheit.
In seiner Heimat gibt es an der Kapelle der Heiligen Wolfsindis einen Brunnen, dem heilende Kräfte nachgesagt werden. Jedes Mal, wenn Huber dort ist, benetzt er sich die Augen. Das Wasser soll einen scharfen Blick geben. Huber trägt keine Brille, aber sonst nützt es nichts. Wenn es um ihn selbst geht, versagt seine Urteilskraft.
Also macht sich Huber klein – er, der früher als geschäftsführender Ministerpräsident galt. Geht am Donnerstagmorgen brav in den Wirtschaftsausschuss des bayerischen Landtags und kümmert sich jetzt um Rauchmelder. Kämpft in seinem Wahlkreis für die Erhaltung des Krankenhauses in Landau, die dritte Autobahnausfahrt für Dingolfing und den Kreisverkehr in Eichendorf. Selbst der SPD-Landrat aus seinem Heimatkreis sagt: »So ein Ende hat ihm keiner gewünscht.«
»So ein Ende hat ihm keiner gewünscht.«
Als Kandidat für den Landtag muss sich Huber nun wieder um kommunale Krankenhäuser oder Umgehungsstraßen kümmern und durch die Dörfer Niederbayerns tingeln, wo seine politische Karriere vor 45 Jahren als Kreisvorsitzender der Jungen Union begann.
Es gibt Menschen, die sagen, Huber sei eben wie ein alter Rockstar, der immer weiter auf Tour gehen müsse. Auch wenn er nicht mehr in den großen Hallen spielt, sondern auf der Weihnachtsfeier der Kreissparkasse. Und der ja vielleicht ein Revival erlebt, irgendwann, zum Kult wird wie die Spider Murphy Gang. Diese Menschen meinen: Vielleicht ist Huber glücklich, so wie es ist.
Früher war er der Herr der Reformen: Verwaltungsreform, Steuerreform, Forstreform. Er war der Mann, den Angela Merkel als Kanzleramtschef haben wollte. Erst als er ablehnte, wurde es Thomas de Maizière. Es wäre mutig gewesen, ins Kanzleramt zu gehen, vielleicht verwegen. Er hätte zwischen Merkel und Stoiber zerrieben werden können. Er ist nicht gegangen. Er ist wieder einmal loyal gewesen. »Ein Versäumnis«, sagt er heute. »Ein Mangel in meiner Vita.« – »Er hat kein Macht-Gen«, sagt eine Freundin. »Wenn’s um ihn selbst geht, kämpft er nicht.«
Erwin Huber hat sich im Sommer Gedanken gemacht über sein Leben, er hat einen Essay geschrieben, in der nun untergegangenen Financial Times Deutschland. »Das Schwerste in der politischen Karriere ist der Abschied«, schrieb er. Er sei keiner, der Golf spielen gehe oder in der überfüllten Loge der Elder Statesmen Platz nehme. Er wolle sich auch nicht verbittert zurückziehen. Er wolle einfach weitermachen.
Huber ahnt selbst, dass es nur noch bergab gehen kann. Er wird nach der Wahl im Herbst auch den Vorsitz des Wirtschaftsausschusses im Landtag verlieren, ein Jüngerer ist da vorgesehen, er wird bald nur noch Hinterbänkler sein.
Bayerischer Landtag, abends, kurz vor 22 Uhr. Das Plenum diskutiert wieder einmal über den Ausbau der Donau. Die CSU ist bereits leise vom Ausbau abgerückt, nur Huber kämpft noch. So wie seit Jahrzehnten. »Die Zeit der Betonmischer ist abgelaufen!«, rufen die Grünen. »Nur der alte General Huber versucht die Bataillone um sich zu versammeln. Das hat die ewig junge Donau nicht verdient.« – »Machen Sie kein Gaudium draus«, sagt Huber. Er redet über Hochwasserschutz, Wirtschaftsförderung, Verkehrswege. Er hat alle Zahlen parat, alle Varianten. Der Umweltminister, sein Parteifreund, lächelt milde.
Huber ist noch immer im Macher-Modus. Steht um 5.30 Uhr auf, checkt zuerst seine Mails. Simst. Wenn er mal früher von München heimkommt, fragt er, ob noch irgendwo eine Veranstaltung ist. Dann geht er hin. Andere geben irgendwann Ruhe. Er nicht. »Am liebsten hätte er drei Termine am Tag«, sagt seine Frau. Wenn am Sonntag das Telefon klingelt, frotzelt sie: »Dann ist der Tag ja gerettet.« Es ist die gleiche Frau, die nach 33 Jahren Ehe sagt, sie sei eigentlich noch in den Flitterwochen – so wenig habe sie ihn gesehen.
Helma Huber ist gelernte Bankkauffrau, die beiden Kinder stehen längst im Beruf. Sie sind nicht angewiesen auf den Abglanz der Macht. Frau Huber hält Abstand zu »denen da oben«. »Ich will mit den Leuten absolut nichts zu tun haben«, sagt sie. Mit den Leuten, die ihren Mann fallen ließen im Jahr 2008. Die Hubers haben Freunde. Ein Familienleben. Hobbys. Aber gegen die Politik kommt das alles nicht an. »Er ist nicht zu bremsen. Ich bin da machtlos«, sagt Helma Huber ergeben. Er aber sagt: »Wenn ich mich in der Fraktion melde und sehe, dass der eine oder andere blass wird, hat es sich schon gelohnt.«
Helma Huber kennt ihren Mann und sie liebt ihn nicht nur. Sie mag ihn. »Ich sehe, wie gut ihm das tut, wenn die Leute auf ihn zukommen, wenn er was für sie tun kann«, sagt sie. Dann seufzt sie kurz. Sie macht sich Sorgen um ihn. Aber das lässt man sich in ihrer Gegend nicht anmerken. Bevor sie jetzt zu persönlich wird, steht sie lieber schnell auf.
Huber steht im Saal des »Gasthauses Köck«, er hält seine Nominierungsrede. Die Passage über James Bond ist längst verklungen. Er setzt zum Schlussakkord an. Seine Augen glänzen, er gibt ein Versprechen. Er sagt: »Ich werde bis zum letzten Tag, bis zur letzten Nacht dienen.« Er könnte auch sagen: bis zum letzten Atemzug.
Wie der Knecht, der auf dem Hof rackert, bis er nicht mehr kann.
Fotos: Armin Smailovic