San Francisco

In der Stadt der tausend Hanfsorten

Hoppla, was geht denn hier ab? Passanten beginnen zu tuscheln, aber es ist kein Trugbild: An der Ecke Haight Street und Ashbury Street, im Zentrum des Hippieviertels von San Francisco, steht eine nackte Frau. Schlank, etwa 25 Jahre alt, Szenegirl. Trotz Nieselregens macht sie keine Anstalten, ihre Blöße zu bedecken. Demonstriert sie gegen die Klimakatastrophe? Hat sie eine Wette verloren? Drogen genommen? Man weiß es nicht. Aber während die Regentropfen an diesem Sonntag im Januar zwischen den Brüsten des Hippiemädchens hinablaufen, hat man den Eindruck, in San Francisco sei der Sommer der Liebe nie zu Ende gegangen.

Die USA sind ein unsentimentales Land, doch auf der Haight Street erinnert viel an die Zeit, in der dieser Ort seinen Ruf als Mekka der Gegenkultur erlangte. Im Fenster des Anarchist Bookstore liegen revolutionäre Traktate, Hippieläden verkaufen Buddha-Figuren und Kifferzubehör, außerdem beheimaten die sechs Blocks zwischen Buena Vista Park und Golden Gate Park eine der weltweit höchsten Konzentrationen an Secondhand-Boutiquen. Böse Ketten wie Starbucks gibt es hier nicht, stattdessen geht man ins »Peace Café«, ins »People’s Café« oder ins »Coffee To The People«, wo zwei Mädchen mit selbst gestrickten Wickel-röcken gerade Cappuccino mit Sojamilch bestellen. Dahinter wartet die zwanzigjährige Trish aus Atlanta, die sich für ihren Besuch im Hippieviertel mit Nietengürtel und Pete-Doherty-Hut ausstaffiert hat. Vorhin hat sie an einer »Flower Power Walking Tour« teilgenommen und das Haus fotografiert, in dem einst Janis Joplin lebte, später will sie zu Amoeba Records, dem Plattenladen am Ende der Haight Street. »Wahnsinn«, schwärmt sie, »das hier muss der coolste Ort des Landes sein.« Pam Brennan, die Veranstalterin der Flower-Power-Rundgänge, lebt seit knapp vierzig Jahren hier und freut sich darüber, dass viele Elemente der Hippiekultur inzwischen die Alltagswelt von San Francisco infiltriert haben; im Haight-Ashbury-Distrikt prangt das Wappen der legendären Band The Grateful Dead sogar auf den Feuerwehrautos. Brennan hat aber auch immer wieder Versuche beobachtet, das Viertel von Hippies und Obdachlosen zu säubern. Oft sind diese Bemühungen am Widerstand der Einwohner gescheitert, die seit den Siebzigern einen Nachbarschaftsrat betreiben, der sich um Bebauungspläne, billigen Wohnraum und soziale Einrichtungen kümmert. Was lange als Spleen einiger langhaariger Idealisten galt, hat sich inzwischen als Standortvorteil erwiesen. Anders als die meisten urbanen Zentren der USA, die sich im Zuge des Anpassung an die landesweite Konsumkultur immer ähnlicher werden, bleibt Haight-Ashbury unverwechselbar und somit ein Touristenmagnet. »Hippie galt lange als Schimpfwort«, sagt Pam Brennan. »Inzwischen haben viele Leute bemerkt, dass wir mit etlichen Dingen recht hatten.«

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Davon ist man auch auf der anderen Seite der Bucht von San Francisco überzeugt, in der Universitätsstadt Berkeley. Was für San Francisco die Haight Street, ist für Berkeley die Telegraph Avenue: eine seit den Sechzigern beliebte Flaniermeile, auf welcher der Geist der Hippies mittels Läden für gebrauchte CDs und tibetische Heilkräuter lebendig gehalten wird. Berkeley hat eine Reputation als linke Hochburg; bei der letzten Wahl bekam George W. Bush hier nur sechs Prozent der Stimmen. Sucht man jedoch nach einem Ort, an dem die Ideale der Sechziger in konkrete Politik umgesetzt wurden, so wird man eher im Surfer-Paradies Santa Cruz fündig.

Auf dem Küsten-Highway »1« braucht man zwei Stunden von San Francisco bis Santa Cruz, jenem Städtchen, in dem die hawaiischen Kawananakoa-Brüder den Amerikanern 1895 erstmals die Kunst des Wellenreitens vorführten. An den Küsten von Santa Cruz finden sich mehr als sechzig Surf-Stellen, die beliebteste ist die direkt unterhalb des Surf-Museums gelegene Steamer Lane. Zwei Dutzend Surfer in Gummianzügen warten dort auf Wellen. Doch als die nächste heranrollt, schafft es nur ein blondes Mädchen aufs Brett. Mit wehenden Haaren jagt sie der Küste entgegen.
In einem Café an der Pacific Avenue sitzt der Lokalpolitiker und bekennende Sozialist Mike Rotkin. Seit 1979 war er viermal Bürgermeister von Santa Cruz und hat ungewöhnliche Maßnahmen durchgesetzt: hohe Sozialausgaben, hohe Aufwendungen fürs Busnetz, restriktive Baupolitik, Legalisierung von Marihuana für medizinische Zwecke. Vieles davon war heiß umkämpft. »Doch inzwischen geben selbst Konservative zu, dass wir mit unseren Ideen die Lebensqualität gesteigert haben«, sagt Rotkin. In der Tat verfügt Santa Cruz, anders als viele andere US-Kleinstädte, über ein intaktes, ansprechend gestaltetes Zentrum, das weder zubetoniert noch von Schnellrestaurants verschandelt wurde.

Eher symbolisch sind hingegen andere Initiativen des Stadtrats zu sehen: So verabschiedete man bereits 2003 eine Resolution gegen den Irak-Krieg; Anfang der Achtziger, während Ronald Reagans heimlichem Krieg gegen die Sozialisten in Nicaragua, wurde der Hafen von Santa Cruz gar für die Flotte des mittelamerikanischen Staates geöffnet. »Leider ist bis heute kein Schiff aus Nicaragua gekommen«, sagt Mike Rotkin und grinst in seinen Bart.

Übernachten: The Orchard Garden Hotel, 466 Bush Street, San Francisco. www.theorchardgardenhotel.com. DZ ab 130 Euro.
Essen: Magnolia Pub & Brewery, 1398 Haight Street, San Francisco. www.magnoliapub.com. Scoma’s, Pier 47 on Al Scoma Way, San Francisco, www.scomas.com.
Unbedingt eine »Flower Power Walking Tour« durchs Hippieviertel machen (www.haightashburytour.com) und für einen Tag nach Santa Cruz fahren, um den Surfern in der Steamer Lane zuzuschauen.

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