Wer in Corleone sauber und ehrlich arbeiten will, muss viel Mut mitbringen – so wie Angelo und Mario, die sich in ihrer Heimat einem übermächtigen Gegner entgegenstellen: der Mafia. Sie hat Corleone weltberühmt gemacht und war lange der größte Arbeitgeber der Gegend. Doch Angelo, 40, graue Haare, verschwitztes T-Shirt, und Mario, 32, breite Hände, abgekaute Fingernägel, haben sich »Libera Terra« angeschlossen, Italiens größter Anti-Mafia-Bewegung, übersetzt: »Freies Land«.
Nun kämpfen Angelo und Mario mit Weizen und Wein, Kuchen und Nudeln – sie wollen ehrliche Produkte herstellen und Touristen in die Gegend locken. Denn hier, rund um Corleone, haben die Mitglieder des »Freien Landes« auf enteigneten Mafia-Ländereien ökologische Agrarkooperativen, Weingüter und Landhotels gebaut und sich zur Aufgabe gemacht, den Boden Siziliens zu beackern, ohne an die Mafia zu zahlen. Corleone, das ist die Stadt im Westen Siziliens, in der zwei der brutalsten Bosse der sizilianischen Mafia, der Cosa Nostra, lebten: Bernardo Provenzano und Salvatore »Totò« Riina – der soll 1992 die Autobomben-Attentate auf zwei Untersuchungsrichter in Palermo in Auftrag gegeben haben. Weltberühmt wurde Corleone aber durch Francis Ford Coppolas Film Der Pate über das Leben eines Mafia-Bosses namens Vito Corleone – gespielt von Marlon Brando.
Jahrzehntelang bekam man nur Arbeit rund um Corleone, wenn man die Mafia-Bosse darum bat. Sie kassierten für die Vermittlung zwischen Großgrundbesitzern und Tagelöhnern oft die Hälfte des geringen Lohns, mehr noch, die Bittsteller mussten obendrein mit Gefälligkeiten und Kurierdiensten bezahlen: So dienten bald fast alle den Mafiosi oder wurden selbst welche. Was sollten sie sonst auch machen?
Die Polizei fasste Riina 1993 in Palermo. Er besaß fast 150 Millionen Euro und Landgüter, Grundstücke, Weinberge. Provenzano folgte Riina als Capo assoluto – er gab seine Anweisungen jahrelang nur aus Verstecken. Er befahl, wer ermordet, erpresst, entführt werden sollte; die Namen standen auf maschinengetippten Zetteln, die er in Schmutzwäsche versteckt an Untergebene schmuggeln ließ. Als die Polizei auch Provenzano vor vier Jahren in einer stillgelegten Käserei am Ortsrand Corleones schnappte, hatte er ein Vermögen von 123 Millionen Euro angehäuft und natürlich besaß auch er Felder, Landgüter, Weinberge, Ställe.
Seit 1996 gibt es ein Gesetz, das es möglich macht, inhaftierte Mafiosi zu enteignen. Zunächst fielen Ländereien im Westen Siziliens an den Staat, der überließ sie acht Gemeinden. Die Mafia-Güter rund um Corleone bekam die Bürgerbewegung »Libera Terra«. Die Mitglieder gründeten Agrarkooperativen, für die arbeitet Angelo heute – seine erste legale Stelle überhaupt. Seine Frau fürchtete anfangs um ihn, wenn er zur Arbeit ging. Er zog sein »Libera Terra«-T-Shirt an, und von da an wussten alle im Dorf: Angelo arbeitet gegen die Mafia. »Ich habe keine Angst mehr«, sagt er.
»Libera Terra«, so nannten sich ursprünglich nur drei Menschen in Palermo, die sich vor 15 Jahren zu einer Bürgerbewegung zusammengeschlossen hatten, an der Spitze die Schwester eines Richters, der in Palermo ermordet wurde. Heute bewirtschaften »Libera Terra«-Mitarbeiter enteigneten Mafia-Grund auf Sizilien, rund um Neapel, und in Kalabrien. In Corleone arbeiten inzwischen 80 Arbeiter auf 700 Hektar Land: Weinanbau, Felder, Plantagen. Zwei Landhotels mit Restaurants und Reitstall in Höfen, die früher der Mafia gehörten, haben sie eröffnet, in der Hoffnung, Touristen anzuziehen.
Bislang wussten die nämlich nicht so recht, wie sie sich in Corleone die Zeit vertreiben sollten: Der Ort hat nicht viel zu bieten. Die meisten Touristen machten ein Foto, auf dem das Ortsschild zu sehen war, gingen in die »Central Bar« und tranken einen Magenbitter namens »Il Padrino« (Der Pate). Das Etikett zeigt Marlon Brando.
Heute können Touristen im Landhotel »Terre di Corleone« wohnen, einem ehemaligen Viehhof von Totò Riina. Auf Wunsch erklären die »Libera Terra«-Mitarbeiter, wie die Mafia heute funktioniert und wie die »Libera Terra«-Aktivisten arbeiten. Außerdem kocht dort Mario – auch für ihn ist es sein erster legaler Job, vorher arbeitete er schwarz. Als Mario zum ersten Mal von »Libera Terra« hörte, bewarb er sich. Fünf freie Stellen waren im Landhotel zu besetzen. Er hatte mehr als 800 Mitbewerber.
Rund dreißig Kilometer von Corleone entfernt besaß ein anderes Bandenmitglied, Bernardo Brusca, das Landhaus »Portella della Ginestra«, in dem Treffen der Cosa Nostra stattfanden. Nach seiner Verhaftung stand das Haus zwischen den Ginsterbüschen 21 Jahre leer. Dann hat es »Libera Terra« in ein Landhotel mit drei Zimmern und einem Reiterhof umgewandelt. Heute isst man hier Pasteten mit Schafskäse und Weingelee; inzwischen bietet »Libera Terra« auch bis zu fünftätige Rundreisen durch das Mafia-befreite Westsizilien an.
Doch leider leben noch genügend Riinas und Provenzanos in der Gegend: Zweimal schon hat die Mafia Anschläge auf »Libera Terra«-Ländereien verübt, Land und Ernten abgebrannt. Aber das hat die Bürgerbewegung nicht zermürben können. Die Landbefreier hoffen sogar, dass sie noch mehr Felder und Höfe überschrieben bekommen: 4075 Grundstücke hat der Staat der sizilianischen Mafia in den vergangenen Jahren abgenommen, viele liegen noch brach.
Die Botschaft der Bürgerrechtler aus Corleone tragen indes schon eine Million Nudelpakete und 350 000 Weinflaschen jährlich in die Welt. Auf den Etiketten steht: »Dalle terre liberate dalla Mafia« – von Mafia-befreiten Ländereien. Oder: »Per fare questo vino si sono sporcati le mani ma non la coscienza« – Um diesen Wein herzustellen, haben wir zwar unsere Hände, nicht aber unser Gewissen beschmutzt.
Fotos: Samuel Zuder, Mauro D'Agati